RWE und die Jugend: Wichtig ist neben dem Platz

Vielleicht kehren einige der Fußball-Klässler von der Gesamtschule Nord  ins Stadion Essen zurück - als Spieler versteht sich, nicht als Bankwärmer...
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  • Vielleicht kehren einige der Fußball-Klässler von der Gesamtschule Nord ins Stadion Essen zurück - als Spieler versteht sich, nicht als Bankwärmer...
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„Gleich gehts los! Wir spielen gegen Real Madrid. Kommt, die schlagen wir!“, schallt es durch die Katakomben. Es ist allerdings nicht Jürgen Klopp, der da durch die Kabine tigert: Die Fußball-Klässler der Gesamtschule Nord sind auf Stippvisite im Stadion Essen. Die Teamansprache klingt schon wie bei den Profis - bevor die Jungs bei den ganz Großen mitspielen dürfen, ziehen aber noch mindestens zwei Weltmeisterschaften ins Land. Und falls der - viel wahrscheinlichere - Fall eintritt und nach der Schule statt Profikarriere die Ausbildung winkt, dann sind sie bestens vorbereitet.

Das ist zumindest der zugrundeliegende Kerngedanke der Kooperation zwischen der Vogelheimer Gesamtschule und Regionalliga-Klub Rot-Weiss Essen. Als Schule und Sport zur Saison 2011/12 ihre Verbindung eingingen, war die hiesige Presselandschaft einen Schritt voraus. Anstoß für die Fußball-Eliteschule? Bis dorthin ist es noch ein langer Weg, vor zwei Monaten erst hoben Unterstützer aus Sport, Politik und Verwaltung den „Förderverein Fußballinternat Essen“ aus der Taufe. Gründungsmitglied, neben Oberbürgermeister Reinhard Paß, RWE-Geschäftsführer Michael Welling und „König“ Otto Rehhagel, ist auch Thomas Keller, Schulleiter der Gesamtschule Nord. Ist der Groschen für den Standort Förderstraße bereits gefallen?

Eliteschule ist „keine
Entweder-Oder-Lösung“

„Es muss keine Entweder-Oder-Lösung sein“, betont Keller im Hinblick auf die zweite rot-weiße Schulpartnerschaft: Seit kurzem gehen auch Leibnizgymnasium in Altenessen und RWE Hand in Hand. Innenverteidiger Vincent Wagner verriet den Nachwuchskickern aus der Fußball AG bereits einige Tricks, eine Fußballklasse nach Vogelheimer Vorbild ist in Vorbereitung. Der Traditionsverein von der Hafenstraße deckt damit den gymnasialen Bereich ab. Michael Welling kann sich deshalb auch „ein Netzwerk von Eliteschulen vorstellen.“ Eines steht jedoch fest: Das Fußballinternat, es wird im Essener Norden seine Wurzeln schlagen. „In Rüttenscheid gibt es das Sport- und Tanz­internat, im Essener Süden ist der Ruder- und Kanusport stark vertreten. Im Norden ist jedoch der Fußball der Sport Nummer eins“, erläutet der RWE-Geschäftsführer die Entscheidung.

Anderthalb Jahre nach dem Anpfiff der Kooperation an der Förderstraße ist die Gesamtschule noch weit entfernt, eine Talentschmiede für den ambitionierten Regionalligisten zu sein. Unter den rund 50 Kindern, Jungen und Mädchen, die in den Fußballklassen 5 und 6 unterrichtet werden, spielen gerade mal zwei Schüler in den RWE-U-Mannschaften. Das rot-weiße Dress trugen sie aber schon zu Grundschulzeiten. Die Durchlässigkeit in die andere Richtung, sie lässt noch auf sich warten. Weshalb die Beteiligten aber nicht nervös werden. Schließlich soll die Schulkooperation kein Ersatz für das Jugendleistungszentrum sein, welches Rot-Weiss Essen mittelfristig installieren wird, um den Profi-Statuten des DFB zu entsprechen. „Wir erfüllen in erster Linie einen Bildungsauftrag“, erinnert Thomas Keller. Michael Welling verweist auf die „soziale Verantwortung“ des Vereins: „Wir im Essener Norden sitzen alle in einem Boot.“

Worte, die man dort schon des öfteren gehört hat - allein jedoch nichts bewirken. Die Bergeborbecker ließen aber, was das gesellschaftliche Engagement betrifft, Taten folgen - man richte den Blick auf die Essener Chancen e.V.. Die Rot-Weiss-Initiative lebt die soziale Gerechtigkeit. Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen aller Schichten neue Chancen in Schule und Ausbildung zu ermöglichen. Der Fußball stellt nur die Kulisse. Etwa, wenn Grundschulkinder während eines Stadionrundganges Rechenaufgaben lösen.
Das sind Aktionen, die einem Verein, der lange das Image eines Chaos-Klubs pflegte, in der Öffentlichkeit eine neue Erdigkeit verleihen. Michael Welling hält das „Gerede vom neuen RWE“ zwar für überhöht. Soziales Engagement in rot-weiß, das habe es schon in der Vergangenheit gegeben. Der Präses verweist beispielsweise auf die Errungenschaften des AWO-Fanprojektes. Oder auf die Kooperation mit der ghanaischen Fußballschule Kadede und Rot-Weiß Accra. Doch er muss gestehen, dass die Hafenstraße vor seiner Zeit „ein eigener Mikrokosmos“ war: „Jetzt gehen wir gezielt in die Stadtteile“.

Eine Öffnung nach außen, die nun aus tiefster Überzeugung heraus erfolgt? Oder ist sie die Fortsetzung einer Philosophie, die mit der Zahlungsunfähigkeit der Rot-Weissen Einzug hielt? Eine Philosophie, die von Transparenz und Gradlinigkeit geprägt ist, und somit zum Aufbau einer Marke, einer Corporate Identity, in der Post-Insolvenz-Ära gelegen kommt? Um Gesamtschulleiter Thomas Keller zu bemühen: Entweder-Oder muss nicht sein. Ideale und Kalkül sind schließlich keine zwei verschiedenen Paar Fußballschuhe.

Ideale und Kalkül
stehen nebeneinander

Sicher, der Verein ist bemüht, eine Nische zu besetzen. Von den Summen, die über die Tresen der Geschäftsstellen in Dortmund und Gelsenkirchen wandern, kann Rot-Weiss nur träumen. Teilweise gibt es in der A-Jugend der Reviernachbarn mehr zu verdienen, als in der ersten Mannschaft von RWE. Doch wie soll man da noch den Talenten den Verbleib in Essen schmackhaft machen? Hier könnten identifikationsstiftende, beinahe familiäre Strukturen helfen. Wer im Essener Norden groß geworden, zur Schule gegangen und fußballerisch ausgebildet worden ist, wartet vielleicht ab, welche sportlichen Perspektiven sich in der Ersten von Rot-Weiss eröffnen, bevor er sein Glück in einem Nachwuchsteam eines Bundesligisten versucht.

Andererseits menschelt es an der Hafenstraße nicht erst seit der Insolvenz - als diejenigen, die dem Klub auf dem Tiefpunkt die Treue hielten, plötzlich ganz eng zusammenrücken mussten. Dazu gehört zu einem überwiegenden Teil das Trainerteam. Mitarbeiter wie Jugendtrainer und Ex-Profi Andreas Winkler leben schon seit Jahren die „soziale Verantwortung“ vor, die der Verein nun verstärkt in der Stadt ausübt. Da mag der Nachwuchdribbler noch so viele Tore im Training schießen, in die Startaufstellung kommt der, bei dem die Noten stimmen. „Wir hatten in der U10 einen Jungen, bei dem plötzlich 48 Fehlstunden auf dem Zeugnis standen. Da gab es von uns die klare Ansage: ‚Du spielst erst, wenn du regelmäßig zur Schule gehst.‘ Im nächsten Halbjahr stand auf dem Zeugnis: ‚Fehlstunden - null‘“, berichtet Winkler. Wichtig ist eben neben dem Platz.

Dieses Verständnis trägt der Jugendtrainer nun in die Gesamtschule Nord, wo er die Fußballklassen betreut. Auch wenn es den Großteil nicht mal ansatzweise in die Nähe des Profifußballs verschlagen wird, die Chancen, dass der nächste Mesut Özil aus Vogelheim oder Umgebung kommt, sind zumindest gestiegen.
Aber auch beim Spinnen kommen Nationalmannschaft und Real Madrid bei Michael Welling erst an zweiter Stelle: „Der letzte Doktor im Fußball-Oberhaus war Jupp Kapellmann (1968 bis 1981, für Aachen, Köln, Bayern und TSV 1860 München). Wenn ein Akademiker aus dem Essener Norden in der ersten Bundesliga spielt, haben wir unser Ziel erreicht.“ Fotos: Michael Gohl

Ein weiterer RWE-Partner: Die Jugendhilfe

Eine enge Verbindung besteht auch zwischen Rot-Weiss Essen und Stadttochter Jugendhilfe (JHE). Sportlich sowieso: Der Regionalligist unterstützt zum Beispiel den Grundschul-Cup und die hauseigenen Kicker der Jugendhilfe. Doch RWE spornt auch zu sozialem Engagement an: Die Schüler der Ruhrtal-Förderschule (Fischlaken) wurden für ein verbessertes Unterrichtsklima mit einem Stadionbesuch inklusive Heimspiel belohnt. Das Motivationsprinzip beinhaltet auch einen Gegenbesuch der Rot-Weißen. Dann werden Berufsfelder rund um den Fußball - Marketing, Ticketing und Gastronomie - vorgestellt.

Autor:

Patrick Torma aus Essen-Nord

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