„Kitz rannte quietschend auf mich zu“
Von diesem Moment an war Julia Sachs Rehmama. Auch die anderen Wiesenbewohner haben Leben der 29-Jährigen zu verdanken.
Unsere Ziehmutter heißt Julia Sachs und bewirtschaftet mehrere Wiesen im Ardey. Neben besagten Schafen, Ziegen und Gänsen leben dort auf etwa 5000 Quadratmetern auch noch mehrere Kaninchen und Meerschweinchen. Auf einer anderen Wiese tummeln sich die Pferde Daisy, Cowboy, Willi und Shetlandpony Lotte.
Der jüngste Spross der Familie ist Rehkitz Sunny. „Ich wurde von einer Wiesennachbarin gerufen, dass schon den ganzen Tag eine Rehbaby nach seiner Mutter schreit und diese nicht kommt“, sagt Julia Sachs. „Kitze werden nach der Geburt und den nächsten Lebenswochen im hohen Gras abgelegt, um sie vor Feinden zu schützen, da sie noch keinen Eigengeruch haben.“
Die Sache hatte nur einen Haken: Mama Reh kam nicht zurück. Der Grund dafür blieb unbekannt. „Da das Kitz unaufhörlich schrie, entschieden wir uns in Absprache mit der Rehkitzhilfe zu einer Notfallfütterung mit Kamillentee, Traubenzucker und Aufziehspritze und gleichzeitigem mit Erde abreiben, damit es den menschlichen Geruch verliert“, erzählt Julia Sachs. „Das Kitz hatte solch einen Hunger, dass es sofort an der Spritze zog und sie leer trank, es war nur ein paar Stunden alt. Danach ging ich wieder, um der Mutter die Möglichkeit zu geben, in der Dämmerung doch noch wieder zu kommen. Um 23 Uhr ging ich wieder auf die Wiese. Das Kitz schrie zwischendurch immer noch, aber schon deutlich leiser, doch die Mutter war nicht gekommen. Das Kitz sah mich und rannte quietschend auf mich zu. Von diesem Moment an war ich Rehmama.“
Auch die anderen Wiesenbewohner haben ihr Leben der 29-Jährigen zu verdanken. Teils stammen sie von Schlachthöfen, Pferdeschutzhöfen oder wurden vom Tierschutzverein vermittelt. Und immer, wenn Julia Sachs zum Füttern kommt, laufen die Schafe Frieda und Mathilda, die Gänse Greta und Leni und Labrador-Hündin Nala ihr hinterher. „Von Haus aus bin ich Sporttherapeutin und hatte schon immer den Wunsch, mit Tieren zu arbeiten“, sagt Julia Sachs. Und so hat sie schließlich ihr Hobby zum Beruf gemacht. Sie und ihre „Tierischen Therapeuten“ vermitteln behinderten Menschen und Kindern den Umgang mit Tieren, vorrangig in Werkstätten und Kindergärten der Lebenshilfe.
Sunny wiegt mittlerweile zehn Kilogramm und springt zufrieden mit den anderen Tieren auf der Wiese herum – dank der Fürsorge der Ziehmutter. „Es gab viele lustige und schöne Momente“, sagt Julia Sachs,“ zum Beispiel, als ich auf allen Vieren auf der Wiese hockte und Gras geknabbert habe. Aber ich muss zugeben, dass ich mir die Rehaufzucht leichter beziehungsweise romantischer vorgestellt hätte. Aber der Lohn für alle Mühen und schlaflosen Nächte ist, meine kleine Maus gesund und glücklich über das Gras hüpfen und durch den Wald rasen zu sehen.“
Autor:Walter Demtröder aus Witten |
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