Heimatbund veröffentlicht Heft zum Nationalsozialismus in Neheim und Hüsten
"Zu lange wurde geschwiegen und verschwiegen"
Nationalsozialismus in Neheim und Hüsten: Diesem Thema widmet sich der Heimatbund Neheim-Hüsten in seiner neuesten Veröffentlichung. Warum das Heft erst 75 Jahre nach Kriegsende erscheint und mit welchen Schwierigkeiten der Heimatbund zu kämpfen hatte, erläuterten die Verantwortlichen bei der Vorstellung im Neheimer Fresekenhof.
"Es ist die einzige Veröffentlichung zum Thema Nationalsozialismus in Neheim und Hüsten", erklärte Karl-Georg Wuschansky. Im Kern sei die Arbeit von 1983. In diesem Jahr schrieb der damals arbeitslose Lehrer Dieter Carls im Auftrag des Netzwerkes Sauerland die vorliegende Arbeit, die unter anderem als Handreichung für den Geschichts- und Politikunterricht an weiterführenden Schulen gedacht war. Einige weitere Anläufe wurden gemacht (s. "Hintergrund" unten), doch zu einer Veröffentlichung kam es nicht. "Keiner wollte das veröffentlichen, es lebten ja noch Zeitzeugen", erklärte Wuschansky. "Darum ist das so lange liegen geblieben." Bis schließlich 2019 der Vorstand des Heimatbundes sein Redaktionsteam beauftragte, die vorliegende Arbeit vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse zu überarbeiten und in eine druckfähige Form zu bringen.
"Es war fast eine Mauer des Schweigens"
"Die Frage stellte sich, wie das Thema aufbereitet werden kann", so Wuschansky. "Die Zeitzeugen hielten sich bedeckt, es war fast eine Mauer des Schweigens." "Es ist auch heute noch ein Tabuthema", ergänzte Reiner Ahlborn. "Es gibt auch heute noch Leute, die nicht wahrhaben wollen, dass in ihrem Betrieb Zwangsarbeiter eingesetzt wurden." Um das Thema objektiv abbilden zu können, stützte die Redaktion sich auf das Zeitungsarchiv. Und stellte bei der Recherche fest, dass hier einige Seiten herausgerissen oder kompromittierende Stellen geschwärzt worden waren. Die vorliegende Arbeit wurde neu bearbeitet, an einigen – gekennzeichneten – Stellen mussten auch Formulierungen überarbeitet werden. "Damit ist es nun möglich, 2020 - 75 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges und damit auch der nationalsozialistischen Diktatur – diese wichtige Arbeit der Öffentlichkeit zu präsentieren", erklärte der Vorsitzende des Heimatbundes Peter Kleine. "Die Materialien in diesem Heft belegen eindrucksvoll, wie der Nationalsozialismus in alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens Neheims und Hüstens eindrang." Er habe den Menschen keine oder kaum Freiräume gelassen, sich ihm zu entziehen – es sei denn um den Preis von Verfolgung und Gefahr für Leib und Leben." "Organisierten Widerstand hat es in der Stadt nicht gegeben, nur einzelne Personen", betonte Ahlborn.
Warum werden Menschen zu Tätern?
Mit seiner Arbeit verfolgt der Heimatbund ein dreifaches Ziel: Zu verstehen, warum sich bis dato unauffällige Menschen für den Nationalsozialismus engagierten und dessen Grausamkeiten - aktiv oder passiv - hinnahmen. Die Arbeiten sind zudem der Versuch einer nachträglichen Wertschätzung der Opfer. "Wir wollen sie dem Vergessen entreißen und ihnen ein Gesicht geben", erklärte Reiner Ahlborn. Darüber hinaus will der Heimatbund dem Rechtspopulismus entgegen wirken. "Vor dem Hintergrund eines erstarkenden Rechtspopulismus hat die Arbeit leider nichts von ihrer Aktualität verloren", machte Peter Kleine deutlich. Wichtiger als je zuvor sei es, dass - nicht nur - SchülerInnen sich mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen. Und wie könnte das besser geschehen als in der hautnahen Beschäftigung mit Geschichte vor Ort?
Kaum noch Zeitzeugen
"Noch ist es an der Zeit, dem neuen Rechtspopulismus entschieden entgegenzutreten. Neben Zivilcourage bedarf es dazu auch der Schaffung einer kritischen, fundierten Erinnerungskultur. Das ist nicht leicht: Zu lange wurde in Neheim und Hüsten ge- und verschwiegen; wurden Archivalien im Neheimer Rathaus ausgesondert, wurde das Archiv im Hüstener Amtshaus komplett vernichtet. Das Aussterben der Generation der Zeitzeugen, seien es Opfer oder Täter, erschwert die Weitergabe von Erinnerungen."
Kombination von Fakten und emotionalem Zugang
Der Heimatbund Neheim-Hüsten begrüßt daher ausdrücklich alle Beiträge zu einer kritischen Erinnerungskultur in der Stadt und will das Heft auch den weiterführenden Schulen zur Verfügung stellen. Die Kombination von sauber recherchierten Fakten und emotionalem Zugang - wie z.B. über den jetzt ausgezeichneten Film "Noah" des städtischen Familienbüros - könnte ein Weg sein, alle Altersgruppen zu erreichen. Diesen Weg will der Heimatbund Neheim-Hüsten fortsetzen – "auch wenn diese Heimatgeschichte schmerzhaft ist, und auch und gerade dann, wenn man sich damit nicht unbedingt Freunde macht", so Kleine.
Hintergrund
1983 schrieb der damals arbeitslose Lehrer Dieter Carls im Auftrag des Netzwerkes Sauerland die vorliegende Arbeit, die u.a. als Handreichung für den Geschichts- und Politikunterricht an weiterführenden Schulen gedacht war.
In den 1990-er Jahren begann der verstorbene Vorsitzende des Heimatbundes, Franz Josef Schulte, die Arbeit zu editieren und insbesondere weitere Materialien aus dem Archiv des Heimatbundes einzufügen; er konnte dieses Unterfangen jedoch nicht mehr fertigstellen.
2019 beauftragte der Vorstand des Heimatbundes sein Redaktionsteam, die vorliegende Arbeit vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse zu überarbeiten und in eine druckfähige Form zu bringen.
Das Heft "Nationalsozialismus in Neheim und Hüsten im Spiegel der örtlichen Presse“ des Heimatbundes Neheim-Hüsten ist ab sofort für sechs Euro im Handel erhältlich.
Autor:Diana Ranke aus Arnsberg-Neheim |
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