Für Kultur kann man nie genug ausgeben

Klassischer Konzertsaal mit Orchester-Altar und Parkett: Stillsitzen auf engen Stühlen
  • Klassischer Konzertsaal mit Orchester-Altar und Parkett: Stillsitzen auf engen Stühlen
  • hochgeladen von Dr. Volker Steude

Bochum ist einmalig. Es ist wohl die einzige Stadt in Deutschland, von der aus man drei Konzerthäuser* und symphonische Orchester in 20 Minuten erreichen kann und die ein viertes Orchester selbst unterhält, das die Bürger in 18 Spielstätten verteilt über die ganze Stadt erleben können.

Brauchen wir unter diesen Umständen auch in Bochum ein eigenes Konzerthaus? Nein! Können die BoSy auch ohne eigenes Konzerthaus weiterhin ein Aushängeschild für Bochum sein? Ja!

Denn kein Orchester in der Region ist so gut aufgestellt, wie das in unserer Stadt.

Dabei sind die Bedingungen schwierig: Nach einer Studie des Kulturwissenschaftlers Martin Tröndle (Zeppelin Universität, Friedrichshafen) wird die Zahl der Konzertbesucher in den nächsten 30 Jahren um ein Drittel zurückgehen“ (http://www.zu.de/deutsch/aktuelles_presse/aktuelles/2010_03_02_63314916_meldung.php). Schuld daran sei nicht vor allem die klassische Musik, sondern ihre quasi-sakrale Präsentation – vorne der Orchester-Altar und im Parkett: Stillsitzen auf engen Stühlen.

Die Besucherstatistik für Konzerte des Deutschen Musikrats (http://miz.org/intern/uploads/statistik20.pdf) zeigt, dass sich zwischen 1993 und heute das Angebot an Musikveranstaltungen und Veranstaltungen scherenartig auseinander entwickelt hat. Relativ gesehen steht ein kleineres Publikum einer größeren Zahl Veranstaltungen gegenüber. Immer mehr Konzerte konkurrieren um ein schwindendes Publikum (Tröndle, Das Konzert, S.66).

Hinzu kommt, das Durchschnittsalter der Zuhörer liegt heute zwischen 55 und 60 Jahren, und es gilt als unwahrscheinlich, dass heute 30-Jährige mit 50 die Klassik für sich entdecken. „Wenn man solche Statistiken vorsichtig auf die kommenden Jahrzehnte hochrechnet, ergeben sich apokalyptische Szenarien – den meisten Orchestern, Opernhäusern und Konzertveranstaltern wäre jede Existenzgrundlage entzogen.“ (Jens Ullheimer, netsamurai digitale medien hamburg, http://harburg-magazin.netsamurai.de/2010/11/09/das-klassische-konzert-ist-tot-es-lebe-contemporary-classical/)

„Silbersee ist mittlerweile die gängige Metapher für das ergraute Publikum klassischer Konzerte – Veranstaltungen, die aufgrund ihrer geringen sozialen Attraktivität Jüngere kaum anziehen können”, stellt Tröndle fest.

„Die traditionelle Art und Weise, wie ein klassisches Konzert in der Philharmonie heutzutage “zelebriert” wird, mag auch viele potenziell Aufgeschlossene und Interessierte abschrecken; das “Ritual des etablierten Klassik-Konzerts” müsse sich ändern – zwei (oder mehr) Stunden im abgedunkelten Saal stillsitzen und den Mund halten, nicht husten, nicht zwischen den Sätzen klatschen, sich ganz und ausschließlich auf die dargebotene Musik konzentrieren (“weihevolle Versenkung im Kreis der Gleichgesinnten”) – das sei die wahre Abschreckung für die Jugend (und andere grundsätzlich interessierte Zuhörer), nicht die klassische Musik an sich.“ (Jens Ullheimer, a.a.O.)

Tröndle fordert angesichts der massiven Überalterung des Publikums: „Wir müssen das Konzert verändern, wenn wir es erhalten wollen.“ Statt herkömmlicher Philharmonien, sollen zeitgemäße Aufführungsorte gesucht werden:

Dazu werden ungenutzte alte Industrieareale als Location für unkonventionelle Contemporary-Classical-Konzerte vorgeschlagen, wie sie in Berlin erfolgreich bespielt werden. Im Zusammenspiel mit der elektronischen Klubkultur könnten zukunftsweisende Konzepte von kuratierten (themenorientierten) Präsentationen klassischer, elektronisch zeitgenössischer Musik, ergänzt um Lichtkunst / VideoJockeys entwickelt werden (Jens Ullheimer, a.a.O.)

Genau in diese Richtung haben sich die BoSy in den letzten Jahren konsequent entwickelt, wie u.a. die Konzerte in der Jahrhunderthalle oder der Betriebswerkstatt der BOGESTRA zeigen und die vielen Auftritte mit Künstlern aus den verschiedensten nicht klassischen Musikgenres. Der Erfolg beim Publikum basiert zu einem wesentlichen Teil gerade auf dieser spannenden Ausrichtung des Orchesters.

Die Zukunft der BoSy liegt gerade darin, dass sie anders aufgestellt sind als die herkömmlichen Orchester, fortschrittlicher mit einem zukunftsweisenden auch für das jüngere Publikum interessanten Konzept und ungewöhnlichen, innovativen Spielstätten. Diese Ausrichtung ist Folge des Umstandes, dass die BoSy kein eigenes Konzerthaus bespielen könne und natürlich der Verdienst von Steven Sloane.

Das „Musikzentrum“ jedoch würde einen Schritt zurück bedeuten. Die Einmaligkeit mit der die BoSy sich heute von anderen Orchestern abheben, ginge verloren. Die Folge wäre: Die BoSy als Aushängeschild für Bochum ziehen sich zurück in ihr Konzerthaus und fallen damit zurück in das “Ritual des etablierten Klassik-Konzerts”.

Die Parole einiger Musikzentrumsbefürworter „Für Kultur kann man nie genug ausgeben.“ ist nicht schlüssig. Mehr auszugeben - auch für Kultur - macht nur Sinn, wenn damit mehr für die Stadt und die Bürger erreicht werden kann. Das „Musikzentrum“ bedeutet aber nicht mehr Kultur, sondern nichts weiter als eine neue Spielstätte, ein neues Gebäude, für das viele der 18 Spielstätten der BoSy aufgegeben würden, die die BoSY eigentlich so attraktiv für Bochum machen.

Angemessene Probenräume für die BoSy könnten laut Stadt für 100.000 bis 150.000 Euro/ Jahr angemietet werden (http://buergerbegehren-musikzentrum.de/wp-content/uploads/2012/07/kostenschätzung-31-07-12.pdf). Das sollte möglich sein, z.B. in den neu entstehenden Gebäuden entlang der für 2015 geplanten repräsentativen Zentralachse der RUB direkt neben dem Audimax. (http://www.fswla.de/index.php?cont=projekte&id=bildung&projkat_id=2&lang=de&modus=list&proj_id=124).

Die BoSy sollten sich gegenüber den Orchestern der Region behaupten können, wenn sie ihren ungewöhnlichen und spannenden Weg weitergehen. Auf diese Weise können die BoSy gegen den allgemeinen Trend auch das junge Publikum für sich begeistern. Die BoSy müssen weiterhin die Locations bespielen, die auch die Jugend ansprechen, denn das junge Publikum wird kaum in den abgedunkelten Saal eines Konzerthauses zum Stillsitzen kommen.

Volker Steude (Ruhrblogxpublik)

*Konzerthaus Dortmund, Musiktheater Gelsenkirchen, Saalbau Essen

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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