Ein Bild - Eine Geschichte
Spiegelbilder
„Ach ist das herrlich!“ Stefanie schloss genüsslich die Augen und reckte ihr Gesicht der Sonne entgegen.
„Es ist viel zu warm!“, murrte Robert und sah sich nach einem schattigen Plätzchen um.
„Du bist heute auch ein Griesgram!“ Stefanies Laune war nicht zu trüben. Sie ging zum Rand der Dachterrasse des Schlosses und schaute über die Brüstung.
„Unter einem gemütlichen Wochenende zu zweit hatte ich mir was anderes vorgestellt.“ Robert starrte gelangweilt einem alten Ehepaar hinterher, dass zurück in das kühle Schloss ging.
„Als ob dich ein wenig Kultur umbringen würde. Komm her und sie dir das an. Da sind Häuser im Wasser!“ Stefanie beugte sich gefährlich weit über die Brüstung.
Robert verdrehte genervt die Augen und gesellte sich zu ihr.
„Das ist nur eine Spiegelung, Schatz. Komm jetzt, ich zerfließe. Es wird Zeit für ein Eis.“ Er wandte sich zum Gehen, doch Stefanie machte keine Anstalten, ihm zu folgen.
„Das ist keine Spiegelung. Siehst du denn nicht die alte Frau, die da gerade aus der Tür herausgekommen ist? Schau, sie winkt mir zu.“ Stefanie hob den Arm und winkte heftig.
Andere Besucher schauten sie befremdet an. Robert nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich.
„Da ist nichts. Komm jetzt.“
Abends ging Stefanie zum Strand. Sie wohnten in einer kleinen Pension unweit der Stelle, wo sie vom Schloss aus die Häuser im Fluss gesehen hatte. Ihr ging die alte Frau einfach nicht aus dem Kopf. Sie hatte ihr zugewunken, hatte sie eingeladen, sie zu besuchen, da war sie sich ganz sicher. Die Sonne stand schon tief, doch sie konnte das Haus im Wasser deutlich sehen. Es war keine Spiegelung, es war wirklich da. Wieder kam die alte Frau vor die Tür, lächelte ihr zu und winkte sie zu sich. Stefanie überkam eine seltsame Ruhe. Langsam ging sie weiter, ging in das Wasser auf die Tür zu, vor der die alte Frau wartete. Sie spürte die Nässe nicht und als sie durch die Tür trat, verschwand sie ganz im Wasser und mit ihr das Haus.
Robert kam gerade aus der Dusche und sah den Zettel auf dem Tisch liegen. ‚Bin am Strand. Steffi‘ Er stieß gereizt die Luft aus. Hätte sie das nicht eher sagen können? Dann hätte er mit dem Duschen gewartet. Sie erwartete bestimmt, dass er ihr folgte. Seufzend zog er sich an und lief zum Strand hinunter. Er sah, wie sie ins Wasser ging.
„Steffi!“
Sie reagierte nicht auf seinen Ruf, ging immer weiter, bis die Fluten sie ganz verschluckten. Robert wartete einen Moment, doch sie tauchte nicht wieder auf. Fluchend zog er sich die Schuhe aus und lief ins Wasser. Er tauchte immer wieder an der Stelle, wo er sie zuletzt gesehen hatte, doch er fand sie nicht.
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Autor:Sabine Kalkowski aus Bergkamen | |
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