BEKENNTNISSE ZUM FRÜHSTÜCKSEI
Eura kam aus dem Bad und trocknete ihr Haar. Sie schlug das Handtuch um den Kopf und wischte die Wassertropfen aus der Stirn. Mit dem Fuß angelte sie nach ihrem Slipper:
„Ich habe beschlossen nicht länger unglücklich zu sein, “ sagte Eura beiläufig, als lese ihm aus der Zeitung vor.
„Das sind Bekenntnisse zum Frühstücksei, “ lächelte Orf gleichgültig, während er die Kaffeemaschine bediente. „Im ersten Tageslicht fällt es schwer zu lügen,“ sagte er, als sei für ihn damit das Thema beendet.
„Was weißt du schon von der Lüge?“ sagte sie sachlich, als habe sie schon längst ihren Entschluss gefasst. „Du bist so dumm... wenn ich dir die Wahrheit sage, glaubst du mir nicht. Und wenn ich dich belüge, bist du beruhigt.“
Orf setzte sich an den Frühstückstisch und blätterte in der Zeitung.
Wenn ich schon die Realität ertragen muss, dachte er, dann muss ich mich auf ein langsames Tempo einstellen. Von ihren Überraschungen jedenfalls habe ich die Nase voll.
Er wollte nicht mehr gestört werden. Erst nach dem Kaffee bin ich bereit ihre Launen zu ertragen, dachte Orf. Zu seiner Verwunderung schwieg sie.
Diese unerwartete Stille genoss er. Das Papier seiner Zeitung raschelte wie Herbstlaub.
„Nichts geht über einen interessierten Zeitgenossen…,“ stichelte Eura. Orf knurrte wie ein gutmütiger Hund. Ihre Lippen kräuselten sich in feinem Spott. „Wirklich, ich bin beeindruckt… sicher erwartet der Herr, dass ich den Tisch decke!?“ Eura lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf wie bei einem Sonnenbad. Dabei gähnte sie, als teilte sie einem Angestellten die Arbeit zu. Ihre Augenlider waren zerknittert wie feines Zigarettenpapier.
Sie erinnert mich oft an ein schläfriges Reptil, dachte Orf. Und schon reißt es im nächsten Augenblick sein ahnungsloses Opfer unter Wasser. Unter diesen Umständen kann ich mich auf Nichts konzentrieren, dachte er. Nicht einmal auf die Stille.
„Ich hasse deine Zeitung, “ sagte Eura.
„Du bist eine Mänade, “ sagte er.
„Mit deinem Bildungsschrott kannst du mich nicht länger einschüchtern.“
„Das war das rasende Weib im Gefolge des Dionysos, “ sagte er und blätterte in der Zeitung.
„Der war jedenfalls nicht so langweilig wie Du, “ gähnte Eura.
„Ich wurde doch nicht geboren, um Dich zu unterhalten, “sagte Orf ohne von der Zeitung aufzusehen. Umständlich steckte Eura eine Zigarette an.
„Du bist so unterhaltsam wie unser Anrufbeantworter, “stichelte sie erneut und spielte mit dem Feuerzeug.
Und du bist so launisch wie ein Wettermännchen, dachte Orf.
Eura konnte stundenlang am Frühstückstisch herumsitzen und ihr Elend beklagen. Aber dieses Elend hatte nicht die Größe eines Dramas.
„Kennst du keine andere Melodie?“ fragte er gereizt.
„Demnächst kann ich ja gleich im Bett bleiben…“
Wie oft benahmen wir uns wie Schiffbrüchige, die ihr Schöpfwasser immer in verschiedene Eimer kippten, dachte Orf. Aber dass dabei unser Boot absoff, merkten wir nicht.
„Eigentlich bin ich dumm, dass ich mich nicht auf dein Frauenbild einlasse,“ lächelte Eura gleichgültig. „Du brauchst keine Frau, sondern ein Maskottchen…“
„Da bleibt die Ehe stabil…,“ lachte er gehässig. Und er dachte, warum geht sie nicht endlich zu einem Rechtsanwalt?
„Natürlich…, “ zischte Eura, „ der Herr wünscht sich eine Frau, die singend in der Küche steht und die Familie sitzt am Tisch und lässt sich bedienen.“
„Gibt’s das...?“ lachte er genervt.
„Und zwischendurch spiele ich das Fräulein vom Amt. Hallo?! Hallo?! Nein, es tut mir Leid… mein Mann ist nicht zu Hause…, “flötete Eura wie eine Telephonistin. „Darf ich etwas ausrichten?“
Orf nickte gleichgültig, als sei sie nun endgültig entlassen.
„Das halte ich nicht länger aus…!“ sagte Eura sachlich, als komme sie zu einem endgültigen Urteil.
Orf reagierte nicht. Je aufsässiger sie ihn ansah, desto entschlossener schwieg er.
„Warum soll ich ab Heute nicht alles falsch machen?“ sagte Eura. „Das ist ein besseres Gefühl, als immer nur alles halb richtig zu machen…“ Dabei betrachtete sie gedankenverloren ihre manikürten Nägel. „Ich war immer wie ein Regenbogen. Man kann seine Strahlen ablenken und seine Farben zerlegen. Aber vom Himmel vertreiben kann man ihn nicht.“
Auch ich hätte anders leben können, dachte Orf. Aber nachträglich sucht jeder ein Motiv, das alles erklärt. Wie könnte man sonst begreifen, was man nicht versteht?
„Ich war immer nur so, wie du es wolltest…“ lächelte Eura kalt. „Ich war die Anzahlung auf dein Glück…“
Sie verstand es schon immer gut, die Fragen, die nicht gestellt wurden, falsch zu beantworten, dachte Orf.
Als aber das Telephon klingelte, sprang Eura auf, als hätte sie schon lange auf diesen Anruf gewartet. Sie drehte Orf den Rücken zu und klemmte wie bei einer Gymnastikübung den Hörer zwischen die hochgezogene Schulter und ihrem Kinn. Dabei köpfte sie das frisch gekochte Frühstücksei, als bestehe Frühstücken und Telephonieren aus einem Handgriff.
„Wer so frühstückt, hat alle Hände voll zu tun…,“ stichelte Orf. Aber Eura beachtete ihn nicht mehr.
Autor:Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg |
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