STIMMUNGSKANONEN
Beherrscht den Menschen nicht geradezu die Gier sich wortlos auf den kleinsten Nenner zu einigen?
Das musst Du können, wenn es um die gut geölte Stimmung geht. Die Clique bestimmt dabei, wieviel Identität sich jeder leisten darf ohne den Widerspruch der Anderen auf sich zu ziehen?
Eine Gruppenhierarchie bestimmt das Motto:
Bei uns verdirbt keiner die gute Laune!
Da herrscht immer wieder der brennende Wunsch nach der zündenden Pointe, die wir schon tausend Mal gehört haben. So, als lebten wir ständig auf dem Sonnendeck eines Ausflugdampfers.
Willst Du über Banalitäten lachen, müssen diese Banalitäten schneller ausgetauscht werden, als dass Du sie wirklich wahrnehmen kannst. Nun kannst Du Dich vor Lachen schütteln. Dein Nacken ist gefährlich gerötet und auf der Stirn perlt der Schweiß.
Schon bringt die Kellnerin die nächste Runde.
Beim „Prosit auf die Gemütlichkeit!“ könnte ich mich erbrechen.
Schon stehen die Kegel auf ihren wackligen Beinen. In Reih und Glied. Du aber bist der Herr der Situation, wenn Du das Auge zukneifst, um besser zielen zu können. Schon rumpelt die Kugel laut über die Bahn und hinterläßt das Geräusch eines heraufziehenden Gewitters, während die durcheinander stürzenden Kegel laut klackern.
Gläser werden gestemmt und Lieder angestimmt. Je nach Alter singen sie sich zurück in die Vergangenheit, als die Welt noch in Ordnung war. Und die anderen beschwören die Lust auf Gegenwart.
So singen alle aus voller Kehle, als würden sie erst durch diese Gemeinschaft wieder zum Leben erweckt.
Nach dem x-ten Bier regt sich kaum noch das Testosteron, auch wenn sich die Männer immer wieder an ihren Geschichten berauschen. Immer ängstlich darum bemüht unerschöpflich ihre Energie zu zeigen. Ein hektischer Austausch fragmentarischer Sätze. Fragmentarische Antworten und Beifall heischende Blicke. Nur keine Pausen. Die Witze Reißer und Sprücheklopfer wiehern wie junge Pferde. Lachsalven vertreiben den Zweifel und sorgen für die kollektive Bestätigung der guten Laune.
Wer möchte bei diesem Feldgeschrei durch sein Schweigen Misstrauen erwecken?
Ich hasse dieses lärmende Kameradschaftsgetue. Diese merkwürdige Form von Solidarität.
Bin ich nur dann ein Individuum, wenn mich die Gruppe akzeptiert?
Welche Identität musst Du widerspruchslos annehmen, um nicht die gute Laune zu verderben?
Was für ein merkwürdiges Glück die Zeit damit auszufüllen gleicher Meinung zu sein? Warum kann sich keiner entschließen neue Fehler zu machen?
Schützt Du Dich so vor den Gedanken, denen Du Dich nicht gewachsen fühlst? Und doch weiß jeder von dem Anderen das, was er nicht wissen soll. Wie kann er sich da sicher fühlen?
Anschließend folgt das launige Gruppenfoto. Im gleichen Augenblick weißt Du:
Das sind wir posthum.
Jeder bekommt einen Bildabzug.
Plötzlich wird Dir bewusst, dass selbst Personen, die Dir unsympathisch waren, auf diesem Film gebannt sind. Auf dem Negativ wurden sie fixiert. Eine Galerie verschiedener Typen und Physiognomien. Sprachlos wie die Käfer und doch so bunt wie aufgespießte Schmetterlinge.
Jeder, der sein Foto in der Hand hält, hofft so der Vergänglichkeit zu entkommen.
Auch wenn Du nur das siehst, was Du weißt oder zu kennen glaubst, so entwickeln sich doch auf diesen Bildern neue Beziehungen, die Dich erstaunen, ja überraschen. Denn bisher glaubte jeder jeden zu kennen, so dass man ihn gar nicht mehr sah.
Auch das Einwohnermeldeamt kennt mich ohne mich je gesehen zu haben.
Autor:Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg |
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