DER SCHEIDUNGSANWALT

Als Dr. A. den Raum betrat verstummte das Gespräch seiner Klienten. Er drückte mechanisch die eine oder andere Hand, während er sich hinter seinen Schreibtisch setzte und dabei die Akten auf die Tischplatte knallte, als wollte er sagen:
"Hier wagt mir keiner zu widersprechen!"
Dabei sah er mürrisch auf seine Uhr und jeder im Raum wusste von dieser Uhr hing nun die Länge der „eigenen“ Antworten ab.
Dr. A. war spezialisiert auf Ehescheidungen. Und es gab das Gerücht, dass er anschließend, wenn ihm eine Frau, die er im Scheidungsprozess vertreten hatte, gefiel, versuchte, gerade diese Frau zu „trösten“.
Da konnte man nur hoffen, dass es der einen oder anderen gelang vorübergehend seine mürrische Miene aufzuhellen. Denn Dr. A. hatte um die Nase herum tiefe Falten, die auch seine Augen herabzogen wie bei einer Bulldogge. Da blieb vermutlich der einen oder dem anderen, mit dem er zu tun hatte, das Wort im Munde stecken.
Ich aber weiß, er litt unter Magengeschwüren.
Immerhin, Dr. A. hatte flinke Augen, die alles sahen, aber nichts verrieten. Dabei verfügte er durchaus über die „leisen Töne“, wenn er den erfolgreichen Anwalt darstellte und dabei seine Inszenierung genoss nach dem Motto:
"Mir macht hier keiner etwas vor!"
Und welcher Mann freut sich nicht, wenn sich die Gerüchte um seine vermeintlichen Affären drehen? Auf diese Weise entwickelt das Leben dieser Männer einen geradezu exotischen Reiz.
Aber selbst, wenn Dr. A. wie ein Eintänzer grinste, wenn ihn diese Gerüchte mal wieder erreichten, waren seine Augen auf merkwürdige Weise verschlagen. Dieser Blick, der ruhelos zuckte, war nicht bereit irgendetwas zurückzunehmen.
Im Gegenteil, er gehörte zu den Menschen, die jede Schwierigkeit, die ihnen das Leben bot, aus dem Wege räumte. Mit diesem Blick konnte man sich in jeder Vorstadt durchsetzen wie ein Straßenjunge. Das ist vermutlich keine Gabe, die man durch die Erziehung erhält. Aber, wird sich Dr. A. gedacht haben, diesen Blick, seinen Blick, liebten die Frauen nicht nur im Kino.
Und Dr. A. liebte es im Mittelpunkt zu stehen.
Vermutlich gab er deshalb auch keine Ruhe bis er alle Menschen, mit denen er beruflich zu tun hatte, mundtot geredet hatte.
Und wenn er dann mit seinem säuerlichen Gesicht in meiner Sprechstunde saß, erinnerte mich Dr. A. an einen juristischen Auftragskiller, der nach seiner vollbrachten Arbeit kotzen musste.
Ich sagte ja, Dr. A. litt unter Magengeschwüren.

Autor:

Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg

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