In einer kleinen Konditorei...

Kdin Schwein ruft mich an... | Foto: Marita Gerwin
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Eine Bilderbuchgeschichte aus dem Leben!

Es ist ein Wetter, wie im April. Schneeschauer und Sonnenschein wechseln sich ab. Nach dem Karnevals-Umzug der Jecken in Arnsberg erst einmal einkehren in die kleine Konditorei in der Altstadt. Aufwärmen ist angesagt. Ich möchte genüsslich einen Kaffee trinken und dazu einen leckeren Kuchen verputzen. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen. Ich gehe zur Kuchentheke und entdecke dort ein pinkfarbenes, zuckersüßes Marzipan-Schwein. Es grinst mich an. Daneben sitzt, wie auf dem Präsentierteller, ein Herr mit kugelrunden Mondgesicht, Schmollmund und einer grünen Knollennase. Zwei zuckersüße, kleine Kunstwerke des Konditormeisters. Zum Reinbeißen viel zu schade, diese zwei kleinen Kerle.

Meine Phantasie bekommt Flügel. Ich stelle mir vor, der kugelrunde "Herr auf dem Tablett" singt vor sich hin: "Kein Schwein ruft mich an. Keine Sau interessiert sich für mich. Solange ich hier wohn', ist es fast wie Hohn, schweigt das Telefon. Kein Schwein ruft mich an. Keine Sau interessiert sich für mich. Und ich frage mich, denkt gelegentlich jemand mal an mich...."

Dieser weltbekannte Song von Max Raabe kommt mir in den Sinn, als diese zwei zuckersüßen „Teilchen“ vor mir stehen. Froh gelaunt summe ich diese Melodie vor mich hin. So vertreibe ich mir die Zeit, denn ich bin noch nicht an der Reihe.

Neben mir an der Kuchentheke steht etwas orientierungslos dreinblickend eine nette alte Dame mit einem kecken Hütchen auf dem Kopf und Luftschlangen um den Hals. Sie trippelt ungeduldig auf der Stelle hin und her. Arm in Arm steht sie dort mit ihrer sicherlich 20 Jahre jüngeren Begleiterin, die sich rührend um die Frau kümmert. Sie redet beruhigend auf die alte Dame ein. Zu mir gewand sagt sie: „Das ist Thea, meine Nachbarin. Ihr Herz schlägt für den Karneval. Da hab ich sie einfach von Zuhause abgeholt und mitgenommen. Wir hatten so viel Spaß. Viele Leute kennen sie noch aus ihrer aktiven Zeit als Karnevalistin. Keinen Umzug hat sie verpasst, als sie noch fit war“, erklärt mir die Begleiterin „80 Jahre ist Thea nun schon. Ihr Mann ist verstorben und die Kinder leben weit weg. Sie ist demenzkrank und lebt in einer Pflege-Wohn-Gemeinschaft mit sieben anderen Menschen zusammen. Allein schaffte sie das alles nicht mehr. Aber ich besuche sie so oft ich kann. Und nehme sie einfach mit, wenn es ihre Tagesform erlaubt. So ist und bleibt sie mittendrin und steht nicht außen vor, nur weil sie an Demenz erkrankt ist.“

Ich bin gerührt und fasziniert zugleich. Es klingt so selbstverständlich. Ist es aber nicht!

Zusammen überlegen die beiden Freundinnen gerade, welchen Kuchen sie für ihren „Kaffeeklatsch Zuhause“ auswählen möchten. „Sollen wir die Sahneschnittchen oder die leckeren Berliner nehmen?“, fragt die Nachbarin. „Helau, Helau, Helau“, antwortete die alte Dame. „Was der Sonnenschein für die Blume ist, ist das lachende Gesicht für den Menschen“, rezitiert sie einen Spruch, der ihr gerade in den Sinn kommt. Woher auch immer. Vielleicht war ihr gerade danach. Die Nachbarin lächelt sie verständnisvoll an und trifft kurzerhand allein die Entscheidung „Wir nehmen die Sahneschnittchen und gut ist es.“„Ja, gut ist es“, antwortet Ihre Freundin zufrieden. Dann wendet sich die alte Dame mir zu. Ich pfeife gerade leise immer noch meine Melodie vor mich hin „Kein Schwein ruft mich an....“

Ungläubig und ein wenig skeptisch schaut sie mich von der Seite aus an. „Kennen wir uns? Hab ich sie nicht schon mal gesehen? Wohnen Sie nicht auch in der Ringstraße?, fragt sie mich unverblümt, ohne auf meine Antwort zu warten. Die Dame rückt näher zu mir heran, um zu lauschen, welche Melodie ich da so vor mich hin pfeife. „Was summen sie denn da? Das kenn ich doch“. Plötzlich lächelt sie mich an und singt völlig ungeniert mit glockenklarer Stimme: "In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee. Du sprachst kein Wort, kein einziges Wort und wusstest sofort, dass ich dich versteh. Und das elektrische Klavier, das klimpert leise eine Weise von Liebesleid und Weh..."

Ich stehe an der Kuchentheke neben der fröhlichen Dame und muss unwillkürlich lachen. Und nicht nur ich. Sowohl ihre sympathische Begleiterin, als auch die Bäckerei-Verkäuferinnen und einige Gäste im Café stimmen nach und nach in den Song mit ein. "In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee. Und das elektrische Klavier, das klimpert leise eine Weise von Liebesleid und Weh..."

Wie ein spontaner "flash mob". Es ist wunderbar! Eine Bilderbuchgeschichte, wie sie berührender nicht sein kann. Eine Situationskomik, die das Leben schreibt. In einer kleinen Konditorei in Arnsberg. Filmreif. Nur der Regisseur fehlt. Die Dame Thea strahlt in ihrem hochbetagten Alter in diesem Augenblick ein Glücksgefühl aus, das mich tief beeindruckt. Ihr Auftritt ist bühnenreif. Sie hat uns ein Lächeln in die Gesichter gezaubert. Einfach so! Danke für dieses wunderbare Geschenk! Es sind manchmal die kleinen Dinge, die das Leben so lebenswert machen.

Menschen vergessen was sie gesagt und getan haben. Sie vergessen aber nie, wie sie sich dabei gefühlt haben. (Maya Angelou)

http://www.alzheimerblog.de/author/marita-gerwin/

Kdin Schwein ruft mich an... | Foto: Marita Gerwin
Keien Sau interessiert sich für mich... | Foto: Marita Gerwin
Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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