Ein mysteriöses Wesen - die Gelbe Lohblüte oder Hexenbutter
Xanten-Marienbaum, den 15.09.2011/ aktualisiert am 12.10.2012
von Christel und Hans-Martin Scheibner
Nicht Pilz und nicht Tier
Die Gelbe Lohblüte (Fuligo septica), gehört der Familie der Schleimpilze an. Schleimpilze weisen eine sonderbare Mixtur von Tieren und Pilzen auf, weshalb sie einer eigenen Klasse zugeordnet werden. In der frühen Phase ihres Lebenszyklus besitzen sie Tiermerkmale (den Amöben ähnlich) und in der späten an Pilze erinnernde (Fruchtkörper- und Sporenbildung). Etwa 1.000 Arten sind heute weltweit bekannt, und ihr Familienstammbaum blickt auf 700 Millionen Jahre zurück.
Lohblütengeschichten
Den Menschen früherer Zeiten war dieses seltsame buttergelb gefärbte schleimige Wesen, daß so plötzlich seine Wuchsrichtung, aber auch sein Aussehen ändern konnte, eher unheimlich, zumal es auch noch im Wald wuchs. Und der Wald war schon immer der Ort der Hexen und Zauberer gewesen. So ist es nicht verwunderlich, daß man sie im Volksmund auch als "Hexenbutter" bezeichnete. Den Namen "Gelbe Lohblüte" trägt sie deshalb, weil sie auch auf der Gerberlohe (Eichenrinde) anzutreffen war.
In England nennt man sie "Scrambled egg slime" - Schleimiges Rührei, "Dog vomit slime" - Hundekotze - "Flower of tan" - Gerberblüte oder "Flower of sulphur" - Schwefelblüte.
Hier in Europa gilt sie als ungenießbarer, wertloser Pilz. Er ist ungefährlich für Pflanzen, Bäume, Mensch und Tier. In Mittelamerika jedoch, so auch in Veracruz/Mexiko, ißt man die Plasmodien der Gelben Lohblüte gegrillt oder gebraten wie Rührei. Dort bezeichnet man sie als "caca de luna", was soviel wie "Mondkacke" bedeutet.
Im Jahre 1973 überfiel eine Horde Schleimpilze wie aus dem Nichts einen Vorort der Stadt Dallas im Bundesstaat Texas/USA. Sie belagerten Laternenpfähle, Strommasten, Gärten und Parkanlagen. Als Feuerwehrleute versuchten, diese "Eindringlinge" mit einem scharfen Wasserstrahl von den Masten zu entfernen, vermehrten sich die "Angreifer" um so fleißiger. Eigentlich erreicht ihre Plasmamasse nur die Flächengröße eines Handtellers oder auch schon einmal etwas mehr, doch hier hatte sie immense Ausmaße angenommen. Es heißt, daß man in einem Forschungslabor schon einmal ein Plasmodium von 5,5 Quadratmetern gezüchtet hatte. Diese Massenerscheinung versetzte die Bewohner von Dallas in Angst und Schrecken. Sie glaubten an eine Alien-Invasion, eine gefährliche "außerirdische Lebensform". Solche "Wesen" konnten nur von einem fernen Planeten aus den Weg nach Texas gefunden haben. Ein Wissenschaftler der ansässigen Universität klärte sie verängstigten Menschen auf, und es gelang ihm letztendlich, die immer noch mißtrauische Bevölkerung wieder zu beruhigen.
Biologische Besonderheiten
Man findet die Gelbe Lohblüte auf verrottendem Holz, Rinde sowie Waldbodenstreu, aber auch schon mal auf dem Rasen. Sie bilden schleimige, kissenförmige, unregelmäßige Polster unterschiedlicher Größe und etwa 1cm Höhe. Jung sind sie schleimig und zitronen- bis goldgelb gefärbt, älter weißlich, trocken, zerbrechlich und spröde. Schleimpilze sind nackte, amöboid bewegliche Einzelzellen, welche sich zu Plasmamasse, dem Plasmodium, zusammenschließen. Das können Milliarden Zellkerne sein, welche sich hin- und herbewegen und synchron verdoppeln. Beeinflußt wird das Verhalten der Schleimpilze u.a. durch Temperatur-, Witterungs - sowie ph-Wert-Änderungen. Gegen Gifte und Bakterien können sie sich erfolgreich zur Wehr setzen.
Das Team Tjakko Stijve, Daniel Andrey & Walter Goessler untersuchten in einer Studie die Metallverträglichkeit von Schleimpilzen, u.a. Fuligo Septica, und fand heraus, daß diese eine überraschend große Metalltoleranz vorweisen. Ähnliche Erkenntnisse haben Forscher in Finnland, Nordkorea und Rußland gewonnen, welche hier u.a. Versuche mit hohen Zink-Konzentrationen gemacht haben. Dieses Metall scheint für Schleimpilze ungiftig zu sein - sie können dieses Schwermetall ohne nennenswerte Auswirkungen aufnehmen. Diese Fähigkeit scheint einzigartig zu sein, und man weiß noch nicht, warum diese Pilze dies tun.
Während ihres Wachstums bewegen die Plasmoden, die weder über Mund, Darm oder Gliedmaßen verfügen, mit winzigen veränderlichen Zellfortsätzen (Scheinfüßchen), welche nach Bedarf aus dem Plasma ausgestülpt oder auch wieder eingezogen werden können, in andauerndem Rhythmus fließend fort. Dabei nehmen sie Bakterien und andere winzige Organismen in ihrem Körper auf, um sie als Nahrung zu verdauen. Dabei hinterlassen sie eine weißlich glänzende Kriechspur mit verdauten Speiseresten und fördern so ein gesundes Pflanzenwachstum.
Dieses Kriechstadium endet letztendlich in einem ortsgebundenen Stadium mit Fruchtkörperbildung, wo dann die zur Vermehrung notwendigen mikroskopisch kleinen Sporen gebildet werden.
Der Schleimpilz kennt seinen Weg genau - ein japanisches Experiment
Auch die Japaner interessierte dieses außergewöhnliche Verhalten der Schleimpilze, und in Versuchen stellten sie fest, daß der Schleimpilz seinen Weg genau kennt.
„Die Wissenschaftler vom Bio Mimetic Control Research Center in Nagoya haben gezeigt, dass ein simpler Organismus wie der Schleimpilz den kürzesten Weg aus einem Labyrinth findet, wenn ein Anreiz in Form von Nahrung am Ausgang wartet.
Vier verschiedene Wege führen durch das von den Wissenschaftlern gebastelte Labyrinth, an dessen Ein-und Ausgang Leckereien (Haferflocken) platziert wurden. Und die Schleimpilze schlängelten sich mit Hilfe ihre Pseudopodien (Scheinfüßchen) souverän auf kürzest-möglichem Weg von Flocke zu Flocke.
Die exakte Position und Länge der sich durch den Irrgarten bewegenden Pseudopodien war jedes Mal ein wenig anders, der gewählte Weg jedoch war stets derselbe, nämlich der um 22% kürzere als die anderen drei zur Disposition stehenden. Um seine Effektivität im Labyrinth zu optimieren und beide Nahrungsquellen gleichzeitig erreichen zu können, veränderte das Plasmodium sogar seine Form.
"Dieser bemerkenswerte Prozess von zellularer Berechnungstätigkeit impliziert, dass zellulares Material eine gewisse primitive Intelligenz aufweisen kann.", so die Wissenschaftler in Nature." - Michaela Simon 28.09.2000 Heise Online
Schleimpilze als Modell-System in Bereich Evolution, Geschichte und Medizin.
Dictyostelium discoideum, welcher ebenfalls zur Familie der Schleimpilze zählt, ist ein hilfreiches Modellsystem für die Forschung. Er kann leicht manipuliert, z.B. genetisch verändert werden, was für die molekularbiologische Forschung auch im Bereich Medizin von größtem Wert ist. Dictyostelium discoideum hat viele biochemische Ähnlichkeiten mit menschlichen Zellen, insbesondere den Sinneszellen. So hat man hier die Möglichkeit, die Legionärskrankheit, aber auch Demenzerkrankungen, Depressionen und Entstehung von Schmerz besser zu verstehen und Mittel zu ihrer Bekämpfung bzw. Behandlung zu entwickeln. Sonst mußte man bei Demenz die Zellen von Verstorbenen zwecks neuer Erkenntnisse studieren. Diese Schleimpilze dienen aber auch als Modelle für Untersuchungen von Zell-Zyklen, Zellbewegungen und Zellwachstum im Zusammenhang mit Krebserkrankungen und tödlichen Erberkrankungen. Auch sind sie bei der Lösung von Rätseln im Geschichtsbereich und Evolution behilflich. Sogar Funktionen der menschlichen Gene, welche bis heute noch unklar sind, können so charakterisiert werden.
Für alle, die es interessiert, hier die wissenschaftlichen Bezeichnungen:
Fuligo septica ((L.) F.H. Wiggers 1780) - Reich: Urtierchen / Protozoa - Abteilung: Amöben / Amoebozoa - Klasse: / Myxogastrea - Unterklasse: nicht zugeordnet / Incertae sedis - Ordnung: / Physarida - Familie: / Physaraceae - Gattung: / Fuligo
Alle Fotos wurden von mir im Hochwald von Xanten-Marienbaum gemacht.
Hier erfahren Sie noch mehr Wissenswertes aus der Welt der Schleimpilze:
http://www.schleimpilz-liz.de/index.php?option=com_content&view=frontpage&Itemid=1&lang=de
Hirnloser Schleimpilz findet Weg aus Labyrinth
Lesen Sie hierzu einen Bericht in grenz|wissenschaft-aktuell vom 12. Oktober 2012:
http://grenzwissenschaft-aktuell.blogspot.de/2012/10/hirnloser-schleimpilz-findet-weg-aus.html
Autor:Hans-Martin Scheibner aus Xanten |
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