HALT! Staatsgrenze! Lebensgefahr!

Die Mauer ist auf! | Foto: Marita Gerwin
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Das Passieren und Fotografieren war hier verboten!

Ich kanns nicht fassen. Was ich hier gesehen und gefühlt habe, werd ich nie wieder vergessen! Meinen Kindern und Enkeln werde ich es erzählen. Auch sie sollen diesen Teil unserer Geschichte nicht vergessen.

Unsere Radtour durch Sachsen-Anhalt führt uns in das Doppel-Dorf Böckwitz-Zicherie im Landkreis Giffhorn. Wir staunen nicht schlecht, als wir mitten in einem jungen Buchenwald den authentischen Standort des früheren Grenzgeländes der ehemaligen DDR in der Größe von 12.500 qm entdecken. Dies ist einer der drei operativen Grenzschleusen an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Informationstafeln erläutern uns die wesentlichen Fakten. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, als wir in dieser unberührten Natur im Grenz-Lehrpfad-Museum vor dem früheren Original Grenzsicherungszaun stehen.

Unglaublich! Sprachlos stehe ich zum ersten Mal vor dem klotzigen Beobachtungturm. Schaue hinauf und stelle mir vor, was hier bis 1989 tagtäglich geschehen ist. Mein Blick fällt unvermittelt auf die verschiedenen Einrichtungsstufen der Grenzsicherung mit einem Stahlbeton-Mauerstück, Kfz-Sperrgraben, Elektro-Signalzaun, Plattenweg, Kontrollstreifen und dem doppelten Stacheldraht-Grenzsicherungszaun. Von Menschenhand bis ins kleinste Detail ausgetüftelt. Unfassbar. Es liegt eine beklemmende Totenstille über dem Niemandsland. Kein Mensch zu sehen, soweit das Auge reicht. Nur das fröhliche Vogelgezwitscher muntert mich auf.

Auf einem Verbotsschild neben dem inzwischen vergrauten Bretterzaun lese ich in den Sprachen englisch, französisch russisch und deutsch die eindeutige Warnung "Photographieren ist nicht gestattet!" Dem Himmel sei Dank! Diese Zeit ist Gott sei Dank endgültig vorbei. Ich zücke die Kamera und schaue genau hin. Eine Szenerie, die mich einschüchtert und sprachlos zurücklässt. Ich kann mir ein Tränchen nicht verdrücken. Irgendwie kann ich es nicht fassen: "All dies ist erst 24 Jahre her!"

Die DDR bestand über 40 Jahre. Die Berliner Mauer und die 1378 Kilometer lange Grenze zwischen Ost und West teilte Deutschland über 28 Jahre!

In der Nacht zum 13. August 1961 wurden die Sperranlagen errichtet, die die Hauptstadt in Ost- und Westberlin teilten. Ich war gerade mal 7 Jahre alt. Ein I-Dötzchen. Bewusst realisiert habe ich seinerzeit diese historische Situation für unser Land nicht. Ohne Verwandte und Freunde im Osten des Landes gab es für uns im Sauerland nur wenig persönliche Berührungspunkte. Geschichtsunterricht ja, selbstverständlich. Aber trotzdem war die innerdeutsche Grenze für uns weit weg.

Mit Begeisterung haben wir die Wiedervereinigung 1989 persönlich mit erlebt.

Bei unserer Radtour durch Sachsen-Anhalt wurde mir noch einmal die Dramatik der Grenzsicherungsanlagen deutlich.

„HALT! Staatsgrenze! Passieren verboten!“

Dies lese ich auf einem knallgelben Schild. Mir stockt der Atem. Authentischer kann es nicht sein. Mir klopft das Herz bis zum Hals. Ich blicke durch den inzwischen vergrauten Bretter-Zaun, schaue mir zum ersten Mal den Signalzaun genau an, trete in den tiefgründigen Kontrollstreifen. Ich fühle und begreife hautnah, was und wie die Menschen 28 Jahre getrennt wurden.

Das Grenz-Lehrpfad-Museum im Doppel-Dorf Böckwitz-Zicherie engagiert sich „Gegen das Vergessen“. Viele Schulen kommen hin. Ein Pflichtbesuch in der Region in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Hier wird unsere Geschichte lebendig, begreifbar. Zutiefst beeindruckt und nachdenklich verlassen wir den geschichtsträchtigen Ort. Am Ausgang lese ich auf einem Schild die eindrucksvollen Worte:

“Eine Vergangenheit, der man sich nicht stellt. die man zu verdrängen und zu vergessen sucht, bleibt virulent und kann auch das Leben späterer Generationen noch belasten“.

Lebendiger Geschichtsunterricht. Unvorhergesehen. Zufällig bei einer Radtour durch Feld und Flur im Wald entdeckt. Erschütternd, eindrucksvoll und unvergessen! Danke an die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Grenz-Lehrpfad-Museums, die sich mit großem Engagement "Gegen das Vergessen" stemmen. Ohne ihren unermüdlichen bürgerschaftlichen Einsatz wäre dieses Niemandsland längst zugewuchert, bewaldet, bebaut und dem endgültigen Vergessen preisgegeben.

Gedankenverloren und etwas schweigsamer als vorher radeln wir weiter entlang eines traumhaften Naturreservates, das Seinesgleichen sucht. Raus aus dem gerade mal 24 Jahre alten Buchen- und Eichenwald. Hinein in die Sonne, der Zukunft entgegen. Was uns wohl Morgen begegnet?

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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