Fassungslosigkeit über Vorgehen bei Wellpappe Gelsenkirchen

Vor dem Werk an der Grothusstraße treffen sich die "ehemaligen" Mitarbeiter zur Mahnwache. Foto: Gerd Kaemper
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  • Vor dem Werk an der Grothusstraße treffen sich die "ehemaligen" Mitarbeiter zur Mahnwache. Foto: Gerd Kaemper
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Nach wie vor erklären Parteien und Gewerkschaften den Wellpappe-Mitarbeitern ihre Solidarität zu. Und überall herrscht Fassungslosigkeit über das skrupellose Vorgehen der Chefetage des Familienbetriebes, der seine Mitarbeiter bis zum letzten Tag des Monats hat arbeiten lassen und nun den Lohn angeblich nicht zahlen kann. Das Industrie- und Sozialpfarramt des Evangelischen Kirchenkreises plant zum Beispiel eine Spendenaktion, um den Mitarbeitern helfen zu können, da auch dem Insolvenzverwalter die Hände gebunden sind.

OB Frank Baranowski zeigte sich empört über das, was sich gerade an der Grothusstraße 90a abspielt und spricht von einem „ungeheuerlichen Vorgehen der Palm-Geschäftsführung“, Denn die Insolvenz der Wellpappen-Produktion im Werk Gelsenkirchen überrascht Beschäftigte und Stadtverwaltung gleichermaßen.

Am Brückentag per Boten über Freistellung informiert

Das Aus und die Insolvenz der Wellpappen-Produktion im Werk Gelsenkirchen kamen völlig unerwartet waren aber offenbar von der Geschäftsführung gut vorbereitetet. So wurden die Mitarbeiter am Brückentag per Boten über die Freistellung benachrichtigt, während gleichzeitig das Mutterunternehmen „Papierfabrik Palm GmbH & Co KG“ alle Hinweise auf den Standort Gelsenkirchen von der eigenen Internetseite löschen ließ.
Frank Baranowski: „Das ist ein unglaubliches und durch nichts zu entschuldigendes Vorgehen. Hier werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie Dinge behandelt, die man einfach beiseite stellen kann und dann im Netz löscht. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Geschäftsführung nicht den Mumm hat, der Belegschaft die Situation zu erklären und entsprechende Unterlagen vorlegt. Stattdessen wurden noch in der vergangenen Woche Überstunden vereinbart und von einer guten Geschäftslage gesprochen. Auch bei einem Besuch der städtischen Wirtschaftsförderung vor wenigen Tagen wurde noch von einer guten Auftragslage gesprochen.“
Wie ein Hohn muss dann die auf der Internetseite verbreitete Philosophie des Wellpappe Mutterkonzerns „Palm“ klingen. Hier rühmt sich das Unternehmen als modern, menschlich und verantwortungsbewusst und verweist auf ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein für die Zufriedenheit und berufliche Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und verspricht zudem noch vorbildliche Sicherheit (http://www.palm.info/palm/philosophie/).
Frank Baranowski: „Vielleicht hätten die Verantwortlichen besser diese Seite aus dem Internet gelöscht, bevor sie 96 Beschäftigte in Gelsenkirchen digital verschwinden lassen. Nach dem Schließungsbeschluss von Vaillant habe ich gedacht, schlimmer könnte sich ein mittelständisches Familienunternehmen nicht verhalten, aber Palm hat leider gezeigt, es geht doch.“
Die Stadt Gelsenkirchen wird jetzt unmittelbar Kontakt mit den Beschäftigten und der Unternehmensleitung aufnehmen, um die Hintergründe der Insolvenz zu erfahren und mögliche weitere Schritte zu überlegen.

Haertel: "Ein Rückfall in übelste kapitalistische Machenschaften"

Äußerst empört hat Dr. Klaus Haertel, Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion die Nachricht vom Umgang mit den Mitarbeitern der Firma „Wellpappe“ bei deren plötzlicher Insolvenz aufgenommen.
Dr. Klaus Haertel: „Ich hätte nicht gedacht, dass dies in einem deutschen Betrieb heute noch möglich ist. Das ist ein Rückfall in übelste kapitalistische Machenschaften eines Unternehmens und dessen Geschäftsführung. Eine Insolvenz tritt nicht plötzlich am 31. des Monats auf, die Kündigungsschreiben an die fast 100 Mitarbeiter lagen ja wohl schon bereit. Ich kann das nicht anders bewerten, als das diese Insolvenz bewusst und zielgerichtet an den abhängig Beschäftigten vorbei herbeigeführt wurde. Ein solcher gravierender Einschnitt in die Zukunft dieser Menschen darf nicht ohne deren Information und Beteiligung des Betriebsrates erfolgen. Die SPD-Ratsfraktion unterstützt daher vorbehaltlos die Mahnwache vor den Werkstoren. “

Heinberg: "Unsensibel, unglaublich, unmöglich!"

Mit deutlichen Worten reagierte der Fraktionsvorsitzende der CDU-Ratsfraktion, Wolfgang Heinberg, auf das Aus und die Insolvenz der Wellpappen-Produktion in Gelsenkirchen.
Wolfgang Heinberg: "Das Vorgehen der Geschäftsführung ist unsensibel, unglaublich und schlechterdings unmöglich! Der an den Tag gelegte Umgang mit den Beschäftigten, die völlig desolate Informationspolitik und das Wegducken im Konfliktfall, der für die Beschäftigten zur persönlich-existenziellen Katastrophe werden kann, ist nahezu unentschuldbar. Uns fehlen die Worte für ein solches Vorgehen. Die Hintergründe der Insolvenz müssen auf den Tisch. Und es muss geklärt werden, wer wann was wusste oder absehen konnte und warum Betriebsrat und Stadt nicht informiert wurden. Wir unterstützen die Mahnwachen vor den Werkstoren und verlangen von den Unternehmensverantwortlichen endlich umfassende Erklärungen für ihr Verhalten."

Bewusste Insolvenz-Herbeiführung"

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) verurteilt das Vorgehen der Palm-Gruppe und die angemeldete Insolvenz für das Wellpappewerk Gelsenkirchen scharf. Statt unter Beteiligung des Betriebsrates und persönlich in einer Versammlung über diesen Schritt zu informieren, wurden die Beschäftigten bereits am Montag und Dienstag (31. Oktober bzw. 1. November 2016) mit einem Brief per Boten informiert, dass das Werk geschlossen sei, sie von der Arbeit freigestellt seien und sich auf einer Handy-Nummer des Wachdienstes melden könnten, wenn sie persönliche Sachen aus dem Betrieb abholen wollten.
Der Betriebsrat ist bis zum heutigen Donnerstag nicht informiert worden, der Zugang zum Werk wird den Beschäftigten verweigert. Diese wiederum halten seit Bekanntwerden der Insolvenz rund um die Uhr eine Mahnwache vor den Toren der Fabrik ab, um zu verhindern, dass Betriebsmittel abtransportiert und so die Insolvenzmasse geschmälert wird.
„Dieses verantwortungslose Verhalten stellt einen unglaublichen Vorgang dar, sagte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. „Die Palm-Gruppe ist der zweitgrößte Wellpappekonzern in Deutschland, der zuletzt durch millionenschwere Zukäufe seine Marktposition ausgebaut hat. Der Konzern verfügt über genügend Mittel, um ein Werk mit 96 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anständig zu behandeln und mit der Interessenvertretung nach Wegen zum Erhalt der Arbeitsplätze zu suchen. Hier liegt ein klarer Fall vor, ein Werk bewusst in die Insolvenz geführt zu haben. Dass der Gesellschafter, Geschäftsführer und Konzernchef Wolfgang Palm am Tag der Schließung des Werkes in Gelsenkirchen die Belegschaft eines anderen Werkes in Monheim darüber informiert und keine Versammlung der betroffenen Beschäftigten in Gelsenkirchen einberuft, ist schlechter Stil und eine maßlose Geringschätzung der Beschäftigten. Herr Palm ist nicht nur Gesellschafter eines international agierenden Wellpappekonzerns, sondern Vizepräsident des Arbeitgeberverbandes Deutscher Papierfabriken, der während seiner Funktion als Präsident dieses Verbandes und während seiner Mitgliedschaft im Präsidium des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) 2010 das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen hat. Offensichtlich sind Herrn Palm ethische Grundsätze wie Offenheit, Gradlinigkeit, Berechenbarkeit, Zuverlässigkeit und Fairness, für die er sich selber gerne rühmt, abhanden gekommen.“
Ver.di steht an der Seite der 96 Beschäftigten und ihrer Familien und wird alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um für den Erhalt der Arbeitsplätze zu kämpfen.

"Empörung über das Gebaren"

Die Grüne Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic ist empört über das Vorgehen der Palm-Gruppe: „Eigentlich hatte ich gehofft, dass ein solcher Umgang mit Mitarbeitern der Vergangenheit angehört. Es ist nicht nur eine Stilfrage sondern auch angesichts der mitgeteilten Auftragslage eine Unverschämtheit, zum einen den Lohn für Oktober nicht auszubezahlen und insbesondere die Leute auf die Straße zu stellen!"
Peter Tertocha, Fraktionsvorsitzender der Grünen Ratsfraktion in Gelsenkirchen ergänzt: "Unabhängig davon, dass die Leute an ihrem Arbeitsplatz hängen ist es gerade in Gelsenkirchen so, dass nicht einfach eine neue Arbeit gefunden werden kann. Unglaublich ist für mich auch, dass sich die Firmenspitze nicht genötigt sieht, sich gegenüber den Mitarbeitern zu äußern. "
Die Grünen machen deutlich, dass sie die Belegschaft nach ihren Möglichkeiten unterstützen werden.

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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