Wohnungsbrand

Herr Urmann lächelte immer sein komisches Lächeln, als erzähle er sich selber Witze. Seine Stimme aber klang wie ein Ausrufezeichen. Denn Herr Urmann war pedantisch und von umständlicher Gründlichkeit. Darauf jedenfalls konnte er sich verlassen.
Und so war es natürlich klar, dass Herr Urmann immer Recht hatte. Denn er hatte Grundsätze.
Aber er wäre nie auf die Idee gekommen diese Grundsätze zu verletzten. Schon einen derartigen Gedanken hätte er empört von sich gewiesen. Dabei zuckte Herr Urmann ständig nervös mit den Fingern, als müsse er Fliegen vertreiben. Aber vermutlich glaubte er sich wie ein Mann zu benehmen, den man um Rat fragen wollte. Aber dann wäre er natürlich niemals bereit gewesen eine Antwort zu geben.
Oft dachte ich:
Wäre er doch nur einmal untreu zu sich selbst… Dann hätte man ihm vielleicht noch helfen können.
Aber selbst dann, wenn er nur eine halb gelungene Kopie von sich selber gewesen wäre - Herrn Urmann hätte das nicht gereicht. Denn wenn er sich damit begnügt hätte, hätte er sich mit allem begnügt! Dafür kannte ich Herrn Urmann zu lange.
Kurz, irgendwann herrschte in seiner Welt nur noch die Einsilbigkeit. Warum also sollte er da nicht wie ein trotziges Kind schweigen, wenn er nicht mit sich selber sprechen wollte?
Allerdings runzelte Herr Urmann oft genug die Stirn, als gäbe es nur schlechte Nachrichten. Aber solange er hier in seiner Wohnung noch für Ordnung sorgen konnte, gab es kein Schicksal auf der Welt, das ihm sein Leben hätte streitig machen können.
Selbst dann nicht, wenn zwischen Leben und Tod auch nur eine Zehntelsekunde gelegen hätte. Da war sich Herr Urmann sicher.
Und so schlich er jeden Tag auf Socken durch seine Wohnung und murmelte vor sich hin, während er mit flinken Augen darauf achtete, dass alles, was zu seinem Haushalt gehörte, noch an seinem Platz stand. Dabei neigte er seinen Kopf prüfend hin und her, zwinkerte mit den Augen und spitzte die Nase, als nehme er Witterung auf:
Ob er den Herd abgestellt hatte…? Und wie war das mit dem Licht…?
Dabei suchte Herr Urmann seine Taschen ab, bis er endlich die Schlüssel gefunden hatte. Und schon lief er in das nächste Zimmer, um einen Wohnungsbrand zu verhindern. Immerhin hatte seine Wohnung sechs Zimmer und noch einen Abstellraum.
So kroch also Herrn Urmann ständig die Angst in die Achselnhöhlen und er musste am Tag mehrfach duschen, denn er hasste seinen Schweißgeruch. Und, wie er mir sagte, bezog er ja nicht jeden Tag frisch sein Bett, um dann am Ende ungewaschen zwischen wohl duftenden Laken zu sterben.
Selbst in seinem Abschiedsbrief stand, dass eine Garnitur frischer Unterwäsche in seinem Nachtschrank liege.
Nach seinem letzten Kontrollgang also ließ sich Herr Urmann in den Sessel fallen, der in der Fensternische stand. Dabei duckte er sich noch, um durch das beschlagene Fenster zu sehen. Draußen regnete es, als es an der Haustür schellte…

Autor:

Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg

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