1. Dinslakener Literatur-Hotel-Preis: Kirsten Huber

Alles reine Ansichtssache

Der Gesichtausdruck der Fernsehmoderatorin der Abendnachrichten wechselte von
routiniert freundlich zu ernst bis besorgt, als sie an diesem Tag den Wetterbericht verkündete. Ein Blizzard suchte seinen Weg in unsere Breiten, und mit ihm starker Wind, Eis, Schnee – und Bedrohung. Während ich mich zuvor entspannt in den Kissen meiner Wohnzimmercouch geräkelt hatte, schon ganz in Erwartung des anschließenden Sonntagabendkrimis, wurde mir jetzt doch etwas mulmig zumute. Fernsehbilder der letzten Wochen kamen mir in den Sinn, von umgestürzten Bäumen, Verkehrschaos und verunglückten Menschen. Was stand uns denn nun wieder bevor? Klar hatte ich vorgesorgt. Den Vorratskeller zum Bersten mit Lebensmitteln und Getränken gefüllt, die allerletzten Säcke Streusalz gebunkert und rund ums Haus jeden nur erdenklichen losen Gegenstand fest verzurrt. Was mir jetzt noch blieb, war abzuwarten, was die kommende Nacht und der angekündigte Wintersturm mit sich bringen würden. Und mit dem Abwarten die Angst vor der Katastrophe, die sich womöglich in den nächsten Stunden ereignen könnte.

Gruselig, nur seltsam, dass ich mir einige Jahre zuvor hierüber noch keine Gedanken gemacht hatte. Dabei gab es eine Jahreszeit mit dem Namen „Winter“ eigentlich immer schon, solange ich zurückdenken konnte. Was also hatte sich verändert? Eis und Schnee gab es, vielleicht sogar noch mehr als in der heutigen Zeit, Wind und Sturm ebenfalls. Die Maßnahme lautete stets, sich auf das Unabänderliche einzustellen, mit allen Vorsichtsmaßnahmen. Jedoch hatte solch ein Wetter auch seine Reize. Es sich etwa mit einer heißen Tasse Tee oder einem Glühwein zu Hause vor dem Kaminfeuer gemütlich zu machen. Ein gutes Buch in aller Ruhe zu lesen, oder im Familienkreis ein Gesellschaftsspiel aus dem Schrank zu kramen. Es konnte die totale Idylle sein, sich für eine kurze Zeit so richtig verschanzen zu müssen.

Ängste vor der nahenden Katastrophe waren gar nicht so präsent, aber das Wetter wurde auch nicht gleich von mehreren Sendern gleichzeitig thematisiert und in Sondersendungen zur Chefsache gemacht.

Dieselbe Nachrichtensendung, fünf Minuten später, neues Thema, noch 10 Minuten bis zum Sonntagabendkrimi. Und wieder Bedrohung. Dieses mal ein Virus. Jetzt hatte ich gerade gar nicht richtig hingehört, wie war die Bezeichnung? Nein Geflügelgrippe hatten wir schon, gegen die Schweinegrippe hatten wir uns impfen lassen, ach ja, da war die Bezeichnung wieder - Ziegengrippe hieß der neue Grund zur Panik. Ich verkrampfte mich und sank einige Zentimeter tiefer in die Couchkissen. Auch wieder eine weltweite Ausbreitung zu befürchten, Lebensgefahr für Kinder, Senioren und Immungeschwächte. Sollte man also mit etwas Glück den herannahenden Blizzard überstanden haben, unbedingt direkt am nächsten Morgen einen Termin beim Hausarzt vereinbaren. Schon mal rein vorbeugend, der hatte bestimmt ein paar Tipps auf Lager wie man die Katastrophe noch rechtzeitig abwenden konnte.

Warum diese Angst? Krankwerden konnte man doch früher auch schon, oder irrte ich mich da? Nur solch sprechende Bezeichnungen gab es nicht, und auch nicht die Information, ob irgendwo auf der Welt schon ein Mensch daran erkrankt war, oder womöglich verstorben. Vorgebeugt hatten wir. Bewusst mehr Vitamine zu uns genommen, Spaziergänge bei Wind und Wetter gemacht, das Immunsystem gestärkt. Ein aufkommendes Fieber nicht sofort mit Antibiotika im Keim erstickt, ein paar Tage im Bett verbracht und in aller Regel die Krankheit überstanden und wieder fit.
Ohne diese Ängste, kunstvoll thematisiert und heraufbesprochen, der Weg in die totale Verunsicherung und Panikmache.

Ich atmete auf, der Abspann der Nachrichtensendung lief, die Erkennungsmelodie des erwarteten Sonntagabendkrimis erfüllte wohltuend den Raum. Zeit sich zu entspannen, bei ganz normalem Mord- und Totschlag. Nur der ganz normale Wahnsinn. Den würde ich jetzt ganz einfach genießen.

Autor:

Günter Hucks aus Dinslaken

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