Balancieren statt glotzen
„Draußen schien die Sonne. Da habe ich bei meiner Oma stundenlang Fernsehen gekuckt.“ – „Ich war das ganze Wochenende daheim an der Playstation.“ Was sich Lehrerin Anja Bäcker da schon anhören musste. . . Aber das war lange bevor sie ein kleines Paradies auf dem Hof der Grundschule Langforthstraße schuf.
Was sich etwas umständlich „Bewegungsbaustelle“ nennt, macht fit fürs Leben, ohne dass einem der pädagogische Zeigefinger den Spaß vergällt. Grundschulkinder lernen, ein Projekt gemeinsam zu planen, darüber miteinander zu sprechen, eine Entscheidung zu fällen, miteinander zu arbeiten und zu werkeln – auf sich allein gestellt, würde jeder kläglich scheitern.
Als Schatzkiste fürs „Material“ dient ein alter, bunt bemalter Bauwagen auf dem Schulhof. Er ist bis unters Dach vollgepackt mit Bergbau-Bewetterungsschläuchen (prima geeignet zum Durchrobben), Drainage-Rohren, Mörtel-Tonnen, Lkw-Reifenschläuchen, Getränkekisten, Kletternetzen, Tauen, segelgroßen Fallschirmtüchern, selbstgebauten Styroporwürfeln, einer Schubkarre, Kunststoff-Fässern, Brettern, Balken – und nicht zuletzt mit gelben Schutzhelmen wie auf einer richtigen Baustelle.
Die „Maulwurfsklasse“ 3 b hat sich an diesem Tag entschlossen, ein Schiff zu konstruieren und den vorhandenen Abenteuerspielplatz als eine Art Gerüst für den phantasievollen Rohbau zu nutzen.
„Wir sind die einzige Grundschule in Herne, die über eine eigene Bewegungsbaustelle verfügen kann“, sagt Anja Bäcker nicht ohne Stolz. So etwas kostet Geld, und dafür braucht man Partner. Einen Sponsor fand man in der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Herne, die jährlich das Projekt unterstützt, das nicht nur die Bereitschaft zum Lernen fördert, sondern auch die Gesundheit.
Während zwei Jungen Schiffs-Treibstoff aus Kieseln bunkern, Mädchen an der „Popcornmaschine“ basteln und Jannis sich in seinem „Fernsehzimmer“ im Schiffsbauch räkelt, unterstreicht Anja Bäcker die Wichtigkeit der Bewegung. „Schüler müssen das heutzutage offenbar erst lernen. Sie haben häufig schon Schwierigkeiten, auf einem Bein zu stehen ohne zu stürzen und unfallfrei über einen Balken zu gehen.“
Das Balancieren will also erst probiert werden – es klappt schließlich auf niedrig angebrachten Spanngurten oder auf Brettern, über Getränkekisten gelegt. Die Bretter sind dazu da, Abstand vom Boden zu halten, denn wenn man auf die Kiesel tritt, frisst das „Grüffelo“ die Sohlen an. Sie kennen dieses Tier nicht? – macht nix, die Kinder schon.
Angst beim vorsichtigen Vorantasten auf Gurten und Bohlen hat übrigens niemand, denn es sind ja die anderen da. „Wir helfen uns gegenseitig, da kann doch gar nichts passieren“, versichert ein Mädchen und lacht.
Den Autor dieser Zeilen kribbelt es in den Fingern, die Arbeitshandschuhe überzuziehen und mitzumachen. Ein bisschen Bewegung täte durchaus gut . . .
Autor:Bernhard W. Pleuser aus Essen-Kettwig |
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