Aus "Alten Knackern" werden "Opis von nebenan"

Wundrbare Moment erleben beide | Foto: Uwe Künkenrenken
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Altersbilder auf den Kopf gestellt.

Junges Engagement in Arnsberg.

Offene Worte von Hanna Radischewski. Sie ist Trainerin der Akrobatik-Truppe im Kinder- und Jugendzirkus Fantastello in Arnsberg. Sie ist eine wunderbare Botschafterin für die junge Generation, die sich mit Empathie und Talent ins gesellschaftliche Leben unserer Stadt einbindet.

Hanna ist eine "Mutmacherin". Seit 15 Jahren kenne ich sie. Ich habe ihre Entwicklung vom 5-jährigen "Zirkus-Kind" bis in die heutige Zeit erlebt. Diese jungen Menschen zaubern seit Jahren Lachfalten in die Gesichter alter und kranker Menschen. Mit einem Gewinn für beide Seiten.

Wie Hanna das "Junge Engagement" sieht, erzählt sie uns in Ihrem persönlichen Statement. Beindruckend wenn sie sagt: Natürlich war der Anfang nicht leicht.

`Kann man denn mit den Alten überhaupt etwas machen?` haben wir uns gefragt, als wir vor 8 Jahren gestartet sind. Recht kritisch beäugten unsere Zirkuskinder die Idee, ein Projekt mit dem anliegenden Altenheim zu starten. Anfänglich zumindest. Auch ich war skeptisch, als dieses Experiment 2008 ins Rollen kam. Unser Zirkus Fantastello ist der Inbegriff von Lebhaftigkeit, Freude und oft auch Chaos – eine Horde Kinder von sieben bis 14 Jahren voller Power und Talent. Wie sollte man diese Welt mit der ruhigen, gut behüteten und geregelten Welt der Senioren vereinen? Während die Betreuer und Trainer dieses absolut neue, generationenübergreifende Projekt akribisch durchdachten und planten, ließen wir Kinder es einfach auf uns zukommen. Diese Gabe der Offenheit und Aufgeschlossenheit verliert sich scheinbar leicht während des Erwachsenwerdens. Sie ist aber unbezahlbar für die generationenübergreifende Arbeit.

Mittlerweile bin ich selber seit vier Jahren Trainerin des Kinder- und Jugendzirkus in Arnsberg und ich merke, dass ich immer wieder die Rolle des akribisch planenden Erwachsenen einnehme. Ob man es glaubt oder nicht, für uns Trainer, aber auch für jeden anderen Erwachsenen ist es unglaublich wichtig immer wieder aufs Neue die Offenheit und Leichtigkeit der Kinder zu spüren. In stressigen Situationen kann man sich so viel einfacher sagen: „So wie es ist, ist es gut und alles andere wird sich ergeben.“

Wenn ich auf das Projekt zurückblicke, erkenne ich, wie wertvoll die Erfahrung letztlich war. Für die Kinder, für die Trainer, für die Senioren und deren Betreuer, aber vor allem für mich selbst.

Natürlich war der Anfang nicht leicht: Wie sollte ein Rollstuhlfahrer in die Akrobatik passen? Wie sollten sich die Demenzkranken die Nummern merken? Kann man denn in dem Alter überhaupt noch Zirkus machen? Nun, wir haben es einfach ausprobiert. Natürlich wussten wir noch keine Antworten, aber grade solche Ungewissheiten machen ja die Abenteuer aus, in die man sich stürzen kann. Der Plan war, dass die Senioren an unserem Trainingstag von unseren Zirkuskindern abgeholt und zum JBZ Arnsberg gebracht werden sollten. Und so unruhig und aufgedreht die Bande zuvor war, waren die Kinder aufmerksam und bedacht, als sie die kleine große Verantwortung trugen, eine Oma oder einen Opa wohlbehalten ins JBZ zu bringen. Im Trainingssaal angekommen waren wir nun eine große Runde.

Unser „Zirkusdirektor“ erklärte für alle das einmalige Projekt. Im Winter würden wir bei unserer jährlichen Gala zusammen mit den Senioren auftreten. In den folgenden Wochen endeckten Alt und Jung immer mehr Möglichkeiten miteinander umzugehen. Nicht nur die Zirkuskinder tauten nach anfänglicher Schüchternheit schnell auf, sondern auch die Senioren. Immer wieder hörte man Mutmacher wie: „Trauen Sie sich ruhig, wir helfen Ihnen!“

Es blieb den Kleinen natürlich nicht verborgen, dass ihre neuen Trainingspartner durch das Alter gezeichnet waren. Ihre Namen wurden immer wieder vergessen, einige konnten sich nicht daran erinnern schon einmal hier gewesen zu sein, zitterten mit den Händen oder schienen wie eingefroren. Aber sie lernten, geduldig damit umzugehen. Sie probierten aus, steckten Niederlagen ein, wenn etwas nicht klappte und probierten weiter. Aus den "alten Knackern" wurden die "älteren Damen und Herren " und die "Omis und Opis von nebenan". Nicht nur unsere Kinder blühten auf – vor allem auch die Senioren strahlten und lachten! Die Gala im Winter wurde eine der schönsten und ist uns immer noch eine wunderbare Erinnerung.

Projekte wie dieses sind wichtig. Zum einen für Kinder, um sie mit dem Alter vertraut zu machen. Sie lernen auf diesem Wege, Verantwortung mitzutragen und sich um andere zu kümmern und aufmerksam zu sein. Die Senioren entdecken sich zum Teil noch einmal völlig neu und sehen, dass ihnen das Alter keinesfalls ihre Kräfte und Möglichkeiten raubt, ihr Leben noch selbst zu gestalten. Oft hatte ich während des Projektes sogar das Gefühl, dass sie durch die Arbeit mit den Kindern selbst ein wenig jünger wurden und wieder ein bisschen mehr Lebensfreude in ihnen aufblühte. In einem Buch heißt es: „Zirkus macht Kinder stark!“ Aber ich denke, Zirkus macht nicht nur die Kinder stark. Zirkus lebt von der Unterschiedlichkeit aller und das haben wir in diesem generationenübergreifenden Experiment in alle Richtungen ausgelebt.

Seit ich fünf Jahre alt bin, bin ich Zirkuskind im Zirkus Fantastello in Arnsberg – jetzt bin ich achtzehn, habe meine Zirkus-Jugendleiterausbildung und einige Fortbildungen absolviert und auf internationalen Zirkustreffen viele wertvolle Erfahrungen gesammelt. Ich habe grade mein Abitur geschafft und werde jetzt erst einmal einen Bundesfreiwilligendienst machen. Ich glaube, es war von Vorteil, dass ich schon relativ früh intensiven Kontakt mit älteren Menschen hatte. Meistens gehen die Beziehungen zwischen Alt und Jung nicht über die üblichen Großeltern-Enkelkind-Beziehungen hinaus und das ist sehr schade. Ich habe gelernt, wie wichtig ist, dass junge und alte Menschen wieder Kontakte zueinander knüpfen. Denn sie können sich gegenseitig bereichern und viel voneinander lernen. Ganz gleich welche Idee man hat, um die Generationen wieder näher zueinander zu bringen, man sollte es einfach ausprobieren.

Denn der Wille ist sowohl auf Seite der Jugendlichen als auch auf Seite der Senioren da, nur weiß das niemand. Man versteckt sich hinter der Annahme "Die wollen das bestimmt gar nicht", aber das ist nicht richtig! Um die Beziehungen und vielleicht sogar einen Teil der Gesellschaft wieder mehr in Schwung zu bringen und in Takt zu halten muss man nun mal über den eigenen Schatten springen und Wagnisse eingehen.
Hanna Radischewski

„Danke Hanna für Deine offenen Worte“ sagen Marita Gerwin und Martin Polenz - aus der Fachstelle Zukunft Alter Arnsberg. "Ausgezeichnet! Junges Engagement in Arnsberg.

Der Kinder- und Jugendzirkus Zirkus Fantastello begeistert das Schweizer Fernseh-Team!

36.9° ist die Gesundheitssendung des Schweizer öffentlichen Fernsehsenders TSR, Television Suisse Romande. Die Schweizer Fernsehleute interessieren sich für das Programm Aktion-Demenz in Arnsberg. Bei ihrer Recherche für einen 40-minütigen Film über die Alzheimer-Krankheit und "Brain Ageing" sind sie auf das Arnsberg Modellprojekt gestoßen.

http://www.arnsberg.de/videos/schweizer-fernsehen-demenz.php

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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