Uwe Christian Arnold – „Letzte Hilfe“ Rezension von Gabriele Redlinger
Das Buch „Letzte Hilfe“ von Uwe Christian Arnold im Rowohlt-Verlag erschienen, hat mich beeindruckt.
Beim Lesen des Buches fühlte ich sehr häufig, dass das Buch gut recherchiert ist.
Arnold schildert eindringlich die geschichtliche und sozialkritische Entwicklung des Freitodes sowie dessen Auseinandersetzung innerhalb der Gesellschaft von der Antike bis zur heutigen Diskussion zu diesem Thema. Obwohl deutlich stellungnehmend, ist dieses Buch nicht reißerisch. Es versucht nicht zu überreden, sondern zu überzeugen, dass der Mensch als mündiger Bürger das Recht haben soll, mit der Verwendung der körperlichen Hülle so lange zu leben, wie der einzelne Mensch dieses möchte.
Freitod eines Komapatienten und die EuGH -Entscheidung
Während ich dieses Buch noch las, entwickelte sich die EuGH-Entscheidung des Franzosen Vincent Lambert, welcher seit Jahren im Wachkoma liegt.
Wie schwierig das Thema ist, zeigt sich bereits innerhalb der Familie des Wachkoma-patienten. Während die Ehefrau und ein Teil der Geschwister sowie der behandelnde Arzt einen Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen befürworten, sind die Eltern und zwei weitere Geschwister strikt dagegen. Die unterschiedlichen Auffassungen führten daher zu jahrelangem Rechtsstreit bis vor den Europäischen Gerichtshof.
Der EuGH hat nun entschieden, dass die Sondenernährung abgebrochen werden darf, was zwangsläufig den Tod des Vincent Lambert zur Folge haben wird.
Die Frage ist hier, ob auch Lambert der Meinung des Gerichtes gewesen wäre.
Der sanfte Tod
Hier knüpft das Buch einen besonderen Bogen. Es gibt Einblicke in die Entscheidungs-parameter der Personen, die Herrn Arnold um Hilfe gebeten haben, damit ihnen ein „sanfter Tod“ sicher ist.
Menschen, die seit Jahren eine schwierige und teilweise infauste Krankheitsgeschichte haben, die wissen, dass ihr Weiterleben mit noch umfangreicheren Einschränkungen und Schmerzen verbunden sein wird, diese Personen wenden sich an Herrn Arnold.
Sie alle haben eine freie Entscheidung getroffen – sie wussten, was ihre Entscheidung in letzter Konsequenz bedeutet. Uwe Christian Arnold macht deutlich, dass er nicht jede Bitte, welche an Ihn herangetragen wird, so erfüllt. Das ist im persönlichen Fall eines Menschen auch sicher sinnvoll. Es ist immer ein Einzelschicksal, das geklärt wird.
Der Begriff Euthanasie – in der Nazizeit völlig falsch verwendet und damit innerhalb des deutschsprachigen Raumes als positive Begrifflichkeit zerstört – bedeutet schöner Tod. Ich gehe davon aus, dass sich jeder Mensch einen schönen, sanften Tod wünscht, weil niemand leiden möchte.
Geschichtliche Entwicklung des Freitodes
In der Antike noch als ehrenhaft angesehen, sich selbst das Leben zu nehmen, wurden Selbstmörder im Mittelalter noch ein „zweites Mal“ getötet – sozusagen als Bestrafung für ihre Tat. Innerhalb der Aufklärung gelang es dann Voltaire, die Bestrafung im Gesetzbuch bei Freitod in Preussen streichen zu lassen. Trotzdem galt im 18. und 19. Jahrhundert eine Freitodhandlung als sittenwidrig.
Mag es auch über die vielen Jahrhunderte unterschiedliche Rechtsauffassungen von Suiziden geben, so ist allen eins, dass der Schmerz und eine persönlich empfundene Würdelosigkeit vermieden werden soll.
Sterbehelfer oder Lebenshelfer
Daher empfinde ich die Bezeichnung Sterbehelfer für Herrn Arnold als nicht zutreffend. Herr Arnold gibt eine Gewissheit für die Menschen, die wissen, dass es ihnen eines Tages schlechter gehen wird. Er gibt die Gewissheit, dass sie sich nicht auf die Bahngleise stellen müssen ( und damit der Zugführer eventuell psychische Konflikte erleidet), dass sie sich nicht vom Hochhaus stürzen müssen ( und damit vielleicht auch unbeteiligte Personen mit einem schaurigen Anblick schocken.).
Die Gewissheit, in einem fernen Augenblick in einen sanften Schlaf zu gleiten, aus dem es kein Erwachen gibt – das ist das, was viele Menschen beruhigt, die schwer krank sind.
Psychische Erkrankungen, die zu einem Todeswunsch führen, sind von einer Hilfe zum Freitod ausgenommen. Allerdings dürfen dann in der Konsequenz des oben Gesagten auch die Klassifizierungen von Menschen, die eine Freitodabsicht haben, in medizinischer Hinsicht nicht mehr als psychisch krank gesehen werden.
Denn, so argumentiert Arnold, der Mensch, der klaren Verstandes ist, sich seiner Krankheitsgeschichte gewahr wird und eine infauste – also tödlich verlaufende – Erkrankung hat, der ist nicht psychisch krank – der hat einfach nur Angst, dass ihm die Möglichkeit eines sanften Todes verwehrt wird.
Ich sehe als Leiterin eines Seniorenheimes jeden Tag Menschen, die schwerkrank sind bzw. auch Menschen, die in meiner Einrichtung versterben.
Meine Bewohner begleite ich bis zur letzten Minute und auch bis an das Grab. Es ist mir immer ein Bedürfnis, mich so zu verabschieden. Mein Respekt vor dem Leben des Bewohners bzw. der Bewohnerin verlangt dies.
In der Einrichtung erwarte ich von jedem Mitarbeiter, Verständnis für die Situation der Bewohner und würdevollen Umgang sowie eine exzellente Pflege. Daher wurde mir noch nie eine Bitte nach Unterstützung zum Freitod bekannt.
Es ist aber mein Verständnis von einem guten Leben und einem humanen Sterben, dass es Möglichkeiten geben muss, bei klarem Bewusstsein eine derartige Bitte zu äußern, die dann die umgebenden Personen zu unterstützen haben.
Daher ist Herr Arnold für mich ein Lebenshelfer. Durch die Gewissheit, dass der Tod sanft ist, kann ein kranker Mensch lange und in Ruhe leben, um dann auch in Ruhe gehen zu können.
Empfehlung und Fazit
Auch schon aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion zu diesem Thema empfehle ich dieses Buch all denen zu lesen, die im Zweifel sind, ob ein sanfter Tod in der Gesellschaft gewollt sein darf oder im Zusammenhang mit einem düsteren deutschen Kapitel abzulehnen ist. Jede Person muss für sich die Entscheidung treffen, denn ausnahmslos alle Leser dieses Artikels – also auch Sie! - werden eines Tages vor dieser Frage stehen.
Lesenswert, weil gut geschrieben.
Gabriele Redlinger
Autor:Gabriele Redlinger aus Arnsberg |
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