1. Dinslakener Literatur-Hotel-Preis 2010: Oliver Peters - Der Fleck -
Du magst Sushi - Ich mag Pommes oder Der Fleck
Patrick bemerkte den Fleck im Vorbeigehen: Ein kleiner schwarzer Punkt, der kaum auffiel. Wie dieser schwarze Fleck auf die weiße Wand im Wohnungsflur gekommen war, war Patrick ein Rätsel. Vielleicht hatte er diese Spur, diesen Punkt hinterlassen, indem er in Eile mit einem Gegenstand versehentlich die Wand gestreift hatte. Er fragte sich außerdem, wie lange die Wand wohl in diesem Zustand gewesen sei und ob es bereits andere bemerkt hatten, die ihn in den vergangenen Tagen besucht hatten.
Ihm fiel direkt seine Mutter ein, doch sie achtete mehr auf leere Kühlschränke. Oder sein bester Freund, doch bei ihm zuhause sind Flecken an der Wand Standard. Vielleicht die Handwerker, doch die würden aus Höflichkeit nichts sagen.
Rebekka. Oh nein. Rebekka.
„Rebekka? Patrick hier.“
„Oh, Hallo. Das ist eine Überraschung. Hatte ich Dich nicht in die Wüste geschickt?“
„Wie könnte ich das vergessen. Aber ich muss noch mal mit Dir drüber reden.“
„Was gibt es da zu reden? Du magst Fußball, ich mag Museen. Du magst Pommes, ich mag Sushi. Du magst Sex, ich mag Liebe. Drücken wir es mal harmlos aus: Du bist nicht ganz mein Typ.“
„Sag mir nur eins: Lag es am Fleck?“
„Was? Spinnst du jetzt total? Was für ein Fleck?“
„Na, der Fleck an meiner Wand! Im Flur!“
„Tschüss Patrick ... und ruf‘ mich bitte nicht mehr an, ja?“
„Lag es also nicht am Fleck? Hallo?“
„Dass Frauen auch nie klare Antworten geben können“, fluchte Patrick noch hinterher und warf sein Handy so ungeschickt auf das Sofa, dass es zurückfederte und zu Boden fiel. Er ließ das Handy liegen und machte sich auf den Weg in den Keller, um nach dem Rest weißer Farbe zu suchen, den er nach der letzten Renovierung aufbewahrt hatte. Zumindest nahm er das an, doch selbst nach intensivster Suche konnte er keine weiße Farbe entdecken. Stattdessen fand er einen kleinen Plastiktopf mit schwarzer und einen weiteren mit roter Farbe. Beide waren zu seiner Beruhigung gut verschlossen. Daneben lag ein alter Pinsel, dessen Staubbelag er kräftig wegpustete. Er fuhr mit dem Daumen über die leicht verhärteten Pinselborsten, bevor er wieder in die Wohnung ging.
Patrick schreibt in seiner Freizeit. Keine Romane, eher satirische Kurzgeschichten, die auf seinen Alltagsbeobachtungen basieren. Es ist schon eine stattliche Anzahl zusammengekommen, auch wenn er nicht wirklich stolz auf sie ist. Er weiß, dass sie noch nicht ausgereift genug sind, um sie jemanden zu zeigen oder gar lesen bzw. kommentieren zu lassen. Ständig müsste er sich entschuldigen, dass er natürlich wüsste, dass sie nicht allzu gut formuliert seien, und dass dies und das noch zu ändern wäre. Aber die größte Angst ist nicht die vor der Rechtfertigung seiner Werke. Viel mehr fürchtet er das weiße, unbeschriebene Blatt. Er hat Angst vor dem Moment, in dem er sich vor das weiße Papier setzt und ihm nichts einfallen will. Schlimmer noch, wenn ihm dies widerfahren würde, bevor er einige seiner Texte irgendwem gezeigt hätte. Er wäre am Ende, bevor es überhaupt losgehen konnte.
Patrick tunkte den alten Pinsel in einen Farbtopf, ganz zaghaft, sodass es kaum tropfte, aber die Borsten dennoch genug schwarze Farbe aufnahmen. Er setzte den Pinsel nahe dem kleinen schwarzen Fleck im Wohnungsflur an und malte in einer ausholenden Bewegung eine geschwungene Linie. Er grinste zufrieden und tunkte den Pinsel erneut ein, dieses Mal etwas mutiger. Eine weitere Linie folgte, dieses Mal in eine andere Richtung, mit einer kleinen Kreisbewegung am Ende. Daraufhin öffnete er den roten Farbtopf...
...
„Rebekka? Entschuldigung, wenn ich noch mal störe...“
„Was soll das? Kannst du kein Nein akzeptieren?“
„Ich wollte Dir nur sagen, dass Du Recht hattest. Ich habe den Fleck beseitigt.“
„Patrick, hör‘ mal. Du bist ein lieber Kerl, aber ...“
„Ich habe den Fleck auf der Wand mit Rosen übermalt, ich weiß, es ist ein wenig kitschig, aber ich dachte, ein besseres Symbol gibt es kaum.“
„Wovon redest Du? Was für Rosen?“
„Wie ich sagte, ich habe Dir ein paar Rosen gemalt und möchte, dass Du vorbeikommst und mir deine Meinung dazu sagst. Bitte.“
Rebekka kam nicht vorbei. Patrick aber hatte das Gefühl, jetzt wieder ein reine Weste zu haben.
Der Fleck war unter seiner Malerei verschwunden, jedoch ahnte Patrick noch , wo er gewesen sein musste. Er überlegte kurz, ob er sich doch weiße Farbe kaufen sollte.
Autor:Günter Hucks aus Dinslaken |
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