Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist

Gunter Demnig in Arnsberg | Foto: Dirk Hammel
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Gibt es Zufälle im Leben? Oder war ich nur besonders aufmerksam? Eine Antwort auf diese Frage, habe ich leider nicht. Nur eins ist sicher: vergessen werde ich dieses eindrucksvolle Erlebnis niemals wieder. Was war passiert an diesem Tag, der sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat?

Es ist der 2.1.2012. Ich mache einen Spaziergang durch die Stadt. Es regnet. Ziellos schlendere ich durch die Straßen. Einfach nur mal ein wenig frische Luft schnappen. Mein Blick ist auf das holprige, nasse Straßenpflaster gerichtet. Bloß jetzt nicht stolpern. Überall Pfützen, in denen sich mein Schirm spiegelt. Am äußeren Rand einer großen Wasserlache blitzt plötzlich etwas auf, das mich aus meinen Gedanken reißt. Ein goldfarbener, quadratische Stolperstein. Ich halte inne, beuge mich herunter, um den eingeprägten Schriftzug entziffern zu können. Ich lese

"Hier wohnte Jacob Rhein. Jahrgang 1886.
Inhaftiert KZ Neuengamme. Ermordet 2.1.43".

Gibt es Zufälle im Leben? Oder war es eine Fügung, dass ich ausgerechnet heute am 2.1. hier stehe? Aufmerksam werde. Auf einen Menschen, der mir bisher fremd war. Niemals zuvor habe ich seinen Namen gehört oder gelesen. Diese Fragen wag ich nicht zu beantworten. Wie kann es sein? Auf den Tag genau 59 Jahre später stolpere ich ausgerechnet an dem Todestag hier an diesem Ort über den Gedenkstein für Jacob Rhein. Mein Herz klopft wie wild. Ich gehe in die Knie, säubere den Stein mit der Hand und drücke auf den Auslöser. Ich freu mich, dass ich heute meine kleine Kamera in der Tasche habe. Ich entdecke einen STOLPERSTEIN, ein bleibendes Zeichen der Erinnerungskultur für die Zukunft, unaufdringlich und eindringlich zugleich. Er rüttelt mich buchstäblich wach, berührt mich, macht mich neugierig und betroffen.

Es gibt Momente im Leben, da steht die Erde für einen Augenblick still. Und wenn sie sich weiter dreht, ist nichts mehr, wie es war. Ein Teil von uns fehlt. Und diese Lücke wird bleiben. Jacob Rhein ist nicht vergessen. Nein, ganz im Gegenteil. Ich bin nicht umsonst über seinen Namen gestolpert. Ich werde nicht wegschauen, wenn ich Ungerechtigkeit empfinde. Werde nicht meinen Mund halten, wenn ich was zu sagen habe und auch meine Ohren nicht verschließen, wenn ich Dinge höre, die ausgrenzen und unfair sind.

"Man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen über die Stolpersteine. Und wenn du den Namen lesen willst, musst du dich vor dem Opfer automatisch verbeugen". Gunter Demnig

Die Aktion "Stolpersteine" des Kölner Künstlers Gunter Demnig schuf eine weltweite Gedenkstätte, die an die Opfer der Vernichtung durch die Nationalsozialisten erinnert. Arnsberg gehört auch zu den 557 Städten und Kommunen, in denen "Stolpersteine" an die Ermordeten erinnern.

Stolpersteine, goldfarbene Pflastersteine mit dem Namen eines Menschen, der Opfer des totalen Vernichtungsfeldzuges der Nazis gegen das europäische Judentum wurde. Gunter Demnig verlegt diese Steine auch in Arnsberg, Diese STOLPERSTEINE tragen die Namen von Arnsberger Bürgerinnen und Bürgern. Denn Arnsberg war keine Ausnahme. Auch bei uns nahmen die Nationalsozialisten den jüdische Bürgerinnen und Bürgern ihre Bürger- und Menschenrechte, verschleppten und ermordeten sie in den Konzentrationslagern, soweit sie sie nicht schon zuvor vertrieben und zerstört hatten.

In einem kurzen Video aus Arnsberg kommt der Künstler Gunter Demnig selbst zu Wort. Dirk Hammel hat ihn mit der Kamera bei seiner Arbeit begleitet. Den Link zum Video finden Sie hier:

http://www.arnsberg.de/videos/stolpersteine.php

http://www.arnsberg.de/archiv/neues-und-altes/stolpersteine.php

http://www.stolpersteine.com/

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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