DIE STUNDE DER FLANEURE
Unten im Hafen setzte sich Orf vor die nächstbeste Cafe-Bar. Während er die Getränkekarte überflog, lehnte er sich an die Hauswand, die noch immer von der Mittagshitze aufgeheizt war. Der Kellner kurbelte das Markisendach ein und nickte Orf zu, als wollte er sagen:
Ich komme gleich.
Ich liebe diese verschiedenen Düfte, die aus den Restaurantes herüberwehen, dachte Orf. Irgendwie roch es hier nach heißem Caffee, Fisch und Wein. Und von irgendwoher waberte aus einem feuchten Hinterhof der Duft von süßem Parfüm und Desinfektionsmittel.
Während sich am späten Abend hinter der Stadt mit der hellerleuchteten Promenade eine bedrohliche Bergkulisse in die sternenklare Nacht reckte, wehte vom Meer her ein seidiger Wind,
Das war die Stunde der Flaneure. Selbst die Einheimischen bummelten jetzt durch den Yachthafen.
Dieses Menschengewimmel beruhigt mich, dachte Orf und trank seinen Wein. Hier fühle ich mich wie ein Zuschauer, der in der Theaterkulisse sitzt. Vor mir aber flanieren korrekt gekleidete Bankbeamte und farbige Huren. Stenotypistinnen und eine Polizeistreife. Arbeitslose und Drogensüchtige. Touristen und eine Gruppe von Rentnern.
Welche Geheimnisse könnten diese Menschen mit sich herumtragen? dachte Orf. Und welche Wünsche?
Und schon betrachtete er die Szenerie wie ein Regisseur, der seine letzten Anweisungen gab. Wie ein Schönheitschirurg modellierte er in seiner Fantasie die Gesichter, die an ihm vorbeigingen.
An meinem Nebentisch zum Beispiel sitzt eine Frau, dachte Orf, der ich nur leicht die Wangenknochen anheben muß und schon habe ich ihr Gesicht gestrafft. Plötzlich lächelt sie photogen, als sei sie über alle Dinge des Lebens erhaben. Und während meine Augen ihren Busen liften, lacht sie mich an. Aber sie lacht, als sei ihr Herz allenfalls ein Muskel, den man fit halten mußte. Diese Frau werde ich jetzt ansprechen, dachte Orf. Es muß mir nur etwas Lustiges einfallen. Durch die Medien sind wir alle verwöhnt. Oder soll ich sie gleich duzen? Aber schon kommt ihr Mann vom Klo zurück. Ein kleiner Dicker mit Prostataproblemen. Während er sich setzt, lächelt er seine Frau zärtlich an. Das hat sie davon, dachte Orf. Da hilft auch nicht seine Freizeitkluft, die wie Waschseide aussieht. Und dann diese Tennisschuhe, als käme er gerade von seiner Spielgruppe zurück. Wie soll er da seine Schweißfüße verlieren? Und ich wette, der hat Schweißfüße, dachte Orf.
Da tupfe ich doch lieber dem Bengel, der auf dem Poller herumlümmelt, als bewachte er seine Yacht, die Pickel ab. Endlich verdreht er seinen Hals und sieht dort drüben das Mädchen, das mit kurzem Augenaufschlag ihre Umgebung checkt. Ich liebe diese Choreographie der selbstverliebten Blicke, dachte Orf.
Aber kaum haben sich diese beiden Menschen entdeckt, sehe ich Salvador. Im Schlepptau seiner Familie schlendert er an den teuren Restaurants vorbei. Die herausgeputzten Kinder bewegen sich wie steife Puppen. Wohlwollend, als führe er ein Gespräch, widmet sich Salvadors Schwiegersohn seinen Sprößlingen. Dabei umfaßt er wie ein Schraubstock das dünne Handgelenk seines Sohnes, der neben ihm herläuft wie an der Leine. Neben dem Vater stolziert die Ehefrau, Salvadors Tochter. Nachlässig schiebt sie den Sulky wie einen Einkaufswagen vor sich her. Da plötzlich die Räder blockieren, wendet sich die Frau an ihren Ehemann, der den Wagen übernimmt. Mit einem Ruck, als schiebe er einen Rasenmäher, stellen sich die quergestellten Räder wieder in Laufrichtung. Für die kleine Rotznase ist die Oma sofort zur Stelle. Sie zückt ihr blütenweißes Taschentuch, zupft an ihrem gehäkelten Schultertuch und lächelt.
Orf schlug die Beine übereinander und blätterte in der Zeitung. Ich bin froh, wenn ich mit niemandem sprechen muß, dachte er. Dabei genieße ich die Stunde der Flaneure, die ihren Aufzug inszenieren. Und dabei stellte sich Orf vor, wie er selber wohl aussehen würde, wenn sein Erscheinungsbild aus dem Gesichtswinkel der vorbei- laufenden Menschen zusammengesetz würde.
Während Orf in der Zeitung blätterte, betrat ein Paärchen die Cafe-Bar-Terrasse. Sie war ein hoch aufgeschossenes, blondes Wesen mit kühlem Blick, die an ihm vorbeistolzierte. Und ihr junger Freund war ein dunkelhaariger Mann mit geölten Haaren, der sich hinter seiner Sonnenbrille versteckte.Vielleicht, dachte Orf, hoffte er so besser entdeckt zu werden.
Selbstgefällig ließ das Päarchen die Blicke schweifen, als bewegten sie sich auf einem Laufsteg. Der junge Mann atmet nicht, sondern er pumpt geradezu die Luft in seine Lungen, während seine Brustmuskulatur bedrohlich zuckt. Er trug ein hautenges T-shirt, um das man fürchten mußte. Seine Freundin lächelt blasiert, als sei sie vom Luxus verwöhnt. Sie zog an ihrer Zigarettenspitze und genoß ihre herausfordernde Gesundheit. Dabei, dachte Orf, weiß ich, dass bei Tageslicht ihre Gesichtsfarbe so grau ist wie fein angesengtes Zigarettenpapier. Dafür habe ich einen Blick. Und in ihre Superoxydfrisur kriecht schon länger ein dunkler Haaransatz. Ständig zupfte sie, als säße sie im Cabriolet, in einem imaginären Spiegel korrigierend ihre Haare.
Das Päarchen war braunt gebrannt und ihre Gesichtsbräune erinnerte an die Farbe von Bronze. Oder waren sie gerade der Nährlösung eines Treibhauses entstiegen? Kurz, dachte Orf, irgendwie erinnern sie mich an wässrige Tomaten. Aber gerade diese Tomaten wollen appetitlich in ihrem Spankörbchen liegen. Und das war ihnen, dem Päarchen, gelungen.
Orf stand auf und ging in das Lokal. Unter der Decke der Cafe-Bar surrte der Ventilator. Der Barkeeper verscheuchte mit einem Tuch nachlässig die Fliegen. Orf setzte sich an die Theke, zündete eine Zigarette an und liess die Zeit verstreichen. Neben ihm sass ein älterer Mann und kaute auf einem Streichholz herum. Mit schwerem Blick umfasste der Mann wortlos sein Glas. Sein Kopf hing halslos auf dem schweren Oberkörper, den die Unterarme, die verschränkt auf dem Tresen lagen, abfederten. Der Mann summte leise vor sich hin und lächelte schief, während er mit den Augen zwinkerte. Er suchte das Gespräch.
Autor:Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg |
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