Bahn-Chaos ... Chaos-Bahn

Es ist doch immer wieder ein Abenteuer, mit unserer guten Deutsche Bahn zu fahren. Man kann sich absolut darauf verlassen, dass sich hier nie etwas ändert, dass alles auf eingefahrenen Gleisen weiter fährt oder stehen bleibt wie es immer war und immer bleiben wird.

Fragen Sie irgendeinen Pendler, fragen Sie irgendeinen Bahnkunden. Sie werden mehr Geschichten zu hören bekommen, als Sie jemals aufschreiben können.

Hier nur eine kleine, die schon in dieses neue Jahr hinein gehört. Aber auch jederzeit in einem anderen Jahr oder Jahrzehnt - Jahrhundert? hätte passieren können:

Samstag, 03.Januar 2015. Das Wetter ist unauffällig.
Wir bringen unsere beiden Enkeltöchter, 15 und 8 Jahre jung, mit der Bahn nach Köln zu ihrem gebuchten IC nach Frankfurt. Sie haben eine Fahrkarte erster Klasse mit reservierten Plätzen für einen Erwachsenen und ein Kind von Emmerich nach Frankfurt/M Hauptbahnhof.
Der IC soll um sieben Minuten vor vier fahren.
Wir nehmen den RE 5, der eine halbe Stunde vorher in Köln ankommt. Das passt.

Irgendwie habe ich Schal und Mütze vergessen in der Hektik. Aber ist ja auch nicht wirklich kalt.
Es wird aber unangenehm kalt, als wir auf dem zugigen Bahnsteig auf den RE5 warten müssen, der fünf Minuten Verspätung hat. Als er endlich einläuft, laufen wir bis vorne vor und steigen als Erste ein. Seltsamerweise sitzen schon - oder eher noch ?- Reisende im Waggon. Wieso sind die nicht ausgestiegen hier an der Endstation? Das hätte uns ja schon warnen müssen nach all unseren Erfahrungen mit DB.
Aber wie auch immer, wir müssen nach Köln, die Kinder haben Zugbindung.

Auf den ersten Kilometern fährt unser Zug noch normal, die Fahrkarten werden kontrolliert und gestempelt, die Mädchen futtern und kichern. Ich muss ihnen aus meinem Oma-Buch Himbeerrote Knallbonbons vorlesen von ihren Un-und Taten, als sie noch klein waren...

Ab Oberhausen ist Schluss mit Lustig. Die Bahn steht nach dem Halt. Und bleibt stehen. Bleibt...
Die Minuten laufen schneller.
Irgendwas von Betriebsschaden kommt leise und nuschlig durch die Lautsprecher. Kaum zu verstehen. Wir sehen uns an, mein Mann und ich und andere Reisende, die offensichtlich wie wir gleich die Bedeutung erkennen.
Das ist nicht gut.

Doch dann bewegt sich der Zug wieder. Langsam und vorsichtig, aber er fährt.
Und steht wieder. Minutenlang. Und fährt. Und muss stehen bleiben, weil andere Züge Vorfahrt haben.
Die Minuten fangen an zu rennen.
Ob wir das noch schaffen?
Wenn er jetzt durchfährt, könnte es klappen...

Er kommt bis Duisburg. Und steht.
Schleicht bis Düsseldorf Flughafen. Steht.
Und wieder dieses Wort : Betriebsschaden
Das schaffen wir im Leben nicht mehr. Unsere Nerven flattern, die Mädchen werden nervös. Wenn Oma und Opa schon ...???
Ich informiere unsere Tochter per Handy, dass die Kinder den gebuchten Zug nicht erreichen können. "Vielleicht kannst du das schon im Zug abklären und umbuchen," meint sie, "wenn ein Zugbegleiter kommt!"
Ich lache schallend.

"Ich weiß nicht, was mit meinem Smartphone ist, es stürzt dauernd ab." Unsere Enkelin starrt auf das kreisende Samsung-Oval, "da, schon wieder. Jetzt hat es nur noch 5%, dabei hatte ich es voll aufgeladen! - Da- schon wieder weg...!"
"Nimm mal den Akku kurz raus, wenn meins spinnt und abstürzt, hilft das meistens", sage ich.
Aber bei ihrem Gerät bringt es nichts. Es stürzt schneller ab, als sie es ausschalten kann. "Aber ich brauch es doch nachher, wenn wir alleine im IC sitzen. Wenn was ist. Und Mama ruft bestimmt an.." Dieses neue Problem verstärkt ihre Nervorsität.

Wieviele Stationen sind es noch bis Köln Hauptbahnhof? Leverkusen-Mitte haben wir gar nicht auf dem Schirm. Diese Strecke fahren wir eigentlich nie mit dem Zug. Aber wenn er jetzt Gas gibt und anschließend direkt bis Hauptbahnhof Köln durchfährt, und der IC der Kinder vielleicht Verspätung hat, dann könnten wir - eventuell - vielleicht -
...Die Hoffnung stirbt zuletzt...

Leverkusen-Mitte scheint toll zu sein. Der Zug kostet den Aufenthalt voll aus. Er mag sich gar nicht trennen. Die Zeit rast, obwohl die Minuten sich dehnen wie Kaugummi.
Die letzte schwache Hoffnung ist tot.
Wir haben schon über eine halbe Stunde Verspätung. Alle Nase lang bleibt der Zug auf offener Strecke stehen. Er kann nicht mehr. Oder er muss warten, um die regulären, nicht verspätenen Züge durch zu lassen.
Köln-Messe Deutz...
Rheinbrücke Köln...
Überall steht er.
Um zwanzig nach vier rollt unser RE5 endlich in den Hauptbahnhof ein. Vorsichtshalber rennen wir noch die Treppen runter und die nächsten wieder rauf, um ganz sicher zu sein, dass der IC nicht vielleicht doch noch wie durch ein Wunder auf uns wartet. Natürlich ist er längst weg. Aber der nächste fährt schon um 16.44, hat die Mama geschrieben.
Also dann - auf schnellstem Weg zum Reisecentrum, Fahrkarte umbuchen lassen. An jeder Hand ein Kind, in der anderen ein Trolly, rasen wir die Treppe wieder runter in die Halle. Natürlich ist das Reisecentrum am anden Ende der Halle. Am Eingang werden Nümmerchen verteilt. Wir haben noch etliche Leute vor uns, auch sind nicht annähernd alle Schalter besetzt.

Opa übergibt Marie sein eigenes Smartphone, damit die Kinder erreichbar bleiben . "Stell dir bloß mal vor, wir hätten die Kinder alleine fahren lassen..."
Bei dem Gedanken wird uns beinahe schlecht.
"Oma, ich muss ganz dringend." Gott, stimmt ja, das Kind hatte vorhin schon gesagt, dass es zur Toilette muss. "Tut mir leid, Schatz, wir sind gleich dran, du musst noch warten, bis du im Zug bist."
Am Schalter lege ich die Fahrkarte der beiden Mädchen vor. "Unser RE5 aus Emmerich hat eine Dreiviertelstunde..."
Ich brauche nichts weiter zu sagen: Der Beamte weiß Bescheid und schreibt auf das Ticket irgendwas mit Lokschaden ect. "Aber das Problem ist," sagt er nebenbei, "heute fährt kein Zug mehr von hier aus nach Frankfurt."
"???"
"Sie müssen nach Köln-Deutz, da fährt ein ICE um 16.44."
"Ok, aber die Fahrkarte für die Mädchen ist jetzt korrekt, auch mit erster Klasse, ja?"
"Ja." - Er hat die Ruhe weg... "Aber die Fahrkarte ist nur für einen Erwachsenen. Wer fährt denn nun damit?"
"Die beiden Mädchen hier."
"Wie alt sind sie denn?"
"15 und 8."
"Dann ist das Kind ohne Fahrschein."
"Nein, da steht doch: 1 Erwachsener, 1 Kind."
"Bei dieser Fahrkarte fährt das Kind gratis mit, aber nur mit einem Elternteil."
Langsam werde ich wütend. "Das steht aber nirgends. Da heißt es nur: 1 Erwachsener, 1 Kind. - Also machen Sie uns jetzt bitte eine Fahrkarte für das Kind. - Und wann fährt eine Bahn nach Köln-Deutz?"
"In - warten Sie, zwei Minuten auf Gleis 10." In aller Seelenruhe bereitet er die Fahrkarte vor, ich zücke meine EC-Karte und schon sind wir weg.
"Loooos!" schreie ich schon von weitem meinem Mann entgegen, "keine Zeit, Gleis 10!"
Wir stürmen durch die Halle, Gegenverkehr in voller Breite. Gleis 10 ist am entgegengesetzten Ende der langen Halle. Treppen hoch und mit einem Satz in die S-Bahn, die schon abfahrbereit auf dem Gleis steht. Ich keuche schlimmer als eine defekte Dampflok und die Kinder starren mich angstvoll an: "Oma!"
Noch bevor sich meine Lungen wieder beruhigt haben, hält die Bahn schon wieder. Köln-Deutz. Wir raus.
Eisiger Regen fegt über den Bahnsteig, in Sekundenschnelle sind wir nass. Jetzt zu Gleis 11. Nur noch wenige Minuten, bis der ICE einläuft. Gleis 11 ist das übernächste. Kann ja nicht weit sein. Obwohl auf der Karte was von Fußweg steht...
Es dämmert bereits ordentlich. Wo müssen wir hin? Nach rechts oder links? Nirgends ein Ausgang oder eine Treppe zu sehen. Ich packe Klein-Emma fester und renne mit ihr nach rechts. Mein Mann mit Marie nach links. Er fragt jemanden, ich frage jemanden. Eine zeigt nach rechts: da lang und dann runter. Der andere nach links: da lang und dann runter.
Wir stürmen die Treppe runter und die nächste wieder hinauf. Meine Güte, diese Treppe erinnert mich an die Potemkinsche Treppe in Odessa. Mindestens genausoviele Stufen!
Hier ist Gleis 11. Sollte es jedenfalls sein. Oder? Aber warum ist das so merkwürdig ausgeschildert? Nicht nur Gleis 11, auch noch etliche andere Gleisnummern sind angeschlagen. Wir hetzen hin und her. Fragen den Erstbesten, der uns nicht ausweichen kann: " ICE? Gleis 11"?
Er zeigt auf den Betonboden: "Da unten. Unterirdisch."
Ich hasse diesen Bahnhof.

Als wir endlich den unterirdischen Bahnsteig erreichen, innen und außen pitschenass, fährt der ICE ein. Wir schieben die beiden Mädchen mitsamt ihrem Gepäck in die erstbeste, offene Türe und sagen: sucht euch gleich hier einen Platz, für die eine Stunde bis Frankfurt braucht ihr keine erste Klasse. Und schon fährt der ICE wieder an. Wir rennen nebenher, erwidern die Küsschen und ihr Winken, bis der Zug unseren Blicken entschwindet.
Gottseidank, wenigstens die Kinder sitzen im Zug und sind bald zuhause!

Nass und durchgefroren suchen wir uns in der Halle unten die Zeiten für unseren eigenen Zug nach Hause. In einer halben Stunde fährt der RE5. Wir trinken einen heißen Kaffee und warten. Gleich.
Gleich ist übertrieben. Unser Zug hat eine Viertelstunde Verspätung. Als er endlich einfährt, ist es nicht der erwartete RE5, der Doppeldecker, sondern ein uralter Zug, den sie wahrscheinlich in aller Eile in Koblenz aus dem Depot geholt, entstaubt und aufs Gleis gesetzt haben, weil der reguläre, der uns Stück für Stück nach Köln gebracht hat, nicht mehr einsatzfähig ist.

Aber Hauptsache, er bringt uns endlich nach Hause.

Er bringt uns bis Duisburg. Da ist Schluss. Alle Mann raus.

Auf einem anderen Gleis steht ein Doppeldecker.
Wir steigen um.
Um acht Uhr abends, ganze sieben Stunden, nachdem wir mit den Kindern das Haus verlassen haben, rollt der Zug in Emmerich in den Bahnhof.

Einmal Emmerich-Köln und zurück: sieben Stunden

Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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