DER ERMITTLER

In seinem Berufsleben war er ein umtriebiger Mann.
Aber wenn er dann zu Hause an seinem Schreibtisch sass und weit über die Landschaft blickte, fühlte er sich wie ein Eremit, der sein Leben als Einzelgänger genoß.
Vielleicht, dachte er, steckt in jedem Menschen diese Sehnsucht.
Denn nur er, der Einzelgänger, glaubt allein zu wissen, was für ihn richtig oder falsch ist. Und somit negiert er oft genug den sogenannten gemeinsamen Nenner, an den sich die Gesellschaft glaubt halten zu müssen.
Nun, „Sisyphos“ hiess er nicht - aber trotzdem oder gerade deswegen suchte er, wenn er an seinem Schreibtisch saß, immer wieder nach Worten, um den Standpunkt der Menschen, die ihn in seinem Berufsleben umgaben, zu verstehen.
Was lag da also näher, dass er versuchsweise in die Rolle des einen oder anderen Menschen schlüpfte und deren Verhalten wie ein Bauchredner kommentierte?
Im Übrigen, dachte er, verhalf er diesen Protagonisten dadurch auch zu einer Art zweiten Existenz
Bei derartigen Rollenspielen also hinter dem Schreibtisch hatte er nie Angst seinen Einsatz zu verpassen. Und auf den Theaterdonner konnte er ohnehin verzichten. Er überlegte aber auch nicht lange bei welchem Licht seine Protagonisten ihren Text aufsagen sollten.
Obwohl, manchmal träumte auch er davon, daß der Vorhang aufging und er seinen Text vergessen hatte. Aber im gleichen Augenblick wusste er auch:
Diese peinliche Situation gehörte zum Spiel. Denn nur er, der Regisseur, verteilte die Rollen so, wie er es für richtig hielt.
Zugegeben, dem Geschmack des Publikums kam er so nur selten auf die Spur. Aber, dachte er oft, auch Minderheiten haben ein Recht auf Unterhaltung.
Dabei teilte er den Zungenschlag seiner Figuren, die sich bei ihm endlich so benehmen konnten wie sie es vorher noch nie gewagt hatten.
Aber irgendwann gaben sie ihn, der hinter seinem Schreibtisch klebte, trotzdem zur Rasterfahndung frei:
Denn er sei süchtig. Süchtig nach dem „Wort“ und weißem Papier. Deshalb sei er auch ständig auf der Flucht. Denn er sei geradezu ein Verwandlungskünstler mit immer neuen Identitäten, von denen er sich aber sogleich befreie, als wechselte er sein Hemd.
Aber gerade das mache den Zugriff auf ihn so schwer. Denn der entscheidenden Frage habe er sich immer entzogen:
Was sollen seine Wortspiele, an denen er sich berauscht, obwohl gleichzeitig überall auf der Welt Menschen gerade wegen dem „Wort“ ermordet oder gefoltert würden?
Wie auf ein Stichwort hin schlüpfte der Mann hinter dem Schreibtisch in seine neue Rolle als Ermittlers, der sogleich mit seinen umfangreichen Recherchen begann, um diese Frage zu beantworten.

Autor:

Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg

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