1. Dinslakener Literatur-Hotel-Preis: Jens Gelbhaar

Brötchen für umsons’.
Eine idiotisch-alltägliche Ruhrpottgeschichte

„Hier gibbet Brötchen für umsons’!“

Vor dem Supermarkt ist ein herrenloses Damenfahrrad umgestürzt. Ein Behälter ist vom Gepäckträger gefallen. Ein Eierkarton und ein Dutzend Brötchen liegen auf dem Pflaster. Man denkt, gleich käme eine dicke kleine Oma mit Kopftuch und Stützstrümpfen aus dem Supermarkt und fluchte wie ein Rohrspatz. Und auf der Bank davor sitzt ein alter Mann, der nach drei Tagen kalten Dauerregens das erste Sonnenbad nimmt und jedem Passanten blöde zu ruft:

„Hier gibbet Brötchen für umsons’!“

Die Brötchen und Eier werden also von der Maisonne getoastet. Die dicke kleine Oma lässt auf sich warten. Der alte Mann entfernt sich. Eine junge Frau mit Kinderwagen taucht auf und beugt sich zu ihrem Säugling hinab. Dutzi, Dutzi. Käme der alte Mann jetzt noch einmal zurück, er riefe gewiss auch dem Säugling zu:

„Hier gibbet Brötchen für umsons’!“

Die dicke kleine Oma bleibt nicht nur die Stützstrümpfe schuldig. Sie taucht überhaupt nicht auf. Und hier gibt’s auch nichts umsonst. Die junge Frau mit dem Kinderwagen verschwindet, aber die Oma, die jetzt erscheint, schiebt auch einen vor sich her. Ihr Weg kreuzt sich mit dem eines eisgrauen Zweimetermannes, der statt zu fluchen mit stoischer Ruhe das Fahrrad aufhebt und die Brötchen und Eier einzusammeln beginnt.

„Kumma“, sagt die Oma zu ihrem Enkelchen im Wagen, „die ganzen Brötchen. Soll’nwa den Onkel ma helfen tun?“ Und sie bückt sich nach einem Brötchen, obwohl der Hüne dankend ablehnt. „Kann ja ma passier’n“, sagt die Oma lächelnd in die blaue Luft hinein. Und schiebt ab. Der graue Hüne kehrt zurück in den Supermarkt.

Ein herrenloses Damenfahrrad mit einem Gefäß auf dem Gepäckträger steht vor einem Supermarkt. Es ist Mai. Die Sonne scheint. Im Geiste sieht man eine Horde Schimpansen übers Boulevard flitzen. Sie lassen die Schalen ihrer Bananen genau hier fallen.