Bürgergespräch: Heiße Eisen im Marienviertel

Stellten sich den Bürgerfragen: Der 1. Beigeordnete Lars Ehm, Bürgermeister Tobias Stockhoff und Stadtbaurat Holger Lohse, dazu im Bild Prof. Dr. Werner Springer als Moderator und Ulrike Schürmann für das Protokoll (v.l.). Fotos: Borgwardt
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  • Stellten sich den Bürgerfragen: Der 1. Beigeordnete Lars Ehm, Bürgermeister Tobias Stockhoff und Stadtbaurat Holger Lohse, dazu im Bild Prof. Dr. Werner Springer als Moderator und Ulrike Schürmann für das Protokoll (v.l.). Fotos: Borgwardt
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Schulschließung, demografischer Wandel, Verkehrschaos, Windkraft: Es kommt einiges zu auf das Marienviertel in den kommenden Jahren. Zu den brennenden Themen nahmen die Stadtvertreter nun vor einer Bürgerversammlung Stellung.

Der Versammlungsort hatte Symbolcharakter: In der bald schon für immer geschlossenen Gerhart-Hauptmann-Realschule hatte die Initiativgruppe Zukunft Marienviertel am Dienstagabend Bürger und Amtsträger zusammengebracht. Das Interesse war riesig, bis auf den letzten Stehplatz war das Foyer gefüllt. Kein Wunder: Die kommenden Monate werden das Leben in dem ruhigen Wohnviertel erheblich verändern. Bürgermeister Stockhoff, Stadtbaurat Holger Lohse und Sport- und Jugenddezernent Lars Ehm stellten sich den Fragen und der Kritik der Bürger.

"Viele Einwohner fürchten eine weitere nachteilige Entwicklung des Viertels und einen Verlust an Infrastruktur", betonte Werner Springer, der als Sprecher der Initiativgruppe und als Moderator fungierte. Er richtete das Wort vor allem an den Bürgermeister und den Stadtbaurat, die den Löwenanteil der Beiträge lieferten.

Thema Realschule

Die Schulschließungen sind nach der verlorenen Abstimmung über den Erhalt der Wichernschule im Marienviertel ein äußerst sensibles Thema, wie man an den leidenschaftlichen Wortmeldungen der Bürger sehen konnte. Auch das Auslaufen der Realschule bis 2017 wird von den Einwohnern sehr kritisch gesehen. "Wie soll unser Stadtteil überhaupt noch für junge Familien attraktiv bleiben, wenn wir keine Schule mehr haben?" fragte eine Bürgerin nach. Eine andere Teilnehmerin wollte wissen, warum die Klassen nun schon ein Jahr vor der Schließung ins Schulzentrum an die Pliesterbecker Straße umziehen sollen. "Wir wollen den Eindruck einer Geisterschule vermeiden und den Schülern ein gutes Umfeld für ihren Abschlussjahrgang bieten", erklärte Dezernent Ehm und wies so den Verdacht einer vorzeitigen Schließung "durch die Hintertür" zurück. Bürgermeister Stockhoff wies noch einmal sehr deutlich auf die demografische Entwicklung in ganz Dorsten hin, die den Erhalt verschiedener Schulen unwirtschaftlich mache.

Auf die Frage der gefährdeten Attraktivität des Marienviertels für jüngere Generationen verwies Stadtbaurat Lohse noch einmal auf das zunehmende Alter der Bevölkerung, dem man Rechnung tragen wolle. Als Nachnutzung für den bald leeren Schulkomplex seien Schulungseinrichtungen für künftige Altenpfleger und barrierearme Wohnquartiere möglich. "Wir haben mit solchen Mehrgenerationenhäusern in anderen Stadtteilen beste Erfahrungen gemacht", erklärte auch Bürgermeister Stockhoff. Sein Hinweis auf einen möglichen Mehrgenerationen-Spielplatz sorgte für eher ungewollte Heiterkeit bei den Zuhörern. "Schauen sie sich eine solche Anlage erst einmal an, bevor sie die Idee belächeln", lud Stockhoff seine Kritiker ein. Er begrüßte ausdrücklich die Initiative der Marienschützen, den alten Spielplatz an der Bachaue in ehrenamtlicher Arbeit wieder herzurichten.

Für die Vereine, die bisher die Schulanlagen für ihre Zwecke nutzten, soll in Kürze eine Alternativlösung gefunden werden. Auch für der Schützenverein, dessen Festwiese wegen einer Naturschutzregelung nicht mehr genutzt werden kann, soll erst einmal am Tennisplatz neben der Wichernschule eine neue Heimat gefunden werden. "Wir wollen die Betroffenen mitnehmen", versprach Stockhoff.

Umbau Bismarckstraße

Mit großer Sorge schauen die Anwohner auch den kommenden Verkehrsbelastungen entgegen, die ab April mit dem Abriss der ehemaligen Bahnüberführung an der Bismarckstraße zwangsläufig einhergehen werden. Nach Planung des Kreises Recklinghausen soll bekanntlich nicht nur die Unterführung entfernt werden, sondern auch der ganze Bereich auf Höhe der heutigen Brückenoberkante aufgeschüttet werden.

Baudezernent Lohse verzichtete auf Beschönigungen und stellte klar: "Wir müssen uns auf sehr, sehr starke Verkehrsbelastungen einstellen." Selbst bei einem günstigen Verlauf müsse man mit mindestens anderthalb bis zwei Jahren Bauzeit rechnen. Durch den Wegfall der zentralen Verbindung Bismarckstraße werde der Nord-Süd-Verkehr in dieser Zeit zum einen über den neuen Leopoldring am Zechengelände abgewickelt, zum anderen aber auch über die Marienstraße. Im Einmündungsbereich zur Borkener Straße soll eine Ampelanlage Rückstau verhindern. Dennoch werde es eindeutig zu Einschränkungen und Belastungen kommen, so Lohse.

Mit besseren Nachrichten hatten die Bürger auch kaum gerechnet, und so drehten sich die Fragen vor allem darum, wie man die Beeinträchtigungen während der Bauphase möglichst abmildern könnte. Die Gefährdung für Kinder und ältere Personen durch den nun durch das Marienviertel brausenden Verkehr war dabei ebenso Thema, wie die jetzt schon mangelhafte Parkplatzsituation und der Flaschenhals Luner Weg mit seinen beiden Bahnunterführungen. Als mögliche Strategien waren Parkausweise für Anwohner und Geschwindigkeitsbegrenzungen im Gespräch. Konkrete Lösungen wurden aber noch nicht verkündet. Klar sei aber, dass der Schwerlastverkehr vor allem über die Zechenfläche und nicht durch die Wohnsiedlung abgewickelt würde.

Verschärft wird die Lage noch durch den teilweise gleichzeitig in Angriff genommenen Umbau des Bahnhofes mit Holzplatz und Grünem Weg. Hier sorgten sich die Anwohner, aber vor allem auch die Freie Christengemeinde um ihre Parkplatzsituation, steigendes Grundwasser und Belastung durch den Baustellenverkehr. Die bisweilen heftige auf Stadtbaurat Holger Lohse einprasselnde Kritik empfand Bürgermeister Stockhoff als teilweise ungerecht: "Das ist eine Kreisbaumaßnahme. Wir können als Stadt nicht viel mehr tun, als immer wieder beim Kreis anzufragen und Eingaben zu machen. Der Kreis reagiert aber nicht - was sollen wir dann tun?"

Altes Freibad und Holzbrücke

Wenig Neues gab es zur Zukunft der ehemaligen Freibadfläche zu berichten. Ein kollektiver nostalgischer Seufzer entfuhr dem Publikum, als Lohse ein Luftbild mit den blau schimmernden Wasserbecken aus dem Jahre 1996 präsentierte. Schon die nächste Folie zeigte den heutigen Zustand - man erkannte kaum noch etwas von der einstigen Pracht. "Das Gedankenspiel mit der Montessorischule ist endgültig vom Tisch", stellte Holger Lohse mit Hinblick auf frühere Pläne fest. So stelle sich der derzeitige Zustand wie folgt dar: Die Gebäude sind abgerissen, die Becken zugeschüttet. Der Zutritt werde durch einen Zaun verwehrt, damit sich niemand am Bauschutt verletzt.

"Eine Wohn- und Freizeitnutzung etwa durch einen Park bleibt uns vom Land NRW verwehrt", erklärte Bürgermeister Stockhoff. Grund sei der durchgehende Grünzug, der sich mit der Freibadfläche zwischen dem Marienviertel und Holsterhausen in Nord-Süd-Richtung ergebe, und der in der Landschaftsplanung besondere Wichtigkeit habe. "Wir werden den Schutt soweit entfernen, dass der Zugang wieder sicher wird, aber das Gelände dann nicht weiter entwickeln", so Lohse.

Eine deutlichere Entwicklung stellte der Stadtbaurat aber für die Holzbrücke über den Hammbach in Aussicht: Bereits in der zweiten Jahreshälfte sollte die Überquerung zum Blauen See wieder zugänglich sein. Diese Nachricht wurde von den Bürgern mit Erleichterung aufgenommen. Tatsächlich liegt die Brücke den Bewohnern so am Herzen, dass im Plenum schon Vorschläge kamen, die Muna könne die Bachquerung ja im Zuge einer Pionierübung neu bauen lassen.

Thema Windkraft

Eine wichtige Rolle spielte das Munitionsdepot auch beim letzten Thema an diesem Abend, nämlich der Frage möglicher Windkraftanlagen in der Gälkenheide. Hier sei die Lage noch völlig in der Schwebe, erklärte Bürgermeister Stockhoff. "Von sechs Grundstückseigentümern im möglichen Baugebiet sind zwei gegen, vier für einen Bau. Es müssen aber mindestens drei Anlagen bautechnisch möglich sein, damit die Fläche als Vorrangzone ausgewiesen werden kann." Stockhoff machte noch einmal deutlich, dass eine Stadt nur mit der Ausweisung von Zonen verhindern könne, dass Einzelanlagen an allen möglichen Stellen in der Stadt gebaut werden könnten. "Dann haben Sie nicht weniger Anlagen, aber gerade die Verspargelung der Landschaft, die Sie verhindern möchten", wandte er sich an die Windkraftgegner. Im Moment werde noch ein Umweltgutachten erstellt, dessen Ergebnisse nicht vor dem Sommer 2016 zu erwarten seien.

Ein mögliches Veto könnte von eher unerwarteter Seite kommen: Die Bundeswehr hat Bedenken geäußert, die Anlagen so nah am Munitionsdepot zu errichten. "Die rechtliche Situation ist aber noch ungeklärt", so Stockhoff. So habe Lagerkommandant David Helm zwar seine Ablehnung bereits schriftlich formuliert, aber es sei noch nicht klar, ob Windkraftanlagen wie andere Gebäude zu behandeln seien, die einen gewissen Mindestabstand zu Bundeswehreinrichtungen einhalten müssen. "Bisher ist der Einwurf also nicht viel mehr als ein Bauchgefühl", so der Bürgermeister. "Wir bemühen uns, in diesen Fragen Planungssicherheit zu schaffen." Sollten die drei Anlagen gebaut werden, könnte man im nächsten Schritt über eine Beteiligung der Bürger etwa durch eine soziale Stiftung oder einen gemeinnützigen Verein nachdenken, welche die einen Teil der finanziellen Erlöse zum Wohle des Marienviertels einsetzen könnten.

Im Gespräch bleiben

Nach drei Stunden endete der erste Austausch in der Realschule mit vielen beantworteten, aber auch vielen noch offenen Fragen. Für die Zukunft wollen die Stadtvertreter auch weiter den Dialog mit den Bürgern suchen. Bei Fragen können sich Bewohner des Marienviertels an die Pressestelle der Stadt Dorsten, die verantwortliche Behörde oder an den Leiter des Büros für Bürgerengagement und Ehrenamt, Joachim Thiehoff, unter Tel. 02362 663334 wenden.

Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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