Ökumene – ein kühner Traum!? - Interview mit dem Bochumer Pfarrer Dr. Gerald Hagmann zum Aufruf der Initiative „Ökumene jetzt!“

Pfarrer Dr. Gerald Hagmann | Foto: Gemeinde
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„Wir wollen nicht Versöhnung bei Fortbestehen der Trennung, sondern gelebte Einheit im Bewusstsein historisch gewachsener Vielfalt“, so lautet kurz und knapp das Anliegen der Initiative „Ökumene jetzt“, die anlässlich des 50. Jahrestag des Zweiten Vatikanischen Konzils im Oktober und der 500-Jahr-Feier der Reformation im Jahr 2017 die Überwindung der Kirchentrennung anstrebt und forcieren will.

Die Wurzeln der Initiative liegen in Bochum. Als im Kulturhauptstadtjahr Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert innerhalb der Predigtreihe „Mit Herzen, Mund und Händen“ der evangelischen Kirchengemeinde Bochum-Harpen in seiner Predigt „Geeint – geteilt: Von der Verantwortung des Christen in der Welt“ an die Wiederherstellung der deutschen Einheit erinnerte und dabei den Brückenschlag zur Kirchentrennung schlug, hatte diese mit zahlreichen Diskussionen zur Zukunft der Ökumene nachhaltige Wirkung – nicht nur in Bochum .
Fast zwei Jahre später ist aus dieser Predigt eine Initiative engagierter Christen zur Überwindung der Kirchentrennung erwachsen, die sich mit einem zentralen Aufruf an die deutsche Öffentlichkeit wendet: Personen des öffentlichen Lebens, darunter Richard von Weizsäcker, Norbert Lammert, Wolfgang Thierse, Thomas de Maizière, Annette Schavan, aber auch Prominente aus Sport, Kultur und anderen Bereichen präsentierten den Aufruf „Ökumene jetzt“ am 5. September am Brandenburger Tor in Berlin. „Das Dokument der Ungeduld“, so Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, soll der Kirchenbasis mehr Gehör verschaffen. Im Vorfeld befragte Stadtspiegel-Mitarbeiterin Andrea Schröder den Harpener Pfarrer Dr. Gerald Hagmann nach den Bochumer Wurzeln von „Ökumene jetzt“.

Bundestagspräsident Prof. Norbert Lammert hat sich im Kulturhauptstadtjahr 2010 recht freimütig als „protestantisch veranlagten Katholiken“ bezeichnet. Er sah keinen Grund, „500 Jahre Kirchenspaltung zu feiern“. Sieht das die Kirchenbasis vor Ort in Bochum auch so?
Dr. Gerald Hagmann: Darüber kann man geteilter Meinung sein. Das Jubiläum ist ja auch ein Grund zur Freude. Kirchliches Leben entwickelt sich weiter – nicht erst seit 500 Jahren. Und das ist gut so – denn unsere Kultur und unsere Wertvorstellungen ändern sich auch. Durch Martin Luther und die weiteren Reformatoren hat kirchliches Leben konfessionsübergreifend viele neue Impulse bekommen, für die wir heute dankbar sein können. Aus dieser Perspektive ist das vor uns liegende Reformationsjubiläum auch ein Grund zum Feiern. Andererseits ist es ein Fingerzeig auf das schmerzhafte Getrenntsein der Kirchen, unter dem viele Menschen leiden – ganz besonders konfessionsverschiedene Partner und Familien.

Die Wurzeln dieses Aufrufs „Ökumene jetzt!“ liegen in Bochum. Welche Impulse werden aus unserer Stadt Richtung Berlin gesendet?
In Bochum ist das „pralle Leben“ zu Hause. Alle theoretischen Überlegungen zur Ökumene und zum Miteinander der Kirchen werden in einer Stadt wie Bochum ganz schnell praktisch. Hier spürt man, dass die Gemeinsamkeiten der Kirchen viel größer sind als die theologischen Unterschiede. An einem Beispiel möchte ich das verdeutlichen: Auch wenn es noch keine theologische Einigung zum Abendmahl gibt: Das kirchliche Leben in der Praxis macht sehr viel mehr aus als die Feier des Abendmahls. Wenn wir auch noch kein gemeinsames Abendmahl feiern können: Warum gestalten wir nicht zusammen unsere Jugendarbeit, die Seniorenarbeit, die diakonisch-caritative Arbeit und vieles mehr? Im Zuge der Bildung von Großpfarreien auf katholischer und fusionierten Großgemeinden auf evangelischer Seite kommt in dieser Stadt die Frage auf, warum man nicht mehr Zeit in mögliche Synergie-Effekte in die ökumenische Arbeit innerhalb eines Stadtteils investiert. Dann könnte es gelingen, kirchliche Standorte langfristig in allen Stadtteilen zu halten, anstatt beide Konfessionen mit einem ganz ähnlichen kirchlichen Angebot in den größeren Stadtteilen nebeneinander anzubieten, wobei die kleineren Stadtteile, wie z.B. Kornharpen mit dem Rückzug beider Konfessionen benachteiligt werden. Die lebenspraktische Dimension des kirchlichen Lebens, die in einer Stadt wie Bochum so augenscheinlich ist, mag auch andernorts relevant sein.

Vor Ort in Bochum-Harpen wird Ökumene seit vielen Jahren gelebt. Mit Pfarrer Bauer von der Heilig Geist Gemeinde verbindet Sie sehr viel. Wie konnten diese Gemeinsamkeiten bis in die Bundeshauptstadt wachsen?
Tatsächlich haben wir eine gute, geschwisterliche Ökumene in Harpen – auch unter den Pastoren. Dass dieser Aufruf, der in der St. Vinzentius-Kirche in der Predigtreihe „Mit Herzen, Mund und Händen“ seinen Anfang genommen hat, nun in Berlin am Brandenburger Tor präsentiert wird, hat der Bochumer Bundestagspräsdient Norbert Lammert angestoßen.

„Ökumene jetzt“ hat prominente Unterstützung gefunden. Nach dem ernüchternden Papstbesuch ergreift „das Kirchenvolk“ die Initiative. Warum fehlen prominente Amtsträger aus den beiden Kirchen?
Wolfgang Thierse, einer der engagiertesten Erstunterzeichner des Aufrufs „Ökumene jetzt“, teilte der Süddeutschen Zeitung mit, dass man bewusst einen Aufruf „von unten“ initiieren wollte. Das Dokument drückt die berechtigte Ungeduld der Kirchenbasis zu den stagnierenden ökumenischen Fortschritten aus.
Am Rande möchte ich aber noch auf Ihren Hinweis zum Papstbesuch eingehen: Nicht überall, nicht von allen und nicht in allen Punkten war der Papstbesuch aus ökumenischer Perspektive ernüchternd: Der Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider – der sich übrigens auch schon in der Predigtreihe „Mit Herzen, Mund und Händen“ beteiligt hat – hat in seinem Gespräch mit Papst Benedikt zu einer „Ökumene der Gaben“ aufgerufen, bei der die Kirchen sich gegenseitig mit ihren Gaben bereichern, anstatt sich profiliert voneinander abzugrenzen. Von vielen wurde das als ökumenisches Hoffnungszeichen im Zusammenhang mit dem Papstbesuch gewertet.

Mit den Worten, „wir sind das Volk Gottes“, schlug Prof. Lammert bei seiner Predigt „Geteilt – Geeint“ in der St. Vinzentius-Kirche einen hoffnungsvollen Bogen zur gelungen Wiedervereinigung der Deutschen. Sehen Sie auch diesen historischen Bezug?
Ein solcher Vergleich war für mich neu. Aber ich finde ihn beeindruckend. Eine schon lange agierende Initiative, die sich für mehr Basisverantwortung im römisch-katholischen Bereich engagiert, trägt den Titel „Wir sind Kirche“. Dieses Bestreben entspricht in mancherlei Hinsicht der reformatorischen Forderung eines „allgemeinen Priestertums aller Glaubenden“. Die Kirche besteht aus vielen „lebendigen Steinen“ – sie zusammen machen das Bild der Kirche aus – und bei ihnen liegt daher auch die Verantwortung, etwas in der Kirche zu bewegen. Einige wenige Amtsträger wären damit überfordert.

Luther wollte keine Kirchenspaltung, dennoch perlte Ökumene bei den Würdenträgern der Kirche seit Jahrhunderten ab. Wie groß ist die Befürchtung, dass auch dieser neue Aufruf verhallt?
Die Geschichte der Ökumene würde ich gar nicht so negativ bewerten. Es hat schon große Annäherungen gegeben. Immer wieder erzählen mir ältere Gemeindeglieder von der Zeit der 40er, 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts: Damals gab es eine Abgrenzung voneinander. Seit der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965) hat sich vieles in der Ökumene zum Guten gewendet. Dass seit einigen Jahren wieder ein „Stillstand“ in der Ökumene beklagt wird, ist Grund, nun die Initiative zu unterstützen.

Die St. Vinzentius-Kirche ist ein steinernes Zeugnis der Kirchenspaltung: Sie war 500 Jahre eine katholische und 500 Jahre eine evangelische Kirche. Namenspatron der evangelischen Kirche ist ein katholischer Märtyrer. Können Sie sich für die nächsten Jahrhunderte ein gemeinsames Gotteshaus vorstellen?
Ein gemeinsames Gotteshaus könnte ich mir sehr gut vorstellen: ich bin ein Anhänger der Idee einer ökumenischen Kirchenraum-Nutzung, obwohl ich weiß, dass diese Idee auch in Bochum schon gescheitert ist. Sowohl in Querenburg als auch in Kornharpen hat es ökumenische Gemeindezentren gegeben, die beide nicht mehr betrieben werden. Dennoch gibt es viele Beispiele aus anderen Städten, die zeigen, dass eine gemeinsame Nutzung gut funktionieren und ungeahnte ökumenische Impulse einbringen kann.

„Ein Gott, ein Glaube, eine Kirche …“ – diese Zeile begleitet den Aufruf. Bleibt diese so einfache wie richtige Feststellung eine Utopie?
Keineswegs. Evangelische und katholische Christen glauben an einen Gott. In den meisten Glaubenssätzen haben sie auch einen Glauben, der z.B. in beiden Konfessionen fast gleichlautend durch das Apostolische Glaubensbekenntnis beschrieben wird. Dass wir eine Kirche werden, ist für mich eher eine Vision als eine Utopie.

Autor:

Andrea Schröder aus Bochum

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