Die Frau aus dem Kirchenkreis

Frau C. organisierte in unserer Gemeinde den Bibelkreis. Natürlich war sie immer sehr beschäftigt. Irgendwie erinnerte sie mich immer an ein Wiesel. Dabei redete sie ununterbrochen, als habe sie Angst vor Gesprächspausen. Natürlich war sie jeder Zeit bereit einzuspringen, wenn die Gemeinde ihre Hilfe benötigte.
Kurz, Frau C. war jeden Tag so beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkte, dass sie grau wurde. Bis dahin hatte sie immer geglaubt ihre Haare seien blond.
Aber Frau C. war auch eine „brutal“ mütterliche Frau. Das weiß ich von ihrer Tochter, die irgendwann einmal auszog, als sie den falschen Freund mit nach Hause brachte. Er war farbig. Nun gut, für Eltern mag das gewöhnungsbedürftig sein…
„Aber, “ sagte die Tochter zu ihrer Mutter, „ bin ich für dich auch aussätzig, wenn ich in seinem Land die einzige Weiße wäre?“
Als die Mutter nicht antwortete, wurde der Tonfall ihrer Tochter noch schärfer: „Ja, was dann?! Das frage ich dich! Sind wir nicht alle Ausländer? Das steht doch auch in eurem Kirchenblättchen…“
Da ihre Mutter immer sehr beschäftigt war, konnte dieses Thema weder heute noch morgen ausdiskutiert werden. Da war es schon praktischer beim Einwohnermeldeamt nachzufragen, ob dieser junge Mann, der Freund ihrer Tochter, überhaupt gemeldet sei?! Und wenn ja… na ja, kurz und gut, er arbeite so nebenbei…Sie verstehen schon…?!
Das Einwohnermeldeamt verstand Frau C. Und plötzlich war der Freund ihrer Tochter verschwunden und Eva ausgezogen. Da wurde Frau C. von einigen Frauen aus der Gemeinde bemitleidet. Denn schließlich hatte sie ja nur diese eine Tochter…usw. usw.
Anfangs machte ich mir Sorgen um Frau C. Aber als ich dann genauer hinhörte, wenn sie über ihre Tochter sprach, entdeckte ich, dass nicht jede Träne, die Frau C. vergoss, echt war. Als ich aber dann in ihrem Wohnzimmer auch noch die akkurat geknickten Sofakissen sah, war mir klar, um Frau C. brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Und, das muss ich zugeben, ich machte mir auch keine Sorgen mehr um ihre Tochter. Denn die war ja schon lange ausgezogen.

Autor:

Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg

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