Meine Studentenbude
In der Atmosphäre eines Hinterhofs, im 1.Stock, begann ich zu leben. Ein Mensch, der sich nicht die Träume von logischen Matheaufgaben verderben liess. Und ich war nicht bereit, immer das zu machen, von man von mir erwartete.
Ich hatte den staunenden Blick des Aussenseiters. Meinen Mund verzog ich „nie“ und schon gar nicht nach „unten“- denn ich beschwor mein „Glück“. Und ich meinte über „Sonderrechte“ zu verfügen - möglichst noch „genetisch“ bedingt.
In einer der schäbigsten Straßen, in der wir damals wohnten, wurden nahezu alle Sprachen gesprochen – ein vibrierendes Babylon.
Die Eingangstür meiner Studentenbude war schon lange defekt. Irgendwann wurde bei uns eingebrochen. Und Frau Mache, die immer gegenüber im Fenster lag, war sicher, dass uns der „Staatsschutz“ besucht hatte. Denn immerhin konnte sie lange genug in unser Fenster blicken und was sie da sah…?!
„Na ja, Sie wissen schon…selbst das Bett war immer zerwühlt…und irgendwie hatten die auch nie richtige Möbel.“
Deswegen lebten wir irgendwann nur noch hinter verschlossenen Jalousien. Denn unsere Gardinen hatten wir auf dem Flohmarkt verkauft. Und da ich alle Wände schwarz angestrichen hatte, um so die rot lackierten Türen hervorzuheben, bekam unsere so genannte Wohnung bald den Charakter eines Bunkers. Hier, in diesen dunklen Kern der Erde, konnten wir uns zurückziehen, wenn draußen die Schlacht tobte.
Wenn wir aber unseren „Bunker“ verlassen wollten, waren wir nie sicher, ob die Tür nun richtig verschlossen war oder nicht. Auf jeden Fall war sie nicht dicht.
Und die Gerüche zogen durch das Treppenhaus. Denn es roch immer irgendwie nach griechischer Küche – Lammfleisch, Aubergine und Knoblauch. Und nach Fäkalien.
Unsere Nachbarin, eine alte Rentnerin, hatte Probleme mit der Wasserspülung.
Die Toilette war auf dem Flur. Die alte Frau und wir mussten das Klo teilen.
Nur durch Art Kippfenster, ja, man musste selber erst einmal auf dem Klo sitzen, sah man den Menschen zu, wie sie sich in ihrem Dasein eingerichtet hatten.
Hinter der Kloschüssel also klebte ich mein Plakat:
„Auch auf Thronen kennt mein häusliche Glück“- Köngin Luise.
Und an der Wand befestigte ich noch eine Schnur mit Schappverschuss – der „Spiegel“ kam jede Woche.
Nun aber, wie fühlte sich die alte Frau? Nicht, dass sie etwas gesagt hätte. Mürrisch schloß sie sich auf dem Klo ein.
Aber wir fühlten irgendwie, dass sie, die Rentnerin, das „Klo“ zur „Toilette“ aufgewertet hatte – dank Königin Luise. Und wenn ich das nächste Mal zur Toilette ging, was fand ich da? Die „Frau & Spiegel“ hatte die Rentnerin mit den Schappverschuss eingeklemmt - mit der Story: „Königin Luise vom Preussen, wie sie leibt und lebt.“
Wenn wir abends also unsere Zimmer verließen, um in die nächste Eckkneipe zu gehen, mussten wir zuerst den dunklen Hausflur durchqueren. Denn das Treppenhauslicht hatte schon seit Monaten einen Wackelkontakt. So sahen wir nur gelegentlich den nächsten Treppenabsatz, um uns dann doch immer wieder über die traumwandlerische Sicherheit blinder Menschen zu wundern.
Unten im Parterre durfte man nicht weiter geradeaus gehen, sonst landete man auf dem verrotteten Hinterhof mit der Außentreppe zum Keller. Wer aber nicht sofort die Haustür fand, stand plötzlich in der Küche des „Souflaki“.
Irgendwo im Hausflur, neben der defekten Briefkastenanlage, hingen die Reste einer Hausordnung. Dem Hausflur sah man an, dass hier schon lange nicht mehr geputzt wurde.
Aber der rote Umzugsbulli stand noch immer vor dem Haus. Wer hier nun einzog oder auszog, wusste man nie. Nur aus der Wohnung unter dem Dach hörte ich nie ein Lebenszeichen.
Nur einmal wieselte eine lederhäutige Gestalt schnell in den Keller.
Autor:Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg |
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