Ein Sabbat-Jahr stellt das Leben völlig auf den Kopf

Unser Interview beginnt. Dies wird kein Zuckerschlecken, da bin ich mir sicher. | Foto: Marita Gerwin
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"Alles Große in unserer Welt geschieht nur, weil jemand mehr tut, als er muss" (Hermann Gmeiner)

Mein Interview mit Klaus Laireiter, dem Gründer des Kinderhilfswerkes „para-niños" in Bolivien. Ein Sabbat-Jahr in Südamerika stellt sein Leben völlig auf den Kopf. Eine schicksalhafte Begegnung verändert sein Leben. Ein Lebenswerk beginnt, zieht Kreise und findet weltweit Solidarität. Klaus Laireiter ist 62 Jahre alt. Aus einer persönlichen Betroffenheit heraus, ist er seinem Herzen gefolgt und hat vor 12 Jahren das Kinderhilfswerk para-niños in Bolivien gegründet.

Ich habe die Gelegenheit, ein Interview mit ihm zu führen, dass mich zutiefst berührt und bewegt. Ich sehe Fotos von verbrannten Kindern, die mir die Sprache verschlagen, die mir den Atem nehmen und den Schlaf rauben. Er erzählt von Jungen und Mädchen, die schwerste Verbrennungen erlitten haben, durch Unfälle, Gasexplosionen, Blitzeinschläge, Verbrühungen. Von Kindern die mit einer genetisch bedingten Gaumen-Kiefer-Lippenspalte geboren werden, die ohne Operationen nicht überleben können.

„Wo bleibst Du eigentlich mit Deinen Emotionen?“ will ich von Pater Klaus Laireiter wissen.

“Manchmal weiß ich nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Es gibt Situationen, in denen ich verzweifle. Da stehst Du plötzlich vor einem Kind, schaust in die tränenüberströmten Augen und fragst Dich “Wie sollen wir das nur schaffen? Wie sollen wir diesem Kind nur Mut machen, weiter zu leben? Ich gehe vor die Tür, wenn mir zum Heulen zu Mute ist. Oftmals vertraue ich meinem Tagebuch meine Gedanken, Sorgen und Nöte an. Das hilft mir! Nicht selten bekommen sie Flügel...“

Klaus Laireiter wirkt ein wenig gedankenverloren, in sich gekehrt und doch voller Tatendrang und Willenskraft. Er steht heute nicht im Judo-Anzug mit schwarzem Gürtel auf der Matte in einer Sporthalle, aber so könnte ich ihn mir vorstellen. Ein Rangler, mit Herz am rechten Fleck und klugem Verstand, der weiß, was er will. Der begeistern kann. Dessen Vision es ist ein "fairplay" für Kinder zu sichern, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

Gibt es Dinge, die Dich sprachlos machen?

„Ich vergesse niemals den 7jährigen Ricardo, der verbrannt am gesamten Körper schon seit Monaten auf der Intensivstation behandelt wurde und in solch einer Situation zu mir sagte „Padre Klaus, DU sollst nicht leiden, lass MIR das! Wenn Du jetzt auch noch weinst, dann verlieren alle Kinder hier die Hoffnung, dass doch irgendwann alles wieder gut wird“.

„In solchen Momenten verschlägt es mir die Sprache. Ich habe so viel gelernt von diesen Kindern. Ich trage sie in einem Tuch eigenhändig zur Behandlung. Versuche ihnen die Angst vor dem Verbandwechsel zu nehmen. Ruhe in die Situation zu bringen. Ich halte die Hand, streichle ihnen über die Stirn und bin einfach nur da, wenn die Not am größten ist. Wie oft mussten wir schon loslassen Das Schlimmste für mich ist, wenn ich plötzlich vor einem leeren Kinderbett stehe...“, erklärt er mir.

Palliativ-Medizin, Palliativ-Care, Hospiz-Bewegung und Trauma-Therapie sind die täglichen Begleiter im Kinderhilfswerk „para-niños".

Haderst Du nie mit der Situation? Woher nimmst Du die Kraft, all das zu verarbeiten?

„Unvergessen ist in meinen Erinnerungen der letzte Wunsch der sterbenskranken 5-jährigen Yenny: „uno uva“ - eine Weintraube bitte! Was bin ich gerannt, um diese auf dem Markt zu kaufen. Nachdem sie eine einzige Traube genüsslich gegessen hat, schloss sie für immer ihre Augen. In solchen Momenten hadere ich mit Gott und fordere ihn buchstäblich auf, mir einen Weg aufzuzeigen, mit dieser Situation fertig zu werden.

Beim Joggen und Fitnesstraining, dass ich mir täglich gönne, um die seelischen Strapazen auszuhalten, bekomme ich den Kopf frei. Ich renne, laufe und fordere mich körperlich heraus. Lasse meinen Gedanken freien Lauf und plötzlich erkenne ich die Lösung des Problems.

Es gibt Extremsituationen, da weiß nicht, wie wir z.B. die großflächige Hautransplantation und die Gesichtschirurgie für Jenny bezahlen sollen. Sie hat schon 24 plastische Operationen hinter sich. Ich zermartere mir den Kopf und urplötzlich ruft mich jemand an und erzählt mir, dass er mit seiner Nächstenliebe etwas hinten anstehe und gern wieder einmal eine Spende überweisen möchte. Dann sage ich spontan "Dich schickt der Himmel" und freu mich wie ein Schneekönig. So konnten wir manches Mal schon Unmögliches möglich machen. Wie vor einigen Jahren, als der 10 jährige Eric durch einen Kontakt mit einer Hochspannungsleitung so schwere Verbrennungen erlitten hat, dass ihm beide Arme amputiert werden mussten. Er lag apathisch und lebensmüde in unserer plastischen Chirurgie-Abteilung und flüsterte mir zu „Padre Klaus, ich kann nicht mehr. Ich möchte sterben, dann sind alle Schmerzen vorbei“. Durch eine großzügige Spende konnten alle erforderlichen Operationen, physio-therapeutischen und trauma-therapeutische Behandlungen erfolgen, um dem Buben wieder Hoffnung zu geben. Heute lernt er allmählich sich mit seinen beiden Armprothesen anzufreunden und sich in den normalen Alltag zu integrieren“. Ich sehe Fotos von Eric. Ein 10jähriger Bub ohne Arme. Verbrannt. Unbeschreiblich. Ich frage mich, wie das Kind diese Schmerzen überhaupt aushalten kann. Seine völlig verzweifelten Eltern, Geschwisteer und Großeltern, die Tag und Nacht an seinem Bett sitzen, sind nicht in der Lage, die Kosten für die medizinische Behandlung zu tragen. Ohne „para-niños" hätte er keine Chance zu überleben.

Mir verschlägt es die Sprache. Ich ringe um Worte. Dieses Interview ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Schweigend blättern wir durch die Fotobücher, Briefe und gemalten Bilder der Kinder. Eine Fußballszene fällt mir dabei ganz besonders ins Auge. Zwei Tore. In beiden Spiel-Feldern Jungen und Mädchen, die um einen Ball kämpfen. Ein Junge im dunkelblauen Trikot des Vereins „Bolivan“ spielt mit. Auf Knien scheint er über das Spielfeld zu robben. Den Ball fest im Visier. Mit lachendem Mund und fröhlichen Augen versucht dieses Kind den Ball ins gegnerische Tor zu bugsieren.

„Wer hat Dir dieses farbenfrohe Bild gemalt?“, möchte ich gern wissen.

„Das ist Benjamin. Er hat das Bild gemalt einen Tag vor seinem Tod. Wir konnten ihn nicht mehr retten. Aber seinen letzten Wunsch haben wir ihm erfüllt. Er wollte so gern noch einmal mit seinen Freunden Fußball spielen und ein Tor schießen!“, verrät mir Klaus Laireiter. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. „Das ist uns gelungen! Eine Fußballmannschaft haben wir zusammen getrommelt. Ich habe mitgespielt, in der Gewissheit, dass wir dieses Spiel niemals wiederholen können. Am Abend schenkte Benjamin mir dieses Bild mit dem schnell dahin gekritzelten Satz „hemos pasado undia lindo“, was auf deutsch so viel heißt wie „Wir hatten noch einen schönen Tag!“ Ich bewahre diese kostbare Erinnerung, wie einen Schatz. Ich wünsche mir, dass Kinder in dieser Welt was zu lachen haben. Dafür brenne ich! Bin Feuer und Flamme für „para-niños" für die Kinder in La Paz, El Alto und Cochabamba in Bolivien. Er wirkt fest entschlossen, diesem Wunsch Taten folgen zu lassen. Klaus Laireiter wird im nächsten Monat wieder nach Bolivien fliegen, in sein geliebtes Land, zu den Kindern, die ihm so vertraut sind. Unsere Gedanken und unsere Empathie begleiten ihn und seine Mitstreiter.

Arnsberg - Wels im Mai 2013

Mein Artikel "Feuer und Flamme für para-niños" finden Sie hier:

http://www.lokalkompass.de/arnsberg/leute/feuer-und-flamme-fuer-para-nios-d293429.html

Infos zum gemeinnützigen Kinderhilfswerk „para-niños", als auch einen Fernsehbeitrag des ORF und den Song der Arnsberger Schüler „Nur eine Welt“ finden Sie auf der Webseite:

http://www.pater-klaus.at/

http://www.youtube.com/watch?v=pmzF4ygKaiY

http://www.lokalkompass.de/arnsberg/leute/sabbat-jahr-stellt-das-leben-voellig-auf-den-kopf-d7485.html

Spendenkonto: PARA NINOS- Pater Klaus, Kirchenweg 98. A-5532 Eben
Konto-Nr.: 2212 116
BLZ: 35004 Raiba Eben
BIC: RVSAAT2S004
IBAN: AT63 3500 4000 0221 2116

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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