Die Aura der Wörter
Zum 80. Geburtstag des Georg-Büchner-Preisträgers Reiner Kunze am 16. August*
„Die Kunstwerke, die in unserem Haus zu sehen sein werden, nehmen verschlüsselt oder offen Bezug auf verbotene Texte oder sind durch ihre zeitlose Vollkommenheit Zurufe von Rang. Wer Hand an das Schöne legt, legt Hand an den Menschen. Unser Haus soll eine Stätte der Zeitzeugenschaft und ein Ort des Schönen werden. In den Tagebüchern von Albert Camus heißt es: ,Schönheit, neben der Freiheit meine größte Sorge.’ Wir teilen diese Doppelsorge“, heißt es in den Leitlinien der 2006 gegründeten und in Erlau bei Passau ansässigen Elisabeth und Reiner Kunze-Stiftung.
„Selbst wenn ich keine Leser hätte, würde ich schreiben. Es ist meine Art zu leben - manchmal auch zu überleben“, hatte Reiner Kunze schon vor zehn Jahren in einem Interview erklärt. Ein Leben für und mit der Literatur - aber eines ohne das laute verbale Geklapper, zurückgezogen und beinahe eremitenhaft, ohne die heute beinahe schon obligatorische Präsenz in den Medien.
„Jeder wird nur das tun, was ihm Spaß macht. Wozu sich also Fertigkeiten aneignen und Reflexe einhämmern, die man später niemals brauchen wird?“, heißt in einem kurzen Prosastück des 1976 zunächst nur in der Bundesrepublik erschienenen Bandes „Die wunderbaren Jahre“. Die SED-Zensoren witterten subversives Gedankengut in diesen Texten, die als Schwarzdrucke auch in der DDR kursierten, und verschärften die Hetzjagd auf den Erfolgslyriker, der mit seinen Bänden „Sensible Wege“ (1969) und „Zimmerlautstärke“ (1972) beachtliche Auflagezahlen erreicht hatte.
Es war die Zeit der Biermann-Ausbürgerung, als ein hoher Kulturfunktionär des SED-Staates gegenüber Reiner Kunze in einem Vier-Augen-Gespräch einen „Unfall auf der Autobahn“ nicht mehr ausschließen wollte. Sein Parteibuch hatte der Schriftsteller bereits nach der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings zurück gegeben, aus dem Schriftstellerverband war er ausgeschlossen - es blieb ihm am 13. April 1977 nur die Ausreise in den Westen.
Im Gegensatz zu vielen Schicksalsgefährten kannte Reiner Kunze nach der Übersiedlung in die ihm lange fremd gebliebene westliche Welt keine materielle Not. Noch im gleichen Jahr erhielt er den Georg-Büchner-Preis, Universitäten lockten mit Gastdozenturen, und seine Frau arbeitete im Westen wieder als Ärztin.
Doch der Poet Kunze eckte auch in der Bundesrepublik immer wieder an. Er ließ sich nicht als sozialismusverteufelnder Dissident missbrauchen, sprach trotz aller Schikanen niemals mit Hass oder Verachtung über seine Jahre in der DDR, kritisierte Günter Grass und Heinrich Böll für ihr Arrangement mit den Regierenden Osteuropas, und in seinen Gedichtbänden „Auf eigene Hoffnung“ (1981) und „Eines jeden einzigen Lebens“ (1986) klangen latent kritische Töne über den „freiheitlichen“ Westen an.
Reiner Kunze, der heute* vor 80 Jahren als Sohn eines Bergarbeiters in Oelsnitz im Erzgebirge geboren wurde und durch den Besuch einer Aufbauklasse für Arbeiterkinder zum Abitur gelangte, begann schon in jungen Jahren Gedichte zu schreiben. Seine große Passion, der er bis heute frönt - allen Jugendbüchern und Übersetzungen zum Trotz. Kunzes Verhältnis zur Poesie ist am eindrucksvollsten im Essayband „Das weiße Gedicht“ (1989) nachzulesen. Die Lyrik dient als Spiegel der Lebenserfahrung: der Alltag, die Natur, die Liebe, Ängste, Träume, Hoffnungen oder Reiseimpressionen - wiederkehrende Sujets in seinen Versen.
Reiner Kunze, der einst den „großen Skeptiker“ Albert Camus als seinen philosophischen Lehrmeister bezeichnete, vertraut heute mehr denn je der „Aura der Wörter“ (so der Titel eines 2002 erschienenen Essays), der bedeutungsschweren, geradezu komponierten Lyrik. Reiner Kunze feilt und poliert an seinen Versen, bis ihm der „auratische“ Glanz genehm ist. Inspiration holt er sich vor allem von der klassischen Musik und (wie wir aus einem Foto-Textband erfahren haben) aus der Aufzucht einer kostbaren japanischen Karpfenart.
Reiner Kunze, der uns mit dem Prosaband „Die wunderbaren Jahre“ die poetischste Auseinandersetzung mit dem schikanösen Alltag der DDR vorlegte, wirkt im heutigen, schnelllebigen Literaturbetrieb beinahe schon wie ein Fossil aus vergangener Zeit - ein kluger Dichter, der sich nur dann zu Wort meldet, wenn er auch etwas Substanzielles zu sagen hat. Für „herausragende Leistungen“ dekorierte ihn der Freistaat Bayern mit seiner höchsten Auszeichnung - den Maximiliansorden. In seiner Laudatio rühmte der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber Kunze als einen „der bedeutendsten deutschen Lyriker der Nachkriegszeit.“ Kein Veto!
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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