„Wir verkaufen uns unter Wert!“ - Interview mit dem neuen Bochumer Oberbürgermeister Thomas Eiskirch

Vier Perspektiven hat Thomas Eiskirch in den Mittelpunkt seiner Arbeit als Oberbürgermeister gestellt. | Foto: Molatta
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Es weht ein neuer Wind im Rathaus, das ist bereits nach der ersten Arbeitswoche von Thomas Eiskirch zu spüren. Mit „Freude auf die Aufgabe und Respekt vor der Herausforderung“ will der neue Oberbürgermeister anpacken, erneuern und etwas bewegen und dabei „Lust auf Zukunft“ wecken.

In seiner ersten Ratssitzung am vergangenen Mittwoch hat er gleich ein Zeichen gesetzt, in dem er sich gegen eine Erhöhung der Grundsteuer zur Sanierung des städtischen Haushalts ausgesprochen hat. „Ich habe das im Wahlkampf versprochen, also halte ich es auch“, so Eiskirch. Im Interview mit dem Stadtspiegel erklärt Bochums neuer Oberbürgermeister, was er sich sonst noch so auf die Agenda für die kommenden Jahre geschrieben hat.

Sie treten das Amt des Oberbürgermeisters in einer spannenden, aber gleichwohl schwierigen Zeit an und stellen vier Perspektiven in den Mittelpunkt Ihrer künftigen Arbeit. Die Voraussetzungen für zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen, ist eine davon. Wie sollen und werden die Voraussetzungen aussehen?

Thomas Eiskirch: In Bochum haben wir mit der Umstrukturierung der Wirtschaftsförderung bereits gute Grundlagen dafür geschaffen, um zu zeigen: Hier soll sich was tun! Die Bedingungen für neue Industrien sind hier besonders gut. Dabei müssen wir die Perspektive Bochums in den nächsten zehn bis 15 Jahren im Blick haben.

...in denen sich was entwickeln kann bzw. wird?
Thomas Eiskirch: Es wird perspektivisch viel mehr kleinere Unternehmen geben. Sie nutzen die Chancen. die sich durch die Möglichkeiten der Digitalisierung bieten. Sie sind bestens vernetzt, steigern die Attraktivität des Standortes und stehen ganz praktisch für das, was wir heute noch eher abstrakt als Industrie 4.0 bezeichnen.

Wie wollen Sie die Firmen nach Bochum holen?
Thomas Eiskirch: Die Unternehmen müssen spüren, dass die Stadtverwaltung Partner der Wirtschaft ist. Wir müssen deutlich machen: Bochum ist der Magnet mit enormer Anziehungskraft. Wir sind die Stadt, wo man unbedingt hin muss. Dabei geht es nicht allein um große Industrieunternehmen. Kleine und mittelständische Betriebe gewinnen immer mehr an Bedeutung. Es ist unsere Aufgabe, für sie passende Flächen zu finden und Dienstleistungen bereitzustellen.

An den passenden Flächen mangelt es nach der Opel-schließung ja prinzipiell nicht mehr.
Thomas Eiskirch: Die Opelflächen zu entwickeln, ist Chance und Herausforderung zugleich. Wichtig ist, bereits jetzt dafür zu sorgen, dass die Unternehmen mit den Füßen scharren, um sich hier unbedingt ansiedeln zu können.

Muss dazu nicht auch das Image Bochums etwas aufpoliert werden?
Thomas Eiskirch: Wir verkaufen uns definitiv unter Wert. Bochum ist aktuell der beste Standort in Europa! Die Stadt besitzt großes Entwicklungspotential, eine spannende Hochschullandschaft, einen einzigarten Gesundheitssektor, eine lebendige Kulturlandschaft und exzellente Verkehrsanbindungen.

Sie kann aber nicht jedem adäquaten Wohnraum anbieten?
Thomas Eiskirch: Ja, der Wohnungsmarkt ist nicht unproblematisch. Es gibt Menschen, die in Bochum wohnen wollen, das aber nicht realisieren können. Dabei stellen sich zwei große Herausforderungen: Zum einen fehlen Angebote im sozialen Wohnungsbau, was insbesondere im Zuge des Flüchtlingsthematik an Bedeutung gewinnt. Dabei muss man die Menschen, die kommen, im Blick haben, gleichzeitig aber auch diejenigen, die schon lange bei uns wohnen. Zudem brauchen wir hochwertigen Wohnraum, damit die Menschen, die sich im Umfeld von Hochschule, Uni und Gesundheitscampus bewegen, nicht nach Witten oder in andere Nachbarstädte ziehen. Jeder, der hierbleiben möchte, soll das auch können. Und wer herkommen möchte, wird Raum finden.

Sie haben gerade die Nachbarstädte erwähnt. Gibt es einen Austausch mit anderen Städten bzw. anderen Oberbürgermeistern?
Thomas Eiskirch: Die Vernetzung im Ruhrgebiet ist eine Aufgabe, die in den Fokus rückt. Essens neuer Oberbürgermeister Thomas Kufen und ich haben bewusst gemeinsam unser Landtagsmandat niedergelegt, das war kein Zufall. Wir wollten signalisieren, dass der Zusammenhalt im Ruhrgebiet extrem wichtig ist - und das partei­übergreifend.

Thomas Kufen verkörpert wie Sie den Generationenwechsel bei einer Vielzahl von Oberbürgermeistern im Ruhrgebiet. Gut für das Ruhrgebiet?
Thomas Eiskirch: Ganz sicher. Das ist eine neue Generation an Oberbürgermeistern, die Zusammenarbeit dort forcieren, wo es Sinn macht und notwendig ist. Und an entscheidenden Stellen auch gemeinsam auftreten.

Welche Position wird Bochum künftig im Ruhrgebiet einnehmen?
Thomas Eiskirch: Als bundesweit 16.-größte Stadt ist es unsere Aufgabe, Bochum ihrer Bedeutung nach ein angemessenes Gewicht zu verleihen und es im Ruhrgebiet, im Land und im Bund zu positionieren. Dazu ist es erforderlich, über den Tellerrand hinauszublicken. Wir werden Interessen artikulieren und Prozesse mitgestalten.

Schließt sich die Frage an, wie lange Bochum angesichts sinkender Einwohnerzahlen seinen Platz unter den Top 20 der größten Städte in Deutschland noch behalten wird?
Thomas Eiskirch: Wir dürfen vor dem Bevölkerungsschwund nicht kapitulieren. Klares Ziel ist es, den überproportionalen Rückgang zu stoppen.

Wie soll das gelingen?
Thomas Eiskirch: Da kommen wir noch einmal zurück zu dem Thema Raum: dem Wohnraum und dem öffentlichen Raum. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, mehr Wohnbauflächen gestalten zu lassen und parallel den Bestand zu überprüfen. Bei diesem Thema stehe ich bereits in engem Kontakt zu unserem neuen Stadtbaurat Markus Bradtke.

Sie sind als Oberbürgermeister zugleich Chef der Verwaltung mit insgesamt rund 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wird es dort Veränderungen geben?
Thomas Eiskirch: Ich habe in den vergangenen Tagen viele Gespräche geführt und habe eine sehr große Bereitschaft gespürt, sich auf Veränderungen einzulassen. Es wird perspektivisch darum gehen, Potentiale der Verwaltung besser zu nutzen. Dazu werde ich gemeinsam mit dem Verwaltungsvorstand einen Strategieprozess einleiten, der den künftigen Kurs unserer Stadt prägen soll.

Wie weit werden Bochums Bürger in bestimmte Prozesse mit eingebunden?
Thomas Eiskirch: Wir wollen und brauchen aktive Bürgerbeteiligung. Das erfordert einen offenen Dialog. Den werde ich in Bürgerstunden und themenspezifischen Bürgerfragestunden und Bürgerkonferenzen suchen.

Wenn sie aktuell Bürger nach einem Thema fragen, das sie vornehmlich beschäftigt, wird es sicher die Entwicklungen der Flüchtlingssituation sein?
Thomas Eiskirch: Das ist ganz sicher eine große Herausforderung. Das, was wir im Moment bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Schutzsuchenden leisten, sind die Basics: ein Dach über dem Kopf, medizinische Versorgung, Kleidung sowie Essen und Trinken. Daran schließt sich aber die eigentliche Integrationsarbeit ein: Wohnraum zu schaffen, für Arbeits- und Kindergartenplätze zu sorgen und die Menschen sozial einzubinden. Parallel dazu ist es unsere Pflicht, Flüchtlinge vor rechten Angriffen zu schützen.

In Bochum scheint die Bereitschaft, Flüchtling willkommen zu heißen und sich in der Flüchtlingsshilfe zu engagieren, sehr groß zu sein?
Thomas Eiskirch: Das stimmt. Aber die Bürgerinnen und Bürger dürfen dabei nicht das Gefühl haben, dass ihre Interessen, Bedürfnisse und Anforderungen dabei zurückstehen. Das sind dann die zwei Seiten einer Medaille der Willkommenskultur: der Schutz der Flüchtlinge vor rechten Anfeindungen einerseits und der Schutz der Interessen der Bochumer andererseits.

Abschließend, ganz kurz: Was wünschen Sie sich für Bochum?
Thomas Eiskirch: Das geöffnete Buch für Bochum ist ein wunderbares Bild. Ich hoffe, wir können viele neue Kapitel schreiben, gleichzeitig sollen die Kapitel der Vergangenheit ihren Wert behalten.

Autor:

Andrea Schröder aus Bochum

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