Am Bahnhof - Irgendwo in unserem Land...
Bei unserer Radtour durch das Münsterland entdecken wir diese Szene, die mich zutiefst berührt. Ein Bahnhof, vom Feinsten: modern, sauber. Die IC-Züge rasen vorbei. Menschen eilen, hasten, rasen, rennen, um den Zug nicht zu verpassen. Ein turbulentens Treiben.
Hinter einem gläsernen Wartehäuschen, auf dem Rasen entdecke ich einen Mann. Eingehüllt in einen grünen Daunen-Schlafsack. Daneben drapiert - seine abgewetzten Wanderschuhe und eine leere Flasche Rotwein!
Niemand der Vorbei-Eilenden beachtet den dort liegenden Mensch. Ich frage mich "Was ist mit ihm los? Ist er betrunken? Hat er kein Zuhause? Lebt er als "Nichtsesshafter" auf der Straße? Ohne ein Dach über dem Kopf? Allein? Verlassen? Abgestellt?
Während ich noch darüber nachdenke. kommt ein kleiner Junge, vielleicht 7 Jahre alt, mit seinen Eltern den Weg entlang geradelt. Er entdeckt das Bündel Mensch, steigt spotan vom Rad ab, läuft auf ihn zu, stupst ihn an und fragt unerschrocken: "Was ist mit Dir los? Brauchst Du Hilfe? Wieso schläfst Du hier auf der Wiese? Hast Du kein Zuhause?"
Von Berührungsängsten keine Spur.
Der Mann auf dem Rasen dreht sich im Zeitlupen-Tempo aus dem Schlafsack heraus, strahlt ihn an und antwortet schlaftrunken: "Na. Du kleiner Mann. Schön, dass Du mich aufweckst. Kennst Du das Gedicht "Des Wanderes Nachtlied?" Der Junge ist etwas irritiert. Mit solch einer Antwort hat er nicht gerechnet. Noch eher der Kleine antworten kann, rezitiert der Mann im Schlafsack:
Ach ich bin des Treibens müde.
Der Du von dem Himmel bist,
alles Leid und Schmerzen stillest,
den der doppelt elend ist,
doppelt mit Erquickung füllest.
Ach ich bin des Treibens müde,
was soll all der Schmerz und Last?
Süßer Friede, komm,
ach komm in meine Brust!
Der Mann lächelt das Kind an, dreht sich um, wickelt sich wieder in seinen Schlafsack ein und schlummert dahin. Am Bahnhof irgendwo im beschaulichen Münsterland...
Autor:Marita Gerwin aus Arnsberg |
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