Kinderlärm ist Zukunftsmusik - auch im Seniorenheim!

Tiere verbinden Generatioen | Foto: Katja Burgermeister
2Bilder
  • Tiere verbinden Generatioen
  • Foto: Katja Burgermeister
  • hochgeladen von Marita Gerwin

Arnsberg. 16 kleine Kinderfüße trippeln aufgeregt die Treppe herauf. In der Hand und im roten Sandeimer Büschel mit dottergelben Löwenzahnblumen, Pusteblumen, Grasbüschel – mit Stumpf und Stiehl ausgerupft, am Wegesrand. Erde rieselt auf die Treppenstufen des Evangelischen Altenheims Zum Guten Hirten in Arnsberg. Noch ist es still im Haus. Doch das wird sich gleich ändern. Lebhaft wird es auf den Fluren. Acht kleine Strolche der Städt. KITA, Auf der Alm in Arnsberg besuchen heute wieder ihre Nachbarn. 80/ 85/ 90/ 102 Jahre alt. Jahrzehnte liegen zwischen ihnen. Beide Generationen strahlen um die Wette, als sie sich begegnen. Heute wird’s ein schöner Tag!

Eine muntere Schar wirbelt durch das Haus. Die Türen gehen auf. Frau M., 83 Jahre, wartet zusammen mit den Anderen schon ungeduldig auf die kleinen Strolche. Ganz unbefangen mit seinen gestylten und gegelten Haaren und den roten Wangen setzt sich der ein Meter große Strahlemann neben die alte Dame. Zwei Vertraute. Gute Freunde inzwischen. “Guck mal, was wir Euch heute mitgebracht haben. Ganz viele Löwenzahnblumen“, ruft er mit kräftiger Stimme in die Runde. “Wie schön die gelbe Blüte ist. Wir haben früher Kuhblume dazu gesagt, weil die zu Massen auf der Kuhwiese standen. Und wenn sie verblühen, dann ...“

Noch ehe der alte Herr zu Ende sprechen kann, sprudelt es schon aus dem flotten Kindermund heraus: „wird eine Pusteblume d´raus!“ Beide lachen. Sie blasen die Wangen auf und pusten zusammen die kleinen Fallschirme durch den Raum. Überall wirbeln sie herum – und die Kinder hinterher. „Und im Stängel ist eine Milch, mit der wir als Kinder unsere Warzen behandelt haben. Das hat gewirkt. Echt!“.

Die Kleinen verstehen irgendwie nicht, was die alte Dame meint. „Was sind denn Warzen?“, wollen die 5-Jährigen wissen. „Wisst Ihr denn auch warum wir die Pflanze Löwenzahn nennen?“, fragt die Erzieherin in die Runde. Jung und Alt haben sofort eine Antwort parat: “Klar, guck Dir doch mal die Blätter genauer an, wie gezackt die aussehen. Wie gefährliche, scharfe, spitze Reißzähne von einem Löwen.“ Die Kinderschar bleibt keine Antwort schuldig. „Früher, als ich Kind war, haben wir Körbeweise Kuhblumen für unsere Kaninchen ausgerupft. Die jungen zarten Blätter mümmelten die Hasen besonders gern. Das war unsere Aufgabe als Kinder auf dem Bauernhof,“ erinnert sich ein älterer Herr. „Und wir haben zu Hause Salat daraus gemacht, hmmm, der schmeckte gut!“ erinnert sich eine andere Dame in der Runde.

Noch ehe die Kleinen weiter fragen können, geht die Tür zum Treppenhaus auf. Hereinspaziert kommt Frau Frigger. Seit Jahren besucht sie regelmäßig als Ehrenamtliche das Seniorenheim. Zwei geheimnisvolle Kisten trägt sie in Ihren Händen. Verschmitzt lächelt sie. Mucksmäuschen still ist es plötzlich. Irgendetwas raschelt in den Kisten. Neugierig sind sie alle - ob fünf Jahre oder 95 Jahre alt. „Kommt mal mit mir. Vergesst aber Eure Löwenzahnpflanzen nicht“, fordert sie die muntere Truppe auf. Wie ein Rattenfänger von Hameln stolziert sie den langen Flur entlang. Eine kleine Karawane zieht gespannt hinter ihr her. Kinder schieben Rollstühle, helfen den alten Menschen den Rollator zu schieben. Andere rennen, flitzen, reden wild durcheinander. In der Tagespflege ist eine lange Tischreihe aufgestellt. Die Bewohner versuchen einen guten Platz zu ergattern. Und die kleinen Strolche?

Die wollen endlich das Geheimnis der zwei Kisten lüften. Sie ahnen es schon. Vor der Tür zur Tagespflege wird es richtig huschelig und kribbelig. Der Deckel springt auf. „ Wusst ich´s doch! Oh, sind die süß! Knuffig! So kuschelig. Wie die zappeln! Darf ich mal eins in die Hand nehmen und streicheln? Komm, die nehmen wir mit rein zu den Senioren. Die warten doch schon auf uns. Guck mal, da ist ja ein Riesentisch! Weißt Du was, daraus machen wir eine Rennbahn!“, die Kinder sind wie aufgedreht. Schwupp di wupp, sind die Kisten leer. Acht drei Wochen alte Kaninchen und drei ausgewachsene Kerle mit Schlappohren warten geduldig auf ihren großen Auftritt. Pure Begeisterung. Gänsehaut. Jeder der kleinen Strolche schnappt sich einen Hoppel und legt ihn behutsam auf den Schoß der alten Menschen, auf den Bauch, auf den Tisch. Unbeschreiblich rührende Szenen spielen sich ab.

Kleine und faltige Hände greifen zärtlich zu den „Gästen auf den vier Pfoten“. Aller reden durcheinander. Gefühle und Erinnerungen kommen hoch. Sprudelnder Kindermund. Große Augen, Lachen, Spaß. Entspannte Gesichter, innere Zufriedenheit, Unbekümmertheit, Glücksmomente. Geschichten, die das Leben schreibt. Einfach nur schön!

Auf dem Weg zurück zur KITA gibt es viel zu erzählen. Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über! Von Berührungsängsten auf beiden Seiten keine Spur. Das nächste Mal besuchen die hochbetagten Menschen die kleinen Strolche in ihrer KITA. Sie werden ihre Gäste - ihre Nachbarn- überraschen, aus ihrem Kinderleben erzählen, sie teilhaben lassen. Mitnehmen .Sonne in den Alltag der Heimbewohner bringen. Warten wir es ab. Die Ideen in den Köpfen der Kinder sprudeln nur so. Eine Erfahrung, die Jung und Alt für´s Leben prägt. Da bin ich mir ganz sicher!

Wir hoffen, dass dieses Beispiel eines wunderbaren Dialogs der Generationen in Arnsberg auch anderen Menschen Mut macht, die Türen zu öffnen, sich miteinander auf den Weg in die Zukunft zu machen.

Kinderlärm ist Zukunftsmusik - auch im Seniorenheim!

Die wahre Bedeutung dieser Reportage versteht nur, wer die normale Situation in den Seniorenheimen rundum kennt: Das Schweigen, die Apathie, die Ereignis- und Lustlosigkeit an so manchen Tagen im Jahr. Die hochbetagten Menschen genießen es, gefordert zu sein, wachgerüttelt zu werden, in der Gesellschaft mit jungen Menschen zu sein. Die Kleinen sind unkompliziert, lebendig, quirlig. Ihre Lebensfreude, ihr Lebenshunger und ihre Wissbegierde übertragen sich.

Es klingt so selbstverständlich. Ist es aber nicht!

Tiere verbinden Generatioen | Foto: Katja Burgermeister
Gerade erschienen. Aus der Praxs für die Praxis. | Foto: www.projekt-demenz-arnsberg.de
Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

2 folgen diesem Profil

4 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.