Ein sinnliches Vergnügen. Wunderbar.
Es ist spät geworden. Nun sitze ich hier, gemütlich auf meinem Sofa bei einer Tasse duftenden Tee, schließe die Augen und lasse den wunderschönen Herbsttag „revue passieren“. War das in Genuss!
Rundepummel satt sind wir, von den leckeren Früchten, die wir in der Soester Börde bei unsere Radtour am Straßenrand ernten. Echt lecker, unser „Mundraub“. Die Straßenbäume hängen übervoll. Nicht nur ein Augen-Schmaus.
Reife Pflaumen, knallrote Stern-Renetten, gelbe Jakob Label, grüner Boskop. Apfelsorten, die bei uns schon längst nicht mehr angebaut werden. Sofort kommt mir Omas Dreifrucht-Einmach-Obst in Erinnerung. Äpfel, Birnen und Pflaumen, eingeweckt mit Zimtstangen und Zucker. Unsere Winterfreuden. Sie hütete dieses Rezept wie einen Schatz. Handschriftlich festgehalten. Für uns, ihre Nachkommen. In der Hoffnung, dass wir ihre Tradition des Einkochens für die kalte Winterzeit fortführen.
Süße, gelbe Birnen hängen an den Ästen. “Herr von Ribbeck, auf Ribbeck im Havelland, einen Birnbaum in seinem Garten stand“, läßt grüßen. Obstbäume soweit das Auge reicht. Bauerngärten mit mannshohen, prächtigen Sonnenblumen, Herbst-Anemonen, blühende Hortensien an den Hofeingängen. Astern und knallgelbe Sonnenhüte wiegen sich im Wind. Duftende Blumen, die mich an meine Kindheit auf dem Bauernhof erinnern. Meine Oma hegte und pflegte sie. Auf ihrem Küchentisch stand immer ein bunter Strauß in einer Tonvase. So wie im gemütlichen Garten des kleinen Hof-Cafés, in das wir heute Nachmittag einkehren, um frischen Apfel- und Pflaumenkuchen und einen Pott Kaffe zu genießen. Filterkaffe, aufgebrüht wie bei meiner Oma Zuhause vor vielen Jahren nach dem regelmäßigen Sonntagsspaziergang mit der Familie. Erinnerungen kommen hoch. Lebendig stehen sie vor mir. Erwacht zum Leben.
Wir radeln durch die Dörfer, kehren ein im Hofladen. Heute gibt’s dort frische Kartoffeln. Zum Probieren „Pellemänner mit Kräuterquark!“ Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Daneben wird gerade heißer Holunderbeersaft zubereitet. Vitaminreich. Stärkt die Abwehrkräfte, gegen Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Ein Genuss! Fruchtig, ein wenig herb, aber echt lecker. Ein Fläschchen geht mit in den Rucksack. Für kalte Tage.
Wir radeln weiter. Entlang des Waldes zum nächsten Dorf. Frohgelaunt kommt mir das Lied in den Sinn „Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder und der Herbstwind weht. Am Geländer reifen Pfirsiche mit Streifen, rot und weiß gemalt.“ Die Sonne blinzelt durch die Wolkendecke. Ihre Wärme, für einen kurzen Augeblick, erfreut uns. Rote Hagebutten, Schlehenbüsche, Kastanien, Nüsse und Bucheckern. Früchte des Herbstes, wohin wir schauen. Ich erinnere mich an unsere Kastanienmännchen mit angespitzten Streichhölzern: Giraffen, Hunde, Kühe haben wir am Küchentisch gebastelt. Die ganze Familie zusammen mit Kind und Kegel. Spaß hatten wir. Ich vergesse das Lied nicht, was meine Mutter dazu sang: "Ein Männlein steht im Walde, ganz still und stumm, es hat vor lauter Purpur ein Mäntlein um, sag wer mag das Männlein sein, das da steht im Wald allein.." Natürlich kannten wir den Namen des roten "Männleins". Es war die Hagebutte, die wir gelegentlich auch als "Juckpulver" missbrauchten.
Ich höre einen Hahn krähen. „Kikeriki!“ Freilaufende Hühner gackern und vergnügen sich auf einer Wiese. Oma pflegte in solchen Momenten zu sagen: "Schlimm ist, wenn ein Huhn die Eier weglegt!"
Pferde am Wegesrand. Dorfidylle pur. Meine Kindheit spiegelt sich. Ich fühle mich Zuhause. Ja, so war es. Genau so. Irgendwie heimelig. Gedankenverloren biegen wir um die Ecke. Immer dem Radweg durch die Soester Börde entlang. Ich glaub´s nicht, was ich da sehe und rieche: Soweit das Auge reicht, duftende Dill- und Petersilienfelder, Zwiebeln, Rothkohl, weißer Kappes, Grünkohl, Kohlrabi. Die Düfte erinnern mich sofort an die eingelegten, Gewürz-Gurken mit Dill, Wacholderbeeren und Lorbeerblätter. Süßsauere Gurkenhäppchen, Kürbissuppe. Sauerkraut, Himmel und Erde, mein Leibgericht: Kartoffeln mit Äpfeln zusammen gekocht und dann püriert. Ein Kindheitstraum.
Eine Radtour, die ich so schnell nicht wieder vergessen werde. Sie hat Bilder und Gefühle in meinem Kopf freigelegt, wachgerüttelt, lebendig werden lassen. Wunderbar. Ich öffne die Augen, trinke meinen Tee zu Ende, kuschle mich in meine wärmende Decke ein und mach es mir auf dem Sofa gemütlich. Eine Reise in die Vergangenheit. Ein sinnliches Vergnügen. Wunderbar.
Eine weitere Reportage über den zufälligen Besuch eines Schweinstalls in der Soeser Börde finden Sie hier:
http://www.lokalkompass.de/arnsberg/leute/da-habe-ich-doch-wirklich-schwein-gehabt-oder-d153418.html/action/lesen/1/recommend/1/
Autor:Marita Gerwin aus Arnsberg |
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