Schon zu Lebzeiten wie ein Heiliger verehrt: Martin – Mönch und Bischof von Tours

10.11.2016

von Christel und Hans-Martin Scheibner

Die Lebensgeschichte des Heiligen wurde von Sulpicius Servus (363 - 425), einem aquitanischen Adeligen und Freund des Bischofs, aufgeschrieben und blieb so der Nachwelt erhalten. Er war wie Martin Gründer einer asketisch lebenden Gemeinschaft. Aber auch drei noch vorhandene Briefe sowie Missionsdialoge geben Einblicke in des Leben des Martin von Tours.

Martin (Martinus), der spätere Bischof von Tours wurde im Jahre 316 nach Christi in Sabaria, dem heutigen Szombathely in Pannonien (Ungarn), geboren und starb am 8. November 397 in Candes, heute Candes-Saint-Martin, bei Tours in Frankreich. Sein Name Martinus leitet sich ab vom kämpferischen Kriegsgott Mars. Er war der Sohn eines heidnisch-römischen Militärtribuns und wuchs in dessen Heimatstadt Ticinium, dem heutigen Pavia in Oberitalien, wo er auch mit dem christlichen Glauben konfrontiert wurde, auf. Schon mit 10 Jahren hatte er den großer Wunsch, sich christlich taufen zu lassen. Jahrelang bereitete er sich auf diese Taufe vor und lebte, wie es von einem guten Christen erwartet wurde.

Die Zeit beim Militär

Mit 15 Jahren mußte er auf Wunsch des Vaters den Soldatendienst bei einer römischen Reiterabteilung in Gallien antreten. Nach kurzer Dienstzeit brachte er es schon bis zum Offizier. Wegen seiner Hilfsbereitschaft und Bescheidenheit war er bei seinen Kameraden sehr beliebt. Schon während seiner Militärzeit kümmerte er sich um Kranke und Notleidende. Von seinem Sold behielt er nur das zurück, was er zum Leben unbedingt brauchte.

An einem bitterkalten Wintertag im Jahre 334 war der 18jährige Gardeoffizier mit seinem Pferd unterwegs. Der Winter war in diesem Jahr besonders hart und hatte schon viele Opfer gefordert. Da sah er vor dem Stadttor von Amiens in Frankreich einen frierenden Bettler sitzen, welcher um Almosen bat. Martin zögerte nicht lange, nahm sein Schwert und zerteilte seinen Mantel. Eine dieser Hälften schenkte er dem Frierenden. Er kümmerte sich nicht um den Spott der Passanten, welche seine Handlungsweise nicht verstanden. Die folgende Nacht soll ihm Christus im Traum erschienen sein, bekleidet mit der Hälfte seines Militärmantels: Zu den ihn umgebenden Engeln sagte er: "Martinus, der noch nicht getauft ist, hat mich mit diesem Mantel bekleidet!" Es heißt, Martin habe wegen mutwilliger Zerstörung von Militäreigentum eine Arreststrafe von 3 Tagen hinnehmen müssen.

Kurze Zeit später ließ er sich von Hilarius (315 - 367), dem späteren Bischof von Poiters, in Amiens taufen. Einem befreundeten Hauptmann zuliebe quittierte er seinen Dienst beim Militär jedoch erst zwei Jahre später. Christentum und militärische Einsätze ließen sich seiner Meinung nach nicht miteinander vereinbaren.

Ernennung zum Bischof von Tours

Nach dem Verlassen des Militärs wurde Martin Schüler von Hilarius, dem Bischof von Poitiers. Anschließend kehrte er in seine Heimat Pannonien zurück, um dort zu missionieren. Aus Glaubensgründen floh er dann auf die Insel Gallinara an der französischen Riviera, wo er einige Zeit als Einsiedler lebte. Auch Bischof Hilarius verbrachte diese bewegten Jahre im Exil, kehrte aber wie Martin im Jahre 360 nach Poitiers zurück. Im nahe gelegenen Liguge errichtete er eine Einsiedlerzelle, welche sich - wohl auch durch den Einfluß Hilarius, zum ersten Kloster Galliens entwickelte, da sich sehr schnell zahlreiche Gleichgesinnte einfanden.

10 Jahre später erkor ihn die Bevölkerung zum Bischof von Tours. Dort hatte man händeringend nach einem Nachfolger gesucht. Am 4. Juli 372 wurde Martin zum Bischof geweiht - wie es heißt, gegen seinen Willen und gegen den des Klerus.

Über diesen Vorfall berichtet folgende Legende:

Martin wurde zugetragen, daß das Volk den Wunsch hegte, daß er Bischof von Tours würde. Er war ein sehr bescheidender Mann und liebte sein damaliges Leben und seine Arbeit. So versteckte er sich, um der Wahl zu entgehen, in einem Stall. Zu seinem Schrecken bemerkten ihn die dort untergebrachten Gänse und schnatterten lautstark, wie diese Tiere es nun einmal tun, wenn sie etwas Verdächtiges bemerken. So wurde er schnell entdeckt. Wie gut er seitdem auf Gänse zu sprechen war, ist nicht überliefert.

In einer weiteren Geschichte wird erzählt, daß eine Schar in die Kirche watschelnder Gänse den Bischof von Tours durch ihr lautes Schnattern bei einer Predigt unterbrochen hatte. Man fing sie kurzerhand ein, um sie anschließend zu braten.

Man geht davon aus, daß in diesen beiden Legenden der Ursprung liegt, zum Martinsfest eine Martinsgans zu schlachten und zu verzehren. Der Martinstag (Martini) war aber auch der Tag des Gesindewechsels und der Pachtzahlung, der Hauptzinstag, mit dem das neue Wirtschaftsjahr der Bauern begann. Dann wurde das Vieh geschlachtet, welches man aus Kostengründen nicht den ganzen Winter über füttern wollte, aber ich denke auch des Geschmacks wegen, denn das Fleisch zu alter Tiere schmeckt nicht mehr. Dazu gehörten auch die Gänse. So war es nur gegeben, daß es an diesem Tag Gänsebraten gab. Gänse waren auch begehrte Zinsbeigaben zu den Tributen. Neben der Martinsgans kennt man auch das Martinsschwein. Kinder zogen in einigen Gegenden singend von Tür zu Tür ("Heischegänge"), um Gaben wie Äpfel, Nüsse und Gebäck zu erbitten. In Weinbaugebieten war es üblich, am 11. November den Helfern nach abgeschlossener Weinlese eine "Lesgans" zu schenken. Beim Martinswein handelt es sich um den noch jungen Rebensaft. Aus den Niederlanden wird berichtet, das man am Martinstag Wein an die Bettler ausschenkte, und bis ins 19. Jahrhundert sind feucht-fröhliche Gelage an diesem Tag bekannt.

Auch als Bischof büßte Martin nichts von seiner Beliebtheit beim Volk ein. Er galt als treusorgend und gerecht, schlicht und demütig und lebte auch nach seiner Ernennung zum Bischof weiterhin asketisch. Es heißt, er habe auch noch als Bischof eigenhändig seine Schuhe geputzt, was zu damaligen Zeiten zu den niedrigsten Verrichtungen gehörte. Er saß nicht, wie üblich, auf dem Bischofsstuhl, der Kathedra, sondern zog einen einfachen Bauernschemel vor. Zuerst wohnte er in einer Einsiedelei neben der Kathedrale, um später eine Mönchskolonie in und auf steilen Felsen am Ufer der Loire nahe Tours zu gründen, woraus sich das Kloster Marmoutier (Maursmünster) entwickelte und zu einem bedeutenden religiösen Zentrum wurde. 80 Mönche lebten dort unter der Leitung des Bischofs. Sie hatten kein persönliches Eigentum, durften weder etwas käuflich erwerben noch verkaufen, geschweige denn Handel treiben. Außer Schreiben durften sie keine Handarbeiten verrichten. Nur eine Mahlzeit gab es am Tag, eine strenge Klausur mit gemeinsamem Gebet, keine Verbindung zum Klerus der Kathedrale. Diese Askese war es, welche immer wieder die Opposition des Klerus auf den Plan rief.

Martin unternahm Missionsreisen durch das gesamte Bistum und gründete mit seinen Mönchen Landpfarreien, welche nach seinem Vorbild lebten und arbeiteten. Mit viel Geschick belebte er heidnische Kultstätten, Kulte, Feste und Bräuche christlich neu. Seine Wunder machten ihn so berühmt, daß er schon zu Lebzeiten wie ein Heiliger verehrt wurde. Das Auftreten dieses ungewöhnlichen Mannes wird als prophetengleich und charismatisch geschildert.

Martins Tod und seine offizielle Ernennung zum Heiligen

Im Jahre 397 verstarb Martin auf einer seiner Missionsreisen. Überliefert sind seine letzten Worte:

"Mein Herr, es ist ein harter Kampf, den wir in Deinem Dienste in diesem Dasein führen. Nun aber habe ich genug gestritten. Wenn Du aber gebietest, weiterhin für Deine Sache im Felde zu stehen, so soll die nachlassende Kraft des Alters kein Hindernis sein. Ich werde die Mission, die Du mir anvertraust, getreu erfüllen. Solange Du befiehlst, werde ich streiten. Und so willkommen dem Veteranen nach erfüllter Dienstzeit die Entlassung ist, so bleibt mein Geist doch Sieger über die Jahre, unnachgiebig gegenüber dem Alter.”

Martins Leichnam wurde von Mönchen auf der Loire nach Tours gebracht, wo er drei Tage später, am 11.11.397 beigesetzt wurde. Eine große Menschenmenge fand sich zu seiner Beerdigung ein. Auf dieser 40 km langen Strecke sollen während seiner Rückführung einer Legende nach eine große Zahl Blumen aufgeblüht sein, deren schneeweiße Blüten das gesamte Ufer säumten.

Sein Todestag wurde schon bald als hoher kirchlicher Festtag begangen. Für seinen lebenslänglichen christlichen Totaleinsatz erwarb er sich als erster Heiliger die "sanctitas" durch ein unblutige Martyrium: die Askese („martyrium sine cruore”) und seine Wunderkraft sowie das Leben als Confessor, eines Bekenners („martyr ex voto”).

Über seinem Grab erbaute man im 5. Jahrhundert zuerst eine Kapelle, dann eine Basilika mit klösterlicher Cella, woraus die Abtei St. Martin entstand. Dieser Ort wurde zum fränkischen Nationalheiligtum erklärt und Martin zum Nationalheiligen und Schutzherrn der fränkischen Könige. Er entwickelte sich zur meistbesuchten Wallfahrtsstätte nach Rom. Es wurde reger Handel mit Martinsreliquien getrieben, welche allerdings größtenteils im 16. Jahrhundert zerstört wurden. Sein Mantel ("cappa") wurde in Schlachten als sogenanntes "Reichskleinod" mitgeführt. Die Martinsverehrung breitete sich immer weiter aus, um dann im 18. und 19. Jahrhundert in Vergessenheit zu geraten.1902 wurde die Martinskirche in Tours neu errichtet, welche die alte Basilika ersetzt. Hier werden die restlichen Martinsreliquien aufbewahrt.

St. Martin am Niederrhein

Um 1900 wurden in Deutschland am Niederrhein die alten Martinsbräuche neu belebt. Die ersten uns heute so vertrauten Martinslieder entstanden. Die Martinswecken wurden durch Weckmänner (Weggmann), auch Stutenkerle genannt, abgelöst, welche vorher nur zu Nikolaus gebacken wurden. Sie symbolisieren einen Bischof. Der frühere Krummstab soll schon zu Luthers Zeiten bei den Protestanten durch eine Tonpfeife ersetzt worden sein. Dreht man diese jedoch um, ist auch heute noch die Ähnlichkeit mit einem Bischofsstab zu erkennen. Ursprünglich wurde dieses sogenannte "Gebildebrot" gesegnet als Kommunionersatz Menschen gereicht, welche aus vielfältigen Gründen die Eucharistie nicht in der Kirche empfangen konnten. Es gab erstmals gemeinsame Martinszüge, die "Heischegänge" aus früheren Zeiten wurden jedoch noch übernommen. Nur wenigen ist sicher bekannt, daß die Tradition des Martinsumzugs auf den Reformator Martin Luther zurückzuführen ist. Ihm zu Ehren versammelten sich auf dem Erfurter Domplatz an seinem Geburtstag, dem 10. November und Vorabend des Martinstags, die Kinder mit Papierlaternen, um des Reformators zu gedenken. Auch Martinswecken finden in diesem Zusammenhang schon Erwähnung. Dieses Martinssingen oder auch Martinslaufen findet auch noch heute in vielen vorwiegend evangelischen Regionen aus diesem Anlaß statt.

Während der Hitlerzeit wurde diese schöne Tradition unterbrochen. Ein Soldat, der für die Nächstenliebe kämpfte, paßte nicht in das Denkschema dieser Zeit.

Erst ab 1945 erlebten diese Bräuche eine Renaissance, Martinstüten lösten die "Heischegänge" der Kinder ab. Die Martinszüge wurden organisiert und fanden stadtteil- schul- und gemeindeübergreifend statt, die sozialen und kirchlichen Aspekte in den Vordergrund gestellt.

Wie wird heutzutage St. Martin am Niederrhein gefeiert? Das Martinsfeuer, aber auch die Martinslaternen sind Teil der Lichtsymbolik der katholischen Kirche. An der Spitze des Umzuges reitet der "Heilige" auf einem Schimmel, begleitet vom Bettler. Die Kapellen der hiesigen Vereine warten mit einem allseits bekannten Martinslieder-Repertoir auf. Für das Martinsfeuer wird ein zentraler Platz ausgewählt. wo dann auch die Mantelteilung als kleines Spiel aufgeführt wird. In der Schule können sich Grundschulkinder nach dem Umzug ihre Martinstüte abholen, auf die Erwachsenen warten Glühwein und manchmal auch frisch gebackene Püfferchen. Dieses Fettgebäck aus Hefeteig, was meist Rosinen enthält, aber auch Weckmänner- mit oder ohne Rosinen- bekommt man traditionell beim Bäcker. Viele Niederrheiner stellen dieses Gebäck aber noch eigenhändig nach überlieferten Rezepten her. Mit den Weckmännern ist es leider inzwischen wie mit dem Weihnachtsgebäck: sie sind durch das Dauerangebot nichts Besonderes mehr - man ist sich ihrer Bedeutung kaum noch bewußt.

Das Mosaik auf dem Foto wurde im September in der Kirche St. Martin in Vynen fotografiert und zeigt den Soldaten Martin bei der Teilung seines Mantels.

Überprüfte Fassung vom 08.11.2011

Autor:

Hans-Martin Scheibner aus Xanten

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