DIE REPORTAGE: Liebeswahn und Imponiergehabe: Hirschbrunft hautnah im Wildwald Voßwinkel
Schon am Parkplatz höre ich das laute Röhren der Hirsche. Das klingt ja vielversprechend, denke ich und marschiere zum Eingang des Wildwalds Voßwinkel: Eine Führung zur Hirschbrunft steht auf dem Programm.
Die Paarungszeit der Hirsche beginnt in der Regel Ende September. "Das kommt immer ein bisschen aufs Wetter an", erklärt Naturpädagogin Sabine Raffenberg. "Los geht´s bei unter zehn Grad, dann kommen die Hormone richtig in Wallung." Mit dem Beginn der Brunftzeit wird im Wildwald die Fütterung des Rotwildes eingestellt. Essen wird jetzt zur Nebensache, denn die Verteidigung des Rudels und die Paarung stehen an erster Stelle. "Da!" Iris Hermanski, die im Wildwald für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, deutet plötzlich nach rechts. Jetzt sehe ich ihn auch, den Hirsch, der etwas versteckt unter den Bäumen liegt.
Ein prächtiges Tier, denke ich, hat er doch ein beeindruckendes Geweih. Aber: "Das ist nur ein Beihirsch", klärt Sabine Raffenberg mich auf. "Mit etwas Glück sehen wir aber auch noch den Platzhirsch." Denn das gehört schon dazu, will man den "König der Wälder" hautnah bei der Brunft erleben. Die Tiere sind schließlich keine ferngesteuerten Roboter und folgen ihren eigenen Regeln.
Ein ganz besonderer Moment
Die Expertin schlägt vor, dem Rundweg in Richtung kleiner Wildwiese zu folgen - dort vermutet sie das sogenannte Kahlwild, die weiblichen (Alt-)Tiere. Alttiere sind die Weibchen, die bereits ein Kalb geworfen beziehungsweise "gesetzt" haben, um in der Fachsprache zu bleiben. Als wir an besagter Stelle ankommen, sehe wir eine ganze Gruppe, die sich gerade in Bewegung setzt. "Die machen sich jetzt auf zur anderen Seite, wo der Platzhirsch ist", erfahre ich. Ganz ruhig ist es auf der kleinen Waldwiese, nur das vereinzelte Knacken der Äste unter den Hufen der Tiere ist zu hören. Und vereinzelt, von Weitem, das sehnsuchtsvolle Röhren der Hirsche. Ein besonderer Moment mit einem ganz eigenen Zauber.
Nebenbuhler in Sicht
Wir beobachten das Kahlwild, bis es aus unserem Blickfeld verschwunden ist. Dann gehen wir den Rundweg zurück zur großen Wildwiese, auf der die weiblichen Tiere bereits angekommen sind. Und da ist er, der Platzhirsch: Unruhig läuft er hin und her, lässt immer wieder ein beeindruckendes Röhren hören. Kein Wunder - ein Nebenbuhler ist in Sicht und wagt sich immer weiter vor.
Spießer im Wildwald unterwegs
"Und ein paar Spießer sind auch da", kommentiert Sabine Raffenberg. "Spießer?", frage ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Das sind junge männliche Hirsche, deren Geweihe noch keine Verästelungen haben", klärt die Naturpädagogin mich auf. Überhaupt - die Sache mit dem Geweih: Wie funktioniert das eigentlich? "Jedes Jahr wirft der Hirsch im Februar die Stangen des Vorjahres ab. Deswegen ist ein alter Name für den Februar auch `Hornung.´ Die Geweihstangen sitzen auf kurzen Stirnzapfen, den sogenannten Rosenstöcken. Aus denen baut der Hirsch dann ein neues Geweih auf."
Hirsche zeigen sich die Breitseite
Während ich den Erklärungen lausche, beobachte ich das Geschehen auf der Lichtung. Die beiden Hirsche laufen jetzt nebeneinander her, mal mit mehr, mal mit weniger Abstand. "Das ist ganz typisch", erläutert Sabine Raffenberg. Bei diesem "Parallelgehen", wie es in der Fachsprache heißt, zeigen die Kontrahenten sich gegenseitig die "Breitseite". Imponiergehabe, um dem Rivalen zu zeigen, wer der Stärkere ist. "Das kann jetzt stundenlang so weitergehen, ohne dass es zu einem Kampf kommt." Den würde ich natürlich schon gern sehen, denn irgendwie bin ich im Jagdfieber - wenn auch natürlich nur in der Hoffnung auf ein tolles Foto.
Wenn die Geweihe sich verhaken...
Am Morgen konnten Besucher so einen Kampf live mitverfolgen, erfahre ich und bin fast ein bisschen neidisch. Bis Sabine Raffenberg eine traurige Geschichte erzählt. Denn vor einigen Jahren endete so ein Kampf im Wildwald tödlich. Zwei Hirsche hatten sich dabei mit ihren großen Geweihen ineinander verhakt und konnten sich nicht mehr befreien. "Das passiert selten, aber es kommt vor. Die Tiere geraten dann in Panik, schließlich sind es Wildtiere. In der Regel endet so etwas mit einem Herzschlag."
Viel Lärm für ein "kurzes Vergnügen"
Jetzt bin ich fast froh, dass die zwei Hirsche auf der Lichtung sich auf ihr Imponiergehabe beschränken und gerade nicht in wirklicher Kampflaune zu sein scheinen. Ist ja auch anstrengend, so ein Kampf. Bis zu einem Viertel ihres Körpergewichts verlieren Hirsche in der Brunftzeit. Und sind am Ende durch das ständige Röhren häufig richtiggehend heiser. Übrigens: Wenn es zur Paarung kommt, ist das ein "kurzes Vergnügen": "Das geht ganz schnell", erfahre ich, "und ist auch für Kinderaugen vertretbar."
Wir beobachten das Schauspiel schweigend, während langsam die Sonne hinter den Baumwipfeln verschwindet und die große Wildwiese in ein magisches Licht taucht. Als es fast dunkel ist, machen wir uns auf den Rückweg. Schon bald brauchen wir Taschenlampen, und ich fühle mich ein bisschen zu den Nachtwanderungen in meiner Kindheit zurück versetzt. "Stop!", raunt Iris Hermanski plötzlich, und dann höre ich es auch, das Rascheln. Im nächsten Moment kreuzt eine Wildsau unseren Weg, gefolgt von einem Frischling.
Adrenalinkick zum Abschluss
So schnell sie aufgetaucht sind, sind sie auch schon wieder im Gebüsch verschwunden. Trotzdem - das war nochmal ein kleiner Adrenalinkick zum Abschluss. Vor Wildschweinen habe ich ziemlichen Respekt. Doch solange man sie in Ruhe lässt und ihnen nicht zu nahe kommt, sollen sie eigentlich ganz friedlich sein.
Am Eingang angekommen, ist sie zu Ende, die Hirschbrunft-Führung. Ein tolles Erlebnis, das besondere Naturschauspiel live zu verfolgen - auch ohne Kampf.
Und soviel ist sicher: Ich komme wieder!
Mehr Infos rund um den Wildwald gibt´s
Autor:Diana Ranke aus Arnsberg-Neheim |
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