Herz findet Herz...

Es ist sicher nicht ungewöhnlich dass Herzen zueinander finden, aber ich denke dass es schon eine ungewöhnliche Art unserer Herzen war, bestimmte Zeichen zu erkennen und sich zu finden.

Aktiv als Tänzer im Verein, in der Vorbereitungsphase auf die närrische Zeit die ja am 11.11. beginnt, waren alle Mädels mit großem Eifer dabei die Kostüme noch einmal zu testen, alle Requisiten auf Vollständigkeit und Funktionalität zu überprüfen, und die Tänze auf der Bühne in den entsprechenden Outfits zu probieren. Im Jahre 1966 wurde ein Showtanz auf die Bühne gebracht in dem der eine Teil der Mädchen in Dirndl und der andere Teil in Lederhosen gekleidet war.

Wir waren auf dem Weg zur Bühne, als ein junger Mann oben auf einer Leiter stehend sich an dem Schrank der alle unsere Requisiten beherbergte, zu schaffen machte. Keiner kannte ihn, aber ich fand ihn irgendwie anziehend was mir damals gar nicht recht bewusst war. Er schaute auf die bunte Truppe herab und lachte schallend, weil wir zudem auch noch eine riesige, witzige Stoffkuh dabei hatten die von zwei Personen ihre 4 Beine bekam, und einen Euter hatte der aus Gummihandschuhen aus dem Krankenhaus bestand. Heute kann ich mir das auch nicht mehr vorstellen aber damals war das so.

Es war nicht schlimm dass er lachte, wir fanden unser Ausehen selber komisch. Das war ja auch der Sinn des Ganzen, das Publikum mal mit einem komischen Tanz in Stimmung und zum Lachen zu bringen. Als der Typ auf der Leiter aber dann, mich feixend anblickend sagte: „Du siehst am Bescheuertsten aus,“ fühlte ich einen tiefen Stich in meinem Herzen.
Die Bemerkung hatte mich sehr getroffen was ich überhaupt nicht verstehen konnte. 'So ein ungehobelter Kerl, der so etwas sagte, dachte ich und niemand von unserer Truppe schien ihn zu kennen. Schlagartig war mir das Lachen vergangen. Naja, ich versuchte nicht mehr dran zu denken doch auch wenn ich ihn nicht mehr sah, hatte ich ständig sein Gesicht vor Augen. Es wurmte mich.

Sylvester folgte, ich ging mit meinen Eltern zu der Feier im Vereinslokal einem Hotel hier in der Stadt, weil unser Verein immer einen großen Sylvesterball ausrichtete. Es gab ein kurzweiliges Programm, schneller als gedacht vergingen die Stunden, und mit ihm das alte Jahr. Man tanzte ausgelassen, die Stimmung war sehr gut, und plötzlich war es 10 Sekunden vor 12 Uhr und der Jahreswechsel stand unmittelbar bevor.

Jeder verweilte auf dem Platz an dem er sich gerade befand – ich stand mitten auf der Tanzfläche. Es war so Sitte dass dann für Sekunden das Licht ausgeschaltet wurde, und jeder an seinem betreffenden Platz blieb.

Gut, nun hatte das neue Jahr begonnen, und ich wollte gerade an meinen Platz zu den Eltern zurückgehen, als plötzlich ein junger Mann mit festem Schritt, in einen todschicken dunkelblauen Anzug gekleidet sich ganz zielgerichtet den Weg zu mir durch die Menge auf der Tanzfläche bahnte und mir ein gutes, und frohes neues Jahr wünschte.
Ich wusste nicht wie mir geschah, als ich in ihm den Kerl erkannte der kurz vor Beginn der Session draußen am Schrank vor dem Bühnenaufgang so „nett“ tituliert hatte.

Meine Güte was war das bloß, das Herz schlug mir fast oben zum Hals heraus, mir wurde ganz warm, und ich war wie elektrisiert.
Eher hätte ich ja beleidigt sein sollen, aber irgendwie spielte mein Herz verrückt. Ich gab die Wünsche artig zurück und war total irritiert.
Erst sagt er so etwas und nun kam er durch den ganzen Saal auf mich zu!!???
Ich verstand die Welt nicht mehr.

Er ging wieder zu seiner Tanzpartnerin zurück die er einfach auf der Tanzfläche hatte stehen lassen, und ich total aufgewühlt zurück zum Tisch meiner Eltern. Eine Erklärung für den Aufruhr in mir hatte ich nicht direkt, aber ich war total durcheinander. Seine heutige Handlungsweise allerdings konnte ich mir auch nicht erklären.
Warum tat er das wenn er mich so blöd fand?
Ich sah ihn dann aber nicht mehr, es war ja auch rappelvoll in dem Saal.

Etwas später gingen wir in eine kleine Kellerbar zum "Krokodil", die zum Hotel gehörte und trafen dort auf einige Mitglieder des Vereins, tauschten Wünsche zum Neuen Jahr aus, waren bester Stimmung und hatten viel Spaß.
Als wir uns endlich anschickten den Heimweg anzutreten, mussten wir von der kleinen Bar wieder über eine Treppe nach oben um zur Garderobe und zum Ausgang zu gelangen. Dort mussten wir an einer Tür vorbei die diese kleine Bar vom Rest der anderen Räumlichkeiten trennte.
Unwillkürlich ging mein Blick zu dem Pärchen das dort gleich hinter der Türe abseits von allem Trubel rundherum auf einer alten, dort abgestellten Couch saß und den Rest der Welt um sich herum gar nicht mehr wahrnahm – ausgiebig knutschend.
Wohl aufgeschreckt durch die Stimmen der Menschen die sich näherten fuhren die beiden auseinander wie ertappte Sünder.
Was sahen meine Augen? Wieder dieser Kerl der erst mich so gekränkt, dann aber heute auch wieder überrascht hatte als er so einfach auf mich zukam!

Wieder merkte ich dass mir das nicht egal war, und war stinksauer auf mich selbst. Mein Herz hatte sich ja gefreut, aber nun das hier wieder. Meine Gefühle fuhren Karussell, ich kann es kaum schildern, aber ich wusste irgend etwas war mit mir geschehen.

Dann kam der nächste Veranstaltungsabend wie das so im Karneval üblich ist mit unseren Auftritten, dem kompletten Programm in dem jeder seine Aufgaben zu erfüllen hatte.
Anschließend gab es wieder einen gemütlichen Treff in der kleinen Bar, wo man sich austauschte und den Abend, bzw. die Auftritte nochmal Revue passieren ließ.

Plötzlich wurde mir ein Glas herüber geschoben wo ich mit einigen Mitgliedern plaudernd zusammenstand. Fragend schaute ich hoch, wollte wissen was das sei und woher es kam. Nur durch ein paar Menschen getrennt erhob jemand sein Glas, und schaute mich verschmitzt aus schelmischen braunen Augen lachend an.
Zuerst erkannte ich ihn nicht, und wollte das Getränk schon ablehnen weil es nicht meine Art war Alkohol zu trinken, und schon gar nicht von einem Fremden etwas anzunehmen.
Die Uniform sagte mir er gehört zu uns, deshalb hatte ich ihn wohl auch nicht gleich erkannt. In der vertrauten roten Jacke mit dem Wappen des Vereins, der Mütze der Gesellschaft auf dem Kopf konnte es kein Fremder sein. Er lachte mich nochmals an und da erkannte ich ihn.
Wieder war es dieser Kerl mit den frechen blitzenden Augen und dem schelmischen Grinsen dem man so schlecht widerstehen konnte. Er spukte mir seit Wochen durch den Kopf und mein Herz schlug Purzelbäume ob ich wollte oder nicht. Er zog mich unheimlich, verletzte auch mal wieder mit einer unbedachten Bemerkung. Dadurch fühlte ich mich mal in einen Abgrund hinab gestoßen, mal himmel hochjauchzend. Er richtete einfach immer wieder ein totales Chaos der Gefühle in mir an.

Trotzdem...als hätte jemand meine Hand ferngesteuert und unfreiwillig gelenkt erhob ich das Glas, prostete ihm zu und schluckte mit Todesverachtung das scharfe Getränk, das ich normalerweise zutiefst verabscheute.
Wieder spürte ich mein Herz aufgeregt schlagen.
Dieses dumme Herz, warum konnte ich es nicht zum Schweigen bringen bei all dem Blödsinn den der Kerl, dessen Namen ich nicht mal kannte, schon angerichtet hatte.
Ich hatte das Zeug mit Todesverachtung geschluckt das ich gar nicht mochte, und unsere Blicke trafen sich an dem Abend noch öfter.
War das wirklich 'Ich' gewesen? Ich verstand mich selbst nicht mehr.

Irgendwann bat er mich zum Tanz, führte mich durch die Hotelgarage zu einem anderen Lokal, auf dessen Rückweg es dann auch spontan zu einem ersten Kuss kam, ich daraufhin aber total irritiert und etwas verschämt schnell zu den anderen davonrannte.
Ehrlich, so recht traute ich ihm nicht! Wer wüsste schon was er im nächsten Moment wieder für einen Spruch von sich geben würde.

Wir kehrten zu den anderen zurück, saßen dann plötzlich nebeneinander in einer großen Runde, und bald ging es schon langsam auf den Heimweg zu. Noch heute sehe ich mich mit meinen Eltern und einigen Bekannten im Foyer stehen, als „ Er“, dessen Namen ich inzwischen auch erfahren hatte, mir plötzlich seinen Autoschlüssel in die Hand drückte und sagte:
“ Wir treffen uns morgen hier um 16 Uhr, dann kannst du mir den Schlüssel wiedergeben, ich möchte nun nur nicht mehr Auto fahren.“

Wie selbstverständlich nahm ich den Schüssel an mich, einer Eingebung folgend für die es bis heute von beiden Seiten keine logische und total vernünftige Erklärung gegeben hat. Ich fühlte mich etwas geschmeichelt, aber auch unsicher, und fand mich gleichzeitig total bescheuert.

Ich hatte mich mit ihm verabredet? Nach und nach erst wurde mir das richtig bewusst und war bis zur letzten Minute hin- und hergerissen ob ich wirklich zu dem Treffpunkt gehen würde.
Gleichzeitig redete ich mir fleißig ein, dass ich ihm ja nur den Autoschüssel zurückgeben wolle, obwohl mein Herz schon etwas ganz anderes sagte.
Es sprach eine ganz andere Sprache als mein Verstand es angestrengt zu tun versuchte - recht erfolglos wie mir schwante.

Aufgeregt und zum Äußersten angespannt, weil ich logischerweise am liebsten die Uhr vorstellt hätte, ging ich natürlich hin.
Mit seinen unverkennbar langen Schritten kam er auf mich zu, ich reichte ihm die Schlüssel.
Er bat mich um einen Spaziergang, der mir im Rückblick heute auch recht wundersam und hölzern erscheint ...

Allzu viele Worte hatten wir nicht gewechselt, doch unsere Herzen hatten sich gefunden, und sofort im gleichen Takt geschlagen ehe es uns beiden bewusst wurde - und tun das immer noch!

Heute noch lachen wir oft darüber, und er fragt er mich:
"warum hast du eigentlich damals den Drink angenommen,
das hast du doch sonst nie getan!"
Bis zum heutigen Tag kann ich das nicht erklären,
und er nicht warum er mir den Drink spendiert hat.

Wir wurden einfach zueinander gelenkt,
und unsere Herzen hatten das sofort erkannt...

Autor:

Evelyn Gossmann aus Mülheim an der Ruhr

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