Interview mit Günter Wetzel
"Ein paar Tage später hätte uns die Stasi verhaftet"

Petra und Günter Wetzel  bei der Premiere zum Film "Ballon". | Foto: Studiocanal

Die Familien Wetzel und Strelzyk schrieben 1979 Geschichte, als sie mit einem selbstgebauten Heißluftballon aus der DDR in den Westen fliehen konnten. Der Reeser Geschichtsverein und das "Museum rund ums Geld" in Xanten-Wardt holen Ende Oktober Günter Wetzel an den Niederrhein. Michael Scholten vom Reeser Geschichtsverein hatte die Gelegenheit ein Interview mit Günter Wetzel zu führen:

Herr Wetzel, fast 5.000 Menschen sind erfolgreich aus der DDR geflohen. Warum hat Ihre Flucht damals die größten Wellen geschlagen?
"Weil diese Flucht einmalig war. Ich verwende ungern den Begriff „spektakulär“. Aber so war wohl die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

Wie kamen Sie auf die Idee, einen Ballon zu bauen?
"Meine Schwägerin aus dem Westen kam Besuch und brachte eine Zeitschrift mit. Darin stand ein Bericht über das jährliche Treffen der Ballonfahrer in Albuquerque, New Mexiko. Peter Strelzyk und ich waren uns einig: So einen Ballon kriegen wir auch hin."             

In welchem Verhältnis standen Sie zu Peter Strelzyk?
"Wir waren keine Freunde, aber Kollegen, die eine Zweckgemeinschaft bildeten. Wir arbeiteten als freie Elektriker, ohne selbstständig zu sein. Man durfte in der DDR Feierabendarbeit machen. So gesehen haben wir den ganzen Tag Feierabendarbeit gemacht. Wirtschaftlich ging es uns für DDR-Verhältnisse gut. Man konnte die Aktion mit dem Ballon auch nur starten, wenn man Geld hatte. Wir mussten ja viel Stoff kaufen."

Woher wussten Sie, wie man einen Ballon baut?
"Wir haben mit Hilfe von Physikbüchern ausgerechnet, wie groß der Ballon sein muss, damit er uns tragen kann. Der erste Ballon, den wir gebaut haben, war eine Fehlkonstruktion mit luftdurchlässigem Stoff. Der zweite Ballon bestand aus Taftstoff, war aber zu klein für zwei Familien. Die Strelzyks haben es allein versucht und sind kurz vor der Grenze runtergekommen. Dann haben wir unter Zeitdruck einen dritten Ballon gebaut, während uns die Stasi dicht auf den Fersen war. "

Waren Sie überzeugt, dass der letzte Fluchtversuch gelingen würde?
"Wir haben unseren Frauen so oft gesagt, dass nichts passieren wird, bis wir es am Ende selbst geglaubt haben. Als wir in der Luft waren, war die Anspannung aber doch enorm. Rückblickend hatten wir ein Riesenglück."

Die Flucht wurde akribisch in den Stasi-Akten dokumentiert. Haben Sie alle Einträge gelesen?
"Wir konnten 1993 unsere Akten einsehen. Das waren 2000 Seiten. Nach einem halben Tag ist mir das aufs Gemüt geschlagen, weil mich viele Dinge negativ überrascht und menschlich enttäuscht haben. Zum Beispiel, wer uns alles bespitzelt hat. In den Berichten standen aber auch interessante Ballon-Details, die ich längst vergessen hatte. Es war auch interessant zu lesen, wie sich die Stasi-Leute gegenseitig die Schuld für unsere Flucht gaben. Es lag an Mängeln bei der Fahndung, dass wir nicht erwischt wurden. Ein paar Tage später hätte uns die Stasi verhaftet."

1989 fiel die Mauer. Haben Sie jemals gedacht: „Wenn wir das gewusst hätten, wären wir zehn Jahre vorher nicht mit dem Ballon geflohen“?
"Nein. Wir hatten durch unsere Flucht einen deutlichen Vorlauf und konnten etwas aufbauen. Nach der Wende haben die „Ossis“ gerade den grenznahen Raum überflutet, was der Westen nicht unbedingt positiv gesehen hat. Bei uns war das anders. Wir sind sehr positiv empfangen worden."

Regisseur Michael Bully Herbig hat Ihre Geschichte im Jahr 2018 verfilmt. Wie gefällt Ihnen das Ergebnis?
"Mich hat der Film von Anfang bis Ende gepackt. Natürlich gibt es leichte Abweichungen, die der Dramaturgie geschuldet sind, aber das Bauchgefühl stimmt. Das ist ein klasse Film geworden. Anfangs war ich skeptisch, weil ich mit der ersten Verfilmung, damals von Disney in den frühen 80er-Jahren, alles andere als glücklich gewesen war. Damals hatte man halt die Hollywood-Sicht auf die DDR gewählt." 

Sie waren in den letzten zwei Jahren bei vielen Filmpremiere und in vielen Talkshows zu Gast. Genießen Sie diese Auftritte und die Aufmerksamkeit?
"Ab 1980 haben wir uns, auch nach schlechten Erfahrungen mit der Boulevard-Presse, komplett aus der Öffentlichkeit rausgehalten und ein neues Leben aufgebaut. Erst seit meinem Vorruhestand vor fünf Jahren bin ich wieder aktiv im Thema drin. Ich rede gern im Fernsehen über die früheren Ereignisse und gehe auch als Zeitzeuge in Schulen und Vereine. Außerdem habe ich die Internetseite www.ballonflucht.de erstellt, auf der alle Details über den Ballon, unsere Flucht und unsere Beweggründe stehen. Als Ende September der Film 'Ballon' mit anschließender Dokumentation über unsere Geschichte in Sat.1 lief, hatte ich im Anschluss unglaubliche 10.000 neue Klicks auf meiner Seite."

Am Freitag, 30. Oktober, wird Günter Wetzel im Reeser Bürgerhaus den Kinofilm "Ballon" präsentieren, am Samstag, 31. Oktober, referiert er im Xantener Dom über seine spektakuläre Flucht.

Autor:

Lokalkompass Xanten aus Xanten

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