Hitlerjunge Salomon: Sally Perel erzeugt Bilder im Kopf

Salomon "Sally" Perel wird von Schülern und Lehrern des St. Ursula Gymnasiums herzlich empfangen.
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Aula des St. Ursula Gymnasiums in Neheim wird Ort des Geschehens

„1,5 Millionen Säuglinge und Kinder sterben – und ich schreie „Sieg Heil“!“, diese und viele weitere Worte brennen sich beim Vortrag von Salomon Perel aus Israel in die Köpfe jugendlicher Zuhörer in der Aula des St. Ursula Gymnasiums – und auch in den meinen.Totenstille herrscht, als der Jude Salomon Perel, genannt „Sally“, von seinem Leben, seinem Schicksal als Mitglied der Hitlerjugend und seinen zweifelhaften Taten berichtet. Taten, die ihm letztendlich das Leben retteten!

Authentisch, emotional und mit Charme zeigt sich Salomon „Sally“ Perel vor rund 300 Schülern und Lehrern des St. Ursula Gymnasiums auf seiner Friedensmission, die nach den Ereignissen in den letzten Wochen und Monaten aktueller denn je erscheint. Der fast 90-jährige Zeitzeuge besucht seit Jahren die unterschiedlichsten Schulen, um die Geschichte seines Lebens zu erzählen, insbesondere aber, um Jugendliche jeglicher Herkunft davon zu überzeugen, dass nichts, aber auch gar nichts über dem Leben steht – weder ein Glaube noch eine Religion. Seiner Meinung nach ist es die Aufgabe eines jeden Jugendlichen, ob gebürtig aus Deutschland oder nicht, sich mit der Geschichte - insbesondere die der „Hitler-Zeit“ - zu beschäftigen. Auch der Besuch des KZ Auschwitz gehöre zum „Pflichtprogramm“ - so etwas dürfe sich niemals wiederholen!

Die letzten Worte einer liebenden Mutter: „Du sollst leben!“

Sally Perel, geboren 1925 in Peine, (er)lebt eine schöne Kindheit in Deutschland – bis 1935 die Nürnberger Rassengesetze in Kraft treten. Denn mit diesen wird der damals 10-Jährige kurzerhand von der Schule geschmissen. „Juden lernen nicht mehr an der Schule!“, Worte auf einem Zettel, die eine große Wunde in das Kinderherz reißen - die Familie verlässt kurzerhand Deutschland und flieht ins bereits besetzte Polen.

Doch auch dort ist sie nicht lange sicher – der Überfall auf Russland, die damit verbundene Angst vor dem Ghetto und die bevorstehende Deportation veranlassen Sallys Eltern, sich von ihm zu trennen. Sie schicken ihn auf die Flucht! „Sally, vergiss´ nie, wer du bist!“, sind die letzten Worte seines Vaters, die ihn später in einen lebenswichtigen Konflikt reißen. Denn als er nach seiner Flucht ins weißrussische Minsk vor einem Soldaten der Wehrmacht steht, sind ihm instinktiv die letzten Worte seiner Mutter: „Du sollst Leben!“, wichtiger! Kurzerhand entscheidet er sich, den Soldaten zu belügen und auf die Frage, ob er Jude sei, zu antworten: „Ne, ich bin doch kein Jude. Ich bin Volksdeutscher!“. Er hat Glück und der Soldat glaubt ihm – damit bleibt ihm das verräterische Herunterlassen seiner Hose (… diesem Vorgang sind alle Männer ausgesetzt, um zu überprüfen, ob sie beschnitten und damit Jude sind) erspart. Die Wahrheit hätte ihm das Leben gekostet – denn alle Juden werden in einen nahegelegenen Wald geführt und von SS-Truppen erschossen!

Sally Perels Eltern, wie auch die Schwester, werden später im Holocaust getötet.

Tagsüber Hitlerjunge – des Nachts verirrter Jude

Sally Perel wird „Volksdeutscher Josef (Jupp) Perjell“ und Dolmetscher in der Wehrmacht, bis er 1941 in das Hitlerjugend-Internat nach Braunschweig geschickt wird.

Hier erlebt er das pure Grauen, denn „verkleidet“ mit Uniform, Hakenkreuz und Dolch ruft er tagsüber mit den anderen Jugendlichen „Sieg Heil“, während er nachts an seiner Identität zu zweifeln beginnt: „Als Jude habe ich mich sogar schon mit der nationalsozialistischen Ideologie identifiziert. Auch ich war nicht immun gegen das „Rassengift“, welches uns injiziert wurde.“

Vier Jahre lebt er unter Todfeinden – vier Ewigkeiten mit der Angst, entdeckt zu werden! Und immer im Konflikt mit sich selbst. Denn schließlich hatte ihm sein Vater gesagt, er solle niemals vergessen, wer er ist.
„1,5 Millionen Säuglinge und Kinder sterben und ich schreie „Sieg Heil“!“, sagt Sally Perel und betont, dass er noch heute die „Schreie der Kinder in seinem Kopf“ nach dem Warum höre!

Sally Perel überlebt als „Jupp Perjell“ den zweiten Weltkrieg und wandert nach dessen Beendigung nach Israel aus. Heute betitelt er Deutschland als sein Mutterland und Israel als sein Vaterland.

40 Jahre lang hat Sally Perel zu seinem Leben geschwiegen. Niemandem groß erzählt, was ihm wirklich damals passiert ist – und mit sich selbst und seinem Gewissen gekämpft. Bis er die Gedenkstätte in Auschwitz besucht. Er schreibt seine Autobiografie, die im Jahre 1990 sogar verfilmt wird. Als „Hitlerjunge Salomon“ (international: Europa Europa) erlangt Perel weltweite Bekanntheit und beginnt mit seiner Friedensmission in Form von Vorträgen über sein Leben, seine Gefühle und vor allem, das Erlernte! Er will die „Jugend impfen“ und sensibilisieren.

„ ... noch unfassbarer ist, dass es heute Jugendliche gibt, die wieder aufmarschieren und Ausländer verprügeln!“

Sally Perel zieht innerhalb seines Vortrags ganz klare Fäden zwischen den damaligen Massenmorden am jüdischen Volk und den heutigen Neo-Nazis. 60 Millionen Menschen fielen damals dem Rassenhass des Dritten Reichs zum Opfer. Das sei unfassbar. „Noch unfassbarer ist, dass es heute Jugendliche gibt, die wieder aufmarschieren und Ausländer verprügeln!“, so Perel.

Hass schürt Verbrechen – egal auf welcher Seite. „Die heutige Jugend ist nicht verantwortlich – Schuld ist nicht erblich.“, sagt Sally Perel den Schülern in der Aula des St. Ursula Gymnasiums. Niemand solle Schuldgefühle hervorrufen, sondern Versöhnung für ein friedliches Leben.

Eineinhalb Stunden später ist der Vortrag von Salomon „Sally“ Perel beendet und immer noch herrscht ergreifende Stille – bis plötzlich alle Menschen in der Aula aufstehen und „Sally“ mit viel Applaus ehren!

„Oral History“ heißt die magische Lehrform, in deren Rahmen Fabian Timpe, Lehrer für Geschichte und Sozialwissenschaften, den Kontakt zu Salomon „Sally“ Perel knüpfte – und das war einfacher als gedacht. Denn „Sally“ ließ es sich nicht nehmen, auch die Jugendlichen ab der 10. Jahrgangsstufe des Neheimer Gymnasiums auf Mission zu schicken: „Ihr seid jetzt auch Zeitzeugen - geht raus und erzählt die Geschichte!“, heißt es sinngemäß zum Abschluss der Veranstaltung.

Autor:

Thora Meißner aus Arnsberg

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