IM DSCHUNGEL
Also, wenn Sie mich fragen:
Horst lebte zölibatär. Nein, er war nicht katholisch, aber er verließ nur selten seine Wohnung. Und in dieser Wohnung lebte er allein.
Deswegen besuchte ich ihn regelmäßig. Denn Horst war krank. Aber den Erreger seiner Krankheit konnte man nicht im Speichel oder Samen finden. Denn es gibt Krankheiten, da weiß man auf den ersten Blick...
Na ja, ich vermute Horst konnte sich schon länger nicht mehr daran erinnern, wie er sich gefühlt haben musste, als er noch gesund war. Und von seiner Krankheit wusste er nichts. Aber selbst wenn er am nächsten Tag hätte sterben müssen, er hätte es nicht geahnt. Und doch dachte ich manchmal, wenn ich ihn sah: Vielleicht sucht sich der Mensch die Krankheit aus, an der er sterben möchte.
Wenn Horst also in seinem verschwitzten Unterhemd tagsüber am Fenster saß und in seinen verwilderten Garten blickte, lächelte er spöttisch mit geschlossenem Mund:
„Ich wusste, dass Sie heute kommen würden. Ich bin ein Prophet,“ sagte er stolz, während seine buschigen Augenbrauen zuckten: “Aber selbst erfüllende Prophezeiungen halte ich mir vom Leibe.“ Wenn Horst lachte erinnerte er an eine meckernde Ziege.
„Soll ich wieder gehen?“ sagte ich gelassen. Denn Horst kenne ich schon lange.
Er aber hatte eine Art wegzuhören, wenn er etwas nicht hören wollte
Dann lächelte er nur viel sagend und beugte sich wieder über die Kladde, die auf seinen Knien lag, um geheimnisvolle Zeichen auf das Papier zu kritzeln. Dabei malmte er mit den Zähnen.
„Für mich ist jeder Tag ein Festtag,“ lachte Horst plötzlich und unvermittelt. „Dann sitze ich hier und verirre mich da draußen in der Wildnis, die mich entführte will. Aber nicht mit mir!“ knurrte er und streckte ziellos den Mittelfinger in die Luft. „Oder glauben Sie, ich lasse mich von diesen Pflanzen einschüchtern, nur weil die glauben mich zu kenne? Nein!“ sagte Horst triumphierend, um gleichzeitig seine Stimme zurückzunehmen. „ Auch ich liege hier zwischen den Blättern meiner Kladde in Deckung. Und dann schieße ich meine Worte wie Schrotladungen in diesen Dschungel, der sich schon hier auf dem Papier ausbreitet… sehen Sie mal, Doc,“ lächelt Horst und zeigte mir seine Kritzeleien, die in ihrer Strichführung kaum zu durchdringen waren. Dabei blickte er über seine Brille hinweg: „Dieser Dschungel ist gefährlich,“ raunte er ohne mich anzusehen, während er die Luft anhielt. Natürlich, es bestand kein Zweifel am Ernst der Lage.
„Ha! Hören sie wie es knallt?“ schwadronierte Horst plötzlich und lachte aufgekratzt:
„Nehmen sie sich in Acht, Doc! Sonst werden sie von meinen Worthülsen getroffen.“
„Ich trete den Rückzug an,“ raunte ich zurück, während Horst gehetzt grunzte, als führte er eine Art Selbstgespräch.
Schon als gesunder Mensch konnte Horst kaum akzeptieren, dass ihm das Leben durch die Finger glitt. Aber dass er sich noch immer, trotz seiner Krankheit, nach spektakulären Geschichten sehnte, beruhigte mich, als ich leise hinter mir die Haustür schloss.
Autor:Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg |
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