Der Schalterbeamte

Herr R. hatte den Blick eines Menschen, der einem nicht offen in die Augen sah. Dafür war er pünktlich wie eine Stechuhr. Zum Glück war er nicht mein Nachbar. Ich bin mir sicher, er hätte dafür gesorgt, dass ich ordentlich den Müll trenne.
Kurz, ich mochte Herrn R. nicht. Vielleicht, weil ich glaubte, er sei mit diesem höhnischen Grinsen zur Welt gekommen. Und doch war es ein zensierender Blick, als verfasste er geheime Berichte. Zur Zeit meiner Eltern hätte man noch vor diesem Mann strammgestanden.
Herr R. also saß hinter seinem Schalter und taxierte lauernd seine Kunden. Vermutlich prüfte er: Wie weit kann ich gehen? Und, da war ich immer überzeugt, er würde bis zum Äußersten gehen. Aber was Herr R. dachte, sagte er nie. Im Gegenteil, wenn man mit ihm sprach, musste man glauben "unsichtbar" zu sein. Oder kontrollierte er einen Monitor?
Dann grunzte Herr R. nur ohne eine Meinung von sich zu geben. Denn er ließ nur mit sich reden, wenn man auf seine knappen Stichworte hin antwortete. Und das, was man dann sagte, verarbeitete er wie nach einem Dienstplan. Aber da war es schon wieder – dieses verdammte, höhnische Grinsen. Das war das Grinsen eines Richters, der den Angeklagten verurteilt, als nehme er an ihm Rache. Dazu hatte Herr R. auffällig große Ohren. Ich war mir immer sicher, er konnte auch das hören, was er nicht hören sollte. Gefielen ihm aber die Antworten nicht, trat er ungeduldig von einem Bein auf das andere.
Als Herr R. aber plötzlich in meinem Sprechzimmer saß und mich höhnisch angrinste, stelle ich fest: er hatte eine Gesichtslähmung.

Autor:

Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg

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