Gedicht: Meine Großmutter
Meine Großmutter
(1881 - 1961)
Meine Großmutter war eine stattliche Frau,
die Haare trug sie fein onduliert in grau,
als Schmuck zierte eine Gemme ihre Brust,
an den Füßen sie orthopädische Schnürstiefel tragen musst.
Gekleidet in einem schlichten Kleid in grau oder schwarz
das akkurat ohne Falten über einem festen Korsett saß.
An einem Kettchen ihre Brille hing,
beim Essen dort eine Serviette Soßentropfen auffing.
So thronte sie Jahr aus, Jahr ein
in der Wohnküche auf ihrem Sessel fein.
Genuss schenkte ihr mittags ein Tässchen aus echten Bohnen,
abends durften wir Kinder 2 Flaschen Bier für sie holen.
Sie war fröhlich, humorvoll, ruhig und bestimmt,
erhob selten die Stimme, ihr gehorchte jedes Kind.
Über ihre Mitmenschen sprach sie nie schlecht,
sie war bescheiden, aber sie kannte auch ihr Recht.
Sie lebte mit uns im Familienkreis,
brachte sich täglich ein auf ihre Weis
und lehrte uns Hochdeutsch und gutes Benehmen,
das war ihr wichtig und später konnte es uns
keiner mehr nehmen.
Wunderschön konnte sie rezitieren lange Gedichte,
kannte die Märchen von Grimm und Hauff und viele Geschichten
und erzählte lebendig an langen Abenden im dunklen Winter
von längst vergangenen Zeiten, Gegenden und anderen Kindern.
Wir liebten unsere Oma, die täglich den mitnahm in die Stadt,
der lieb gewesen und keinen Unfug getrieben hat.
Und immer, wenn wir an einer Kirche vorbei kamen,
grüßte sie das Allerheiligste mit dem Kreuzzeichen, Amen.
Schnitt meine Großmutter ein frisch gebackenes Brot an,
sagte sie wieder mit dem Kreuzzeichen Dank.
Ein kleiner Feiertag war es jedes Mal jedoch,
kam der Herrgott zu ihr zu Besuch!
So wurden wir ganz natürlich im Glauben groß,
der uns begleitete und Zuversicht und Sicherheit schuf.
Bei ihr lernten wir geduldige Überlegung im Spiel,
„Mensch ärgere dich nicht, Dame und Halma“ waren oft das Ziel
ihrer leisen Erziehung, die anscheinend gut gelang,
zu unseren Herzen hatte sie stets leichten Zugang.
Dabei war ihr Leben nie einfach und leicht:
geboren vor Neunzehnhundert im alten Kaiserreich
inmitten einer großen Geschwisterschar,
wo 9 Schwestern und zwei Brüder waren füreinander da.
Wie selbstverständlich schenkte sie dem ersten Kind
nach dem Tod der Schwester Mutterliebe und heiratete geschwind
den Schwager, der sie brauchte und fortan auch liebte,
mit 3 weiteren Kindern waren sie eine große Familie.
Sie erlebte den 2. Weltkrieg mit seiner Not,
bettelte für ihre Enkel um Milch und Brot,
war im ganzen Städtchen als Tante Agnes bekannt,
die als Ehrenvorsitzende der Nachbarschaft
„Ächte de Muer“ auch noch „Platt“ sprechen konnt.
Fleissig häkelte sie Topflappen und Spitzendecken,
verkaufte sie an ihre Freundinnen und sparte jeden
Groschen für eine kleine Schreibmaschine,
damit wir lernten zu tippen wie echte Bürobienen.
Ganz lebhaft aber vor meinen Augen sind
die Besuche bei der Oma, wenn ich im Krankenhaus als Kind
bei ihr vorbei schaute und in der Nachttischschublade fand
ein „Hasenbrot“ mit Leberwurst und leicht trockenem Rand.
In den 50er Jahren ein köstlicher Genuss!
Und ich schick meiner Oma in Gedanken einen Gruß,
eingepackt in viel Liebe, umwickelt mit dem Wissen,
dass Kinder ihre Großmutter brauchen-
sie würden sie sonst sehr vermissen!
(B. Kando-Mohing 2017)
Autor:Barbara Kando aus Schwelm |
2 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.