Unvergesslich, meine Uroma Hedwig!

Jung und Alt entdecken sich neu | Foto: Marita Gerwin
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Urgroßmutter Hedwig ergreift Lauras Hände nur für kurze Zeit. Ihr Herz ergreift sie für immer.

Eine anrührende Geschichte über die innige Freundschaft zwischen der 5-jährigen Enkelin Laura und ihrer 86-jährigen, demenzerkrankten Uroma Hedwig.

"Sagen Sie mal, junge Dame, wer sind Sie eigentlich? Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor? Haben wir uns schon einmal gesehen?“ fragte Uroma Hedwig ihre Enkelin Laura. Zuerst stutzte Laura ein wenig irritiert. Uroma Hedwig machte sicher einen Scherz mit ihr. Oder wusste sie es wirklich nicht? Laura zweifelte einen Moment lang. Doch dann lächelte sie ihre Uroma verschmitzt an, blinzelte ihr ein Auge zu, streichelte dabei zärtlich ihre Hand und hüfte auf ihren Schoß, so wie sie es immer getan hat. „Ich bin Deine kleine Laura und Du bist meine Lieblings-Uroma Hedwig!“

„Das ist ja schön!“ strahlte die 86-jährige Dame erleichtert. Laura hatte das Gefühl, als wenn Uroma Hedwig ein Stein vom Herzen gefallen wäre. Laura ist gerade 6 Jahre alt geworden. Sie weiß inzwischen, was in Uromas Kopf los ist. Die Mama hat ihr erzählt, dass Uroma Hedwig´s Gehirn nicht mehr so gut funktioniert. Erst war die Uroma nur ein bisschen vergesslich. Dann hat sie Laura dreimal am Vormittag das Gleiche erzählt und gefragt „Sag mal, hab ich das sonst auch immer so gemacht?“ Manchmal flüsterte sie Laura heimlich zu: „Weißt Du noch, wie ich heiße?“

Was war nur passiert im Kopf von Uroma Hedwig? „Ist es nebelig in ihrem Kopf?“, fragt Laura interessiert nach. Ihre Mama lächelt „Ja, so kann man es vielleicht erklären. Doch es gibt immer wieder kurze Momente, da ist alles klar in ihrem Kopf. Es gibt tief im Gehirn ein Zentrum, in dem ihre Gefühle und Erinnerungen schlummern und darauf warten, von uns geweckt zu werden. Besondere Erlebnisse ihres Lebens, schöne und auch weniger schöne, hat sie dort abgespeichert. Manche gehen leider für immer verloren, doch ihr Herz wird nicht dement, da bin ich mir ganz sicher“ erklärt ihr die Mama. „Das Herz wird nicht dement? Was bedeutet denn das Wort dement?“ will Laura wissen. „Kann sich Uroma Hedwig, deshalb auch nichts Neues mehr merken? Wann wird sie denn wieder gesund?“

Fragen über Fragen, die Laura auch mit in ihre KITA in Arnsberg nimmt. Viele der KITA-Kinder haben gar keine Uroma mehr. Neugierig und gespannt schauen sie sich zusammen mit ihren Erzieherinnen das zauberhafte Bilderbuch „Opa. ist....Opa“ an. Diese einfühlsame und anrührende Geschichte von Pepe und seinem Opa erklärt Ihnen die wundersame Vergesskrankheit. Sie sitzen im Kreis und werfen sich kreuz und quer eine Wollknäuel zu. Ganz allmählich entsteht ein Netz mit vielen Verbindungen und Maschen. Genauso ist es im Gehirn eines Menschen. Immer engmaschiger, immer verzweigter wird das Netz aus Wolle, bis alle Kinderhände voll zu tun haben. Die Erzieherin lässt kleine Zettel in das Fadengewirr regnen, das wie ein kunterbuntes Netzwerk aussieht. Einige Zettel, die Uroma Hedwig´s Erinnerungen darstellen sollen, bleiben auf dem Woll-Netz liegen. Anderen fallen durch die Maschen hindurch. Unwiederbringlich purzeln sie auf den Boden, schweben dahin und dorthin. So wie die Erinnerungen von Uroma Hedwig. Jetzt verstehen die 5 und 6 Jährigen, was im Gehirn passiert, wenn die Vergesskrankheit eingesetzt. Dass sich die Krankheit nicht bessern wird, begreifen sie mit all ihren Sinnen. Aber auch, dass Uroma Hedwig Hilfe braucht. Jemand der sie versteht, dem sie sich anvertrauen kann, der sie liebt, auch wenn sie vergesslich ist. „Die großen Leute nennen das „Demenz“ oder „Alzheimer“, erklärt ihnen die Leiterin der KITA.

„Von Außen sieht Deine Uroma Hedwig aber ganz normal aus“, stellt Emma fest. „Das liegt daran, dass man die Vergesskrankheit nicht sehen kann, so wie ein Gipsbein bei einem gebrochen Fuß“, weiß Patrick, der pfiffige Blondschopf in der KITA-Gruppe. „Oder wie ein Kopfverband beim Loch im Kopf. Oder wie ein knallroter Kopf, wenn man Fieber hat!“ sprudelt es aus der munteren Kinderschar heraus. Sie alle hören gebannt und wissbegierig zu, als die Erzieherinnen ihnen erklären, dass Menschen, die demenzkrank sind, vielleicht an manchen Tagen vergessen, wann es Morgen, Mittag oder Abend ist. Dass sie vielleicht gar kein Hunger und Durst mehr spüren. An anderen Tagen denken sie vielleicht Mittags daran, dass sie ein leckeres Essen kochen möchten, wissen aber nicht mehr, dass Salz ins Wasser gehört, um die Kartoffeln zu kochen. Oder sie verlaufen sich, weil sie nicht mehr wissen, wo sie wohnen. „So war es auch bei meiner Uroma Hedwig, die hat sich verirrt, als sie allein spazieren gegangen ist. Sie hatte einen Koffer dabei und wollte zu ihrer Mama verreisen!“, erinnert sich Laura. „Oh, Hilfe.... lebt die Mama von der Uroma denn noch? Die muss ja dann 1000 Jahre alt sein! Wie habt ihr sie denn wieder gefunden? Hatte sie ein Handy dabei, dass sie Euch anrufen konnte?“, fiebern alle Kleinen Strolche besorgt mit. Laura denkt mit Gänsehaut an diesen Schrecken zurück. „Alle Nachbarn und Freunde haben geholfen Uroma Hedwig zu suchen. Kurz bevor es dunkel wurde, haben wir sie endlich gefunden. Sie hatte so eine Angst! Und ich auch!“ erinnert sich Laura.

Die Erzieherin streichelt ihr tröstend über den Kopf und greift die Situation auf. „Ja, Menschen mit der Vergesskrankheit brauchen andere Menschen, die an das denken, was sie selbst vergessen. Die für sie da sind, so wie Eure Eltern, Geschwister, Freunde und die Erzieherinnen in der KITA für Euch da sind. Ihr Kinder braucht ja auch gelegentlich Hilfe, bis Ihr erwachsen seid. So ist das auch im Alter.“

Ohne große Worte verstehen die Kinder, um was es eigentlich geht:

Um Respekt, Wertschätzung und Würde bis zum Lebensende!

http://www.flickr.com/photos/wissenschaftsjahr/9915624195/

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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