Das Abbild eines Gesichts ist die Straßenkarte des Lebens.

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Arnsberg. "Die Geschichte hinter der Geschichte" uber das Foto-Projekt "Lebenslinien" von Julia Bruhn.

Mit der Kameralinse den Linien des Lebens auf der Spur. Nachdenklich schaut sie in die Kameralinse. Die linke Hand stützt instinktiv das Kinn, während der Ellbogen auf der Lehne des Rollstuhls ruht. „Tun sie einfach so, als wäre ich gar nicht da“, ruft ihr Julia Bruhn zu. Ein kleines Lächeln huscht über das Gesicht der Seniorin und schon flammt wieder das Blitzlicht auf. Dass sie einmal ein begehrtes „Foto-Model“ werden würde, hätte sich die hochbetagte Bewohnerin des Seniorenzentrums „Haus zum Guten Hirten“ nicht erträumt. Noch einmal im Mittelpunkt zu stehen. Gefragt zu sein. Ein wunderbares, wohltuendes Gefühl. Wertschätzend und aufregend zugleich. Zufrieden schaut sich die junge Abiturientin die Foto-Serie an. „Die Fotos sind toll geworden. Schauen Sie mal“, meint Julia Bruhn und zeigt die Ergebnisse der Rentnerin, die noch etwas skeptisch auf das Display der digitalen Spiegelreflexkamera schaut. „Stimmt“, pflichtet sie ihr strahlend bei. Es ist der dritte Nachmittag, den die Schülerin des Arnsberger Mariengymnasiums im Seniorenzentrum der Diakonie Ruhr-Hellweg verbringt. Es werden viele weitere folgen, bis ihre „Jahresarbeit“ unter der Rubrik „Besondere Lernleistung“ bereit ist, eine Note zu bekommen und in das Abitur mit einfließen.

Der Zufall brachte die 18-Jährige auf die Idee, Senioren für das Fach Kunst genauer unter die Kamera-Linse zu nehmen. „Ich habe ein faszinierendes Portrait in einem Internet-Portal gesehen und mir sofort gedacht, dass ich etwas Ähnliches machen möchte“, erzählt sie. Ganz so leicht wie gedacht, war es dann aber doch nicht, ihren Traum in die Tat umzusetzen. „Es war ganz schön schwierig, eine Einrichtung und Senioren zu finden, die Interesse an der Idee hatten und damit einverstanden waren“, erzählt sie. Offenbar gibt es eine gehörige Portion Angst und Respekt, sich in der Portrait-Fotografie mit dem Alter konfrontiert zu sehen. Auch bei den Angehörigen der älteren Menschen erlebte sie eine gewisse Zurückhaltung.

Julia Bruhn hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als sie im „Haus zum Guten Hirten“ anfragte. Hier waren einige Damen und Herren und auch das Mitarbeiter-Team sofort begeistert. Zumal es um die Linien des Lebens geht, die das Leben in den Gesichtern, in den Falten, in den Augen und in der Mimik gezeichnet hat. Gemeinsam starteten sie in das biographische Kunst-Projekt.

Es wurde ein Abenteuer und ein Gewinn für beide Seiten. Julia Bruhn holt die Akzente, die das Leben gesetzt hat, mit Belichtungseffekten, Kontrasten und Schwarz-Weiß Schattierungen noch deutlicher hervor, als es die Kameralinse zu leisten imstande ist. So entstehen Momentaufnahmen, die den Zuschauer ein kleines Fenster in die Seele der Porträtierten öffnen. Tief sind die Falten um den Mund. Schatten spielen um die Augen, die sich in der Ferne verlieren. Es sind die Linien des Lebens, die in Ihrem Gesicht verewigt sind.

"Das Abbild eines Gesichts ist die Straßenkarte des Lebens". Diese Phiosophie des amerikanischen Künstlers Chuck Close inspiriert die junge Frau. In den Gesichtern der Senioren hat sie sie aufgespürt - die Zeichen der Erfahrung, des Schicksals, der Freude und des Leids, der Krankheit und des Alters. In den Falten, die eine eigene Geschichte erzählen oder in den Augen, die von Sehnsüchten berichten. Sie hat sie in Gesprächen entdeckt, die ihr Gesicht noch einmal in eine ganz neue Perspektive gerückt haben.

Die Portraits von Julia Bruhn sind nicht nur deshalb ungewöhnlich, weil hier eine 19-jährige Abiturientin mit jugendlichem Blick die Schönheit des Alters entdeckt. Was als „besondere Lernleistung“ für die Abiturnote begann, holt mit Kontrasten, Licht und Schatten oder Vergrößerungen weit mehr aus den Gesichtern hervor: Die Würde des Alters, Respekt vor dem Alter, die individuelle Anmut des Alters. Es ist eine ungewöhnliche Kommunikation der Generationen, vor die viele Menschen immer noch Angst haben.

Auch mit Julia Bruhn ist während dieses kreativen Prozesses einiges passiert. „Mit dem Blick durch meine Kamera habe ich ganz besondere Persönlichkeiten kennen und verstehen gelernt. Gleichzeitig weiß ich heute, dass das Leben im Alter sich in vielen verschiedenen Facetten zeigt und nicht jeder Tag gleich ist. Ich habe gelernt, Tagesformen der älteren Menschen zu akzeptieren, mich und meine Wünsche zurückzunehmen. Wenn eines meiner "Foto-Modelle" einmal einen nicht so guten Tag hatte, dann war es eben so. Wir verabredeten uns dann halt lieber zu einem anderen Termin. Was solls? Ich hatte ja viel Zeit. Niemand drängte uns,“, erzählt sie. Zwei Wochen später erlebt sie den gleichen Menschen aus einer völlig anderen Perspektive und es wurde ein sehr spannendes Foto-Shooting. Auch was das Wort "Entschleunigung" bedeutet, weiß Julia heute.

Die Fotos wird Julia Bruhn, die neben der Schule in einem Fotostudio ihr Hobby professionalisiert, abschließend als Präsentation zusammen mit einer wissenschaftlich fundierten Facharbeit über den kreativen Prozess einer Jury zur Bewertung vorlegen. Wir drücken ihr die Daumen, dass Ihr außergewöhnliches Engagement erfolgreich bewertet wird.

"Julia, das hast Du super gemacht. Hoffen wir, dass Dein Beispiel auch anderen Menschen Mut macht, ähnliche Wege zu gehen, um den Dialog der Generationen zu wagen. Es klingt so selbstverständlich. ist es aber nicht. Du hast gezeigt, was geht. Weiter so!"

Quelle: Arnsberger GenerationenMagazin SICHT Ausgabe 48 / Juni 2011- Eine Reportage von Ulrike Flaspoehler.

Weiter Infos und einige Fotos aus diesem künstlerischen Experiment von Julia Bruhn finden Sie unter folgendem Link:

http://www.lokalkompass.de/arnsberg/kultur/lebenslinien-fotoausstellung-von-julia-bruhn-d62191.html/action/lesen/1/recommend/1/

Ein Schnappschuss von einem kleinen Besucher der Ausstellung finden Sie hier:

http://www.lokalkompass.de/arnsberg/leute/kinder-zaubern-lachfalten-d65828.html/action/lesen/1/recommend/1/

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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