Auf den Spuren des Strukturwandels im nördlichen Ruhrgebiet

Kleine EInführung in die Geopgraphe des Kanal-Kreuzes | Foto: G.E.
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  • Kleine EInführung in die Geopgraphe des Kanal-Kreuzes
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ADFC Menden erkundet Vergangenheit und Zukunftsideen im ehemaligen Bergbauland

Die Thementour des ADFC Menden vom 20. August hatte sich eine ungewöhnliche Route ausgesucht, um den Sonntag zu nutzen und sich Bewegung zu verschaffen. Die vorzügliche Bahnverbindung von Fröndenberg nach Dortmund wurde für die Anreise genutzt, und die Gruppe konnte sich auf einen hoffentlich erfreulichen Trip auf dem Fahrrad einstellen.
Vorbei am Alten Hafenamt des Dortmunder Hafens, dessen Turm aus dem Jahr 1899 herüberschaute, ging es durch den Fredenbaum-Park zum Dortmund-Ems-Kanal, der sofort das Gespräch auf die Möglichkeit einer Radreise zum Emsland und zur Nordsee brachte, während das heutige erste Teilziel viel näher lag und nach 18 Kilometern bereits erreicht war.
Mit Hilfe einer groben Kartenskizze konnte der Teilnehmergruppe deutlich gemacht werden, welche zentrale Bedeutung das Wasserstraßenkreuz bei Datteln/Henrichenburg für die Entwicklung des Ruhrgebiets zum größten europäischen Wirtschaftsraum gehabt hat. Es verband die Eisen- und Stahlindustrie an der Ruhr über die Nordseehäfen mit den Rohstoffquellen in Skandinavien, und bis zum Ersten Weltkrieg auch mit den Minette-Erzen aus dem damals deutschen Elsaß-Lothringen. Über den Duisburger Hafen wurde der von hier aus auch der Rotterdamer Seehafen erreicht.
Ein kurzer Sprint brachte die Gruppe nach Horneburg, wo sie von Dr. Knechten, dem Pfarrer der Gemeinde „Boris und Gleb“ empfangen wurde, von der aus die weit verstreute Gemeinde der russischen Christen in Deutschland betreut wird. Der vielsprachige geistliche Gelehrte ließ in der Architektur der Kirche, durch den Blick auf die Schlußsteine in den drei Gewölben die enge Verknüpfung der Herrschaften Mark, Vest und Kur-Köln lebendig werden, während die Gruppe staunend das Interieur einer von Ikonen übersäten Kirche betrachten konnten. Russische Christen leben übrigens bereits seit den Zeiten Peters des Großen in Deutschland.
Später kamen durch den Bergbau polnische Katholiken hinzu, während das Ruhrgebiet seinen Aufstieg nahm. In Oer-Erkenschwick standen die Teilnehmer dann vor einem Zeugnis des Niedergangs, das heute durch Umnutzung und Restauration erhalten wird: die Zeche Ewald Fortsetzung, mit einer immer noch eindrucksvollen Halde und einem einsamen Fördergerüst-Turm, der als Wahrzeichen des einstigen Wohlstandes übrig blieb. Daneben wirkt die Stadt eher still; lediglich die alten Steigerhäuser in der Marktstraße haben einen zweiten Frühling erhalten und leuchten in frischem Putz. Die Geschäfte dagegen richteten ihr Angebot an einen eher geringwertigen, kurzfristigen Bedarf – ein sicheres Indiz für eine schwierige Wirtschaftslage.
Nach dem Mittagessen führte die Route dann durch einen Bereich, den niemand aus der Gruppe in dieser Form erwartet hatte, nach Marl. In dieser Stadt wurde die Notwendigkeit der Anpassung an den hereinbrechenden Strukturwandel bereits in den 1960er Jahren erkannt, und der gründliche Umbau der Stadt um ein neues Zentrum wurde in Angriff genommen.
Der Weg dorthin führt jedoch erst einmal durch eine fast bukolische Landschaft mit weiten, landwirtschaftlichen Flächen, die durch zahlreiche Flurgehölze unterbrochen werden. Eine Wegmarke war die Loemühle, die Flugsportlern wegen des Fallschirmclubs bekannt ist. Aber auch Cineasten kennen dieses Hotel als das Elternhaus des Dokumentarfilmers Heinrich Breloer, der von seiner Heimatstadt den Adolf-Grimme-Preis erhielt.
Durch moderne, offen gestaltete Wohnviertel mit Radwegen, von denen der gemeine Mendener Radfahrer nicht einmal träumt, führte die Fahrt zu den Hügelhäusern, deren architektonische Gestaltung in den 1970er Jahren unter Architekten und Stadtgeographen als revolutionäre Form des sozialen Wohnungsbaus gefeiert wurde. Das Gespräch mit einem zufällig aufkreuzenden Bewohner vermittelte interessante und weiterführende Einblicke in das Zusammenleben dieser Nachbarschaften.
Der Marler Stern war nur wenige Fahrradminuten entfernt und präsentierte sich ebenfalls als eine neuartige Gestaltungsform eines Stadtkerns, zusammen mit den beiden pilzförmigen Rathausteilen und der „Insel“, wo die VHS jährlich den Grimme-Preis verleiht, der mittlerweile als europaweit wichtigster und begehrtester Publikumspreis für TV-Produktionen gilt. Die kommerzielle Stadtmitte, die mehrstöckige Fußgängerzone, ist unter einer Traglufthalle vor der Witterung geschützt und bildet ein angstfreies, freundliches Areal mit einem vielfältigen Angebot an Waren und Dienstleistungen. Die Anbindung an die Wohnbereiche der Stadt geschieht durch die S-Bahn und Buslinien, die direkt im Zentrum halten. Aber auch Pkw und Fahrrad sind Verkehrsmittel der Wahl, alle auf ihren eigenen Wegen.
Die Neue Stadt Wulfen stand ebenfalls auf dem Programm, in der vor 50 bis 60 Jahren neue, zum Teil atemberaubende Wohnformen vorgeführt wurden. Von den interessanten und avantgardistischen Beispielen ist die Mehrheit jedoch bereits wieder der Spitzhacke zum Opfer gefallen und kann nicht mehr besichtigt werden.
Wegen der unsicher wirkenden Witterung wurde deshalb beschlossen, auf dem direkten Weg wieder den Anschluss an die Bahn hin Dorsten zu suchen. Leider konnte so die Privilegierung nicht genossen werden, die der Verkehrsplaner der Stadt Marl für uns bereitet hatte. Die Brassertstraße nach Wulfen entlang des Chemieparks ist derzeit eigentlich wegen einer Dauerbaustelle für den Radverkehr gesperrt. Eigens für die Mendener Radgruppe war dankenswerterweise über den Sonntag dort ein komfortabler Radweg geöffnet und markiert worden. Größer könnte der Kontrast zur alltäglichen Erfahrung Mendener Radfahrer kaum sein.

Autor:

Franz-Josef Knur aus Menden (Sauerland)

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