Die Katzenfrau
Frau A. erklärte sich jede Niederlage, die sich in ihrem Leben schon abgespielt habe muß, zu einem Sieg. Denn gegen die Stimmen der Resignation kann sie sich nicht wehren.
Wenn ich also bei Frau A. einen Hausbesuch machte, setzte ich mich nie auf einen Stuhl und schon gar nicht in einen Sessel. Man wusste nie, ob man nicht plötzlich eine Nadel im Po hatte oder im Katzendreck saß. Da waren die Katzenhaare, die in der Luft schwebten, allenfalls ein kleineres Problem. Es sei denn, man litt unter einer Katzenhaarallergie.
Frau A. war durchaus witzig und sie konnte reden ohne Luft zu holen. Ihre Kinder waren schon lange aus dem Haus
Sie hatte keine Verwandten. Es gab niemanden, um den sie sich kümmern konnte. Und es gab auch niemanden, um den sie sich hätte kümmern müssen. Sie war allein und hatte oft das Gefühl, in ihrer Wohnung sei die Einsamkeit eingezogen. Und sie litt unter der Einsamkeit.
Sie sah auf die Straße hinaus und beobachtete die gegenüberliegenden Häuser. Nicht, dass es da drüben etwas Interessantes zu sehen gab. Ein Mann half seiner Frau beim Abtrocken. Und das Baby schaukelte im Schaukelstuhl. Im Hintergrund flimmerte das TV.
Wie lange war das schon her, als sie während der Kindheit jedes Auto zählen konnte? Und zwischen ihr, Frau A., und einem Baum vor dem Fenster entstand über Nacht ein Verhältnis.
Nach der Pensionierung aber konnte sie sich endlich ihren Katzen widmen.
Aber durch ihre Katzenmarotte wurde Frau A. immer schrulliger. Man musste sie schon mögen, wenn sie keinen schlechten Eindruck hinterlassen sollte. Aber immerhin war dieser Eindruck dann bleibend. Und das kann nicht jeder Mensch von sich behaupten.
Als mir Frau A. die Haustür öffnete, kuschelte im Arm ihre Katze. Sie lächelte stolz, als hätte die Katze eine Bravourleistung absolviert und küsste sie wie die Hände eines Kindes.
Sie bat mich herein.
Wenn ich ihren Flur betrat, tauchte man in einen dämmrigen Raum. Ich suchte einen passenden Ton, um mich einzumischen. Aber das Staunen hatte ich noch nicht verlernt.
Sie las ihrem Kater von den „Augen“ ab und dann „miaute“ sie so sehnsüchtig, dass sich sofort ein dicker Kater an ihrem Bein rieb. Das war ihre Frage: Liebst Du mich?
„Ach, wissen Sie…, “ sagte sie dann, als sie in ihrem Sessel saß, „…ich glaube an die Wiedergeburt. Wollten Sie nicht in diesem Haus als Katze wieder geboren werden?“ lachte Frau A. gutmütig und sah mich eindringlich an. Und wenn Frau A. mich aus den tiefsten Tiefen ihres Sessels ansah, ging von ihr das Gefühl aus von einer Art von animalischem Instinkt.
Sie lächelte mit rätselhafter Liebenswürdigkeit.
Ich stellte mir vor, wenn die Katze ihr „Katzen - Gehirn“ bedienen würde, was wir dann als siamesische Zwillige sehen würden, was die „Welt“ so bestimmt. Denn jedes Lebewesen hat die „eigene Welt“ im Kopf. Und die Katzen sehnen sich nur nach Mäusen.
„Doch…, “ sagte ich unbestimmt „…auch ich hoffe auf die Wiedergeburt.“ Aber dann als Hund, dachte ich. Dann könnten diese Viecher hier etwas erleben. Ich kann Katzen nicht leiden. Aber ich verzog keine Miene.
Frau A. lachte, als hätte sie meine Gedanken erraten. Sie ordnete mit ein paar Handgriffen ihren Turban. Wie eine Orientalin trug sie immer einen weiten Kaftan. Im Zimmer war es brütend heiß.
„Wenn man allein lebt, ich meine ohne Mann, ist das bequem, “ sagte sie, als müsse sie sich entschuldigen. „Sonst würde ich vielleicht auch schwarze Unterwäsche tragen…“ lachte sie kokett „…in meinem Alter muss man etwas tun.“
„Ach…, “ sagte ich „…Sie haben doch ihre Katzen….“ Und im gleichen Augenblick hoffte ich nicht taktlos zu sein.
„So sehe ich das auch…, “ sagte Frau A., als sei damit auch für sie das Thema beendet. „Riecht es hier eigentlich sehr, wenn man hereinkommt?“
„Na ja…, “ sagte ich zurückhaltend, „…schon…“
„Katzen sind Einzelgänger…,“ sagte Frau A., als sei dies eine Entschuldigung.
„…und das sind sie auch?! “ antwortete ich, um etwas zu sagen.
Frau A. nickte ohne mich weiter zu beachten.
Denn ihr Gesicht war von eindrucksvoller Mischung aus purer Überzeugungskraft und einem verlegenen Lächeln.
Denn sie lebte sozusagen in der Schwebe der Wiedergeburt und war in Selbstgespräche vertieft, die Augen starr.
Plötzlich bekam sie einen schläfrigen Blick wie eine Katze, die auf der Lauer liegt. Und schon glitt sie zu Boden, krabbelte durch das Wohnzimmer zum Fressnapf und maunzte. So wurde Frau A. zu einem Haustier. Oder erlebte ich soeben ihre Wiedergeburt?
Auf leisen Sohlen verließ ich das Haus.
Und manchmal frage ich mich noch immer, wer bei den Hausbesuchen wen braucht:
Die Katze die Frau, oder anders herum?
Autor:Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg |
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