Soziale Teilhabe nur eine Augenwischerei?
Diese Frage stelle ich mir, als ich kürzlich bei einem Gespräch ein paar Eckdaten eines Mitarbeiters von der Gafög erhielt. Das ersparte mir eine Anfrage beim Land NRW und viel Wartezeit. Worum geht es? Es geht um die „soziale Teilhabe“ für ein „lebenswertes Gelsenkirchen“. Hierbei handelt es sich um ein vom Land NRW ausgeklügeltes Konzept für Menschen, die mit ALG II leben. Dieses Konzept suggeriert Lösungsansätze und schürt Hoffnung für Langzeitarbeitslose.
Aber nach meinen Erkenntnissen muss man das Konzept noch aus ganz anderen Perspektiven betrachten.
Wie die WAZ am 13. April 2017 schrieb, würde die „soziale Teilhabe“ 287 Betroffene wieder zurück in den Job bringen. „Beim Auftakt handelt es sich um ein Vorhaben, das Gafög zusammen mit Gelsendienste angeht.“
Die Gafög sieht sich als Dienstleister für Arbeitslose und Unternehmen. In ihrem Profil liest man: „Unser arbeitsmarktpolitischer Auftrag besteht darin, für arbeitsuchende Personen Perspektiven zu entwickeln und zur Verbesserung der regionalen Beschäftigungssituation beizutragen.“
Kommunikation mit der Gafög:
Nun habe ich bereits in der Vergangenheit mehrfach versucht, mehr über die Art der Arbeitsverträge, Mindestlohn, Mitbestimmung und anderen Arbeitsstandards herauszufinden. Leider wurden meine offiziellen Anfragen bis heute weder von der Gafög noch vom Beirat beantwortet. Näheres kann in meinem Text „Die Gafög hat nichts zu bieten“ nachgelesen werden. Das Schweigen lässt einfach Raum für Spekulationen.
Die Modalitäten der „sozialen Teilhabe“
Was bedeutet eigentlich „soziale Teilhabe“? Ein Spaziergang mit einem Freund ist eine soziale Teilhabe. Sozius ist lateinisch und bedeutet Gefährte. Dieses Konzept soll eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben suggerieren? Oder wird eigentlich eine finanzielle Teilhabe gemeint? Dass diese nicht aufgeht, zeigen folgende Modalitäten.
Auf Nachfragen, welche Modalitäten für dieses Konzept zu Grunde liegen, bekam ich von meinem Gesprächspartner folgende Antwort:
• Die Jobs sind nur für 18 Monate ausgelegt
• Es handelt sich um eine Arbeitszeit von 6 Std./Tag
• Es wird der gesetzliche Mindestlohn gezahlt
• In die Arbeitslosenversicherung wird nicht eingezahlt
Somit bedeutet dieses Konzept:
• Nach 18 Monaten tritt wieder das Jobcenter in den Fokus
• Diese Menschen haben keine Chance ins ALG I zu gelangen, da die Voraussetzungen sind, zwei Jahre in diese Versicherung eingezahlt zu haben.
• Weder Zeit noch Zahlung stimmen überein, den Menschen eine Perspektive zu geben.
Ferner fragte ich, ob man sich vorstellen kann, was so ein Konzept mit den Menschen mache? Sie beginnen nach einiger Zeit wieder zu grübeln und Ängste aufzubauen, weil die Zeit ganz schnell umgeht, sie vielleicht wirklich Spaß an ihrer Arbeit haben, aber das ALG-II mit all seinen unmenschlichen Sanktionspraktiken schneller ins Leben rückt, als den Betroffenen lieb sein kann. „Du solltest mal sehen, wie glücklich sie sind.“ Bekam ich als Antwort.
JETZT sind sie vielleicht noch glücklich, JETZT haben sie vielleicht noch Hoffnung. Aber niemand kann den Menschen versichern, ob der kommende Haushalt noch die Gelder bereit hält, dieses Projekt weiter zu unterstützen. Dazwischen liegt auch noch eine Landtagswahl, bei der die Karten wieder neu gemischt werden können.
Ich fragte, wo denn bei diesem Konzept die Nachhaltigkeit sei. Mein Gesprächspartner legte den Schwerpunkt des Nutzens tatsächlich darauf, dass die Menschen wieder glücklich sind, Arbeiten zu dürfen. Als ich fragte, ob bewusst sei, dass die Menschen nicht mehr als 900 Euro in der Tasche haben, kam die Antwort: „Mit Hartz IV kommen sie ja auch klar.“ „Nein“, sagte ich, „mit Hartz IV kommt man nicht klar. Zumindest nicht auf Dauer“.
Fazit: Dieses Konzept scheint nicht der Nachhaltigkeit, sondern dem individuellen Glücksempfinden von Langzeitarbeitslosen zu dienen.
Wieso werden keine wirklichen Jobs geschaffen?
In dem von der WAZ veröffentlichen Bericht steht: „Sascha Burandt bringt die Qualifikation mit. Er hatte schon früher als Landschaftsgärtner gearbeitet.“ Ich fragte meinen Gesprächspartner, wieso man ihm dann keine Stelle bei den Gelsendiensten anbietet. „Er wird niemals mehr einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt erhalten“, wurde mir prognostiziert. War das nun die Erkenntnis der gescheiterten Arbeitsmarktreform Agenda 2010? Oder kennt er Sascha Burandt so gut, dass er um seine Individuellen Vermittlungshemmnisse weiß? Das konnte ich leider nicht klären. Denn aus der Sicht meines Gesprächspartners würde er keine 8 Stunden mehr arbeiten können. Ich bin bis zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass für solche Aussagen Ärzte und Gutachter zuständig sind.
Es bleibt also zu klären, ob mit dieser „sozialen Teilhabe“ nicht reguläre Arbeitsplätze verdrängt, bzw. in ein Billiglohnlager verlagert werden. Da muss eine Anfrage durch entsprechende Parteien im Stadtrat gestellt werden. Was spricht dagegen, einen Langzeitarbeitslosen innerhalb der Gelsendienste 6 Stunden arbeiten zu lassen? Ich könnte mir nur vorstellen, dass es der Lohn und die Lohnnebenkosten sein könnten.
Und somit bekommt das Konzept „soziale Teilhabe“ wieder einen Riss.
Die bleibende Erkenntnis
Während des ganzen Gespräches verdeutlichte der Gafög-Mitarbeiter immer wieder, wie glücklich doch die Menschen sind, dass sie bei ihm arbeiten können. Sie weinen, schreiben Briefe der Dankbarkeit. Sie seien glücklich, bei der Gafög arbeiten zu dürfen. Und ich übertreibe in meiner Wortwahl gerade nicht. Nun mag es ja wirklich sein, und das spreche ich ihm nicht ab, dass Menschen verzweifelt nach Aufgaben suchen und glücklich sind, eine Perspektive zu erlangen.
Ich zeigte ihm aber auf, dass mir auch anderes Feedback zugetragen wurde. Und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Menschen auf Druck vom Jobcenter bei der Gafög landen. Und wenn sie die angebotene Arbeit ablehnen, mit Sanktionen bedroht werden. Menschen, die im ALG-II-Bezug sind, haben Angst. Ich schlug ihm vor, sich mal unter die Menschen in das Jobcenter zu mischen und mal mit ihnen zu reden.
An diesem Punkt verließ mein Gesprächspartner beinahe fluchtartig unser Gespräch, beleidigte mich noch mit den Worten, ich solle an meiner Wahrnehmung arbeiten und zeigte mir den Scheibenwischer.
Nun, gerne würde ich im umgekehrten Fall mir Erkenntnisse vor Ort bei der Gafög verschaffen, im Gegenzug erlebe ich ein „Duck und weg“ in Form von fluchtartigem Verlassen unseres Gespräches, als es um die andere Seite der Langzeitarbeitslosigkeit ging. Den Blick auf die andere Seite, auf die Seite der Angst, des Drucks und den täglichen Kampf um die Existenz, wollte vielleicht nicht gesehen werden.
Bevor sinnlose Projekte ohne Nachhaltigkeit als sinnvolle Projekte mit Nachhaltigkeit verkauft werden, wäre ein Blick auf die andere Seite der ALG-II-Bezieher zwingend notwendig.
„Soziale Teilhabe“ für ein „lebenswertes Gelsenkirchen“!
Autor:Sandra Stoffers aus Recklinghausen |
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