„FORT DOUAUMONT“
Wie eine Gämse kraxelte ich auf dem mächtigen Betonwall des „Fort Douaumont“ herum. Ohne Widerstand hatte ich diese Festung genommen. Nun stand ich, der Enkel, auf der Glacis dieser Festungsanlage, deren vernarbter Betonpanzer jahrelang den Granatgeschossen widerstanden hatte.
Kinder sprangen auf dem Betonwall herum und versteckten sich hinter den verstummten Geschütztürmen. Sie brüllten ihr „uhhhh“ in die Mündungsrohre der Waffen, die ihnen dumpf antworteten wie ein Echo.
Eine junge Frau mit farbigem Kopftuch rief mahnend den Namen ihrer Kinder, die wie junge Jagdhunde herbei sprangen, um von ihrer Mutter in den Arm genommen zu werden.
In unserer Nähe stand unter dem aufgespannten Regenschirm ein alter, verknitterter Mann. Seine Frau hakte sich bei ihm unter, während er in einer weit ausholenden Geste auf etwas hinwies, das nur zu erahnen war. So, als wollte er sagen:
Sieh mal, hier haben wir unser Vaterland verteidigt….!
Dieser alte Mann war vermutlich einer dieser Veteranen, die sich jährlich bei Fackelzug und Schweigeminute an die alten Zeiten erinnerten. Oder, um das zu suchen, was für sie bis dahin noch eine unverständliche Zäsur ihres Lebens gewesen war.
Der alte Mann trug eine Baskenmütze. Und zuerst dachte ich, er sei ein Franzose. Doch er sprach mit seiner Frau akzentfreies Deutsch mit badischem Einschlag. Durch seine Kopfbedeckung, der Baskenmütze, hatte er vermutlich mit Frankreich seinen privaten Frieden geschlossen.
Er hätte mein Großvater sein können.
Aber so lebhaft wie der alte Mann auf seine Frau einsprach, war zu vermuten, dass er alten, taktischen Erwägungen nachhing. So, als fühlte er sich noch nachträglich um den Sieg betrogen, für den er doch immerhin mit Leib und Seele gekämpft hatte. Seine Frau kannte mit Sicherheit schon seit Jahren diese taktischen „Wenn“ und „Aber“, die den Sieg gekostet hatten. Und so unterdrückte sie nur mühsam ihr Gähnen, nickte und zog ihren Mann unmerklich weiter, um seine Aufmerksamkeit auf die erneut herum springenden Kinder zu lenken.
Die Kinder hingen ausgelassen hinter einem verrotteten Geschütz und ließen mit einem Schwall scharfer gutturaler „Rsss“ das Maschinengewehr bellen, um das tiefer liegende Gelände unter Flächenbeschuss zu nehmen.
Und dieses Gelände, das ehemalige Schussfeld aus der Sicht des „Forts“, war eine etwa kilometerlange Schneise, deren Kahlschlag ein Ansatz von Mischwald nur dürftig verbarg.
Hier liegt heute ein Schießplatz der französischen Armee. Ein hoher Metallzaun und Betonpfeiler, streng militärisch ausgerichtet, halten auf Abstand:
Danger!
Ein Soldat schob gelangweilt Wache. Die Fronten haben sich geändert, dachte ich noch. Die Veteranen sind inzwischen bedeutend jünger geworden. Aber die Faszination des Soldatenspiels hat offenbar nichts von seinem Reiz verloren.
Autor:Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg |
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