Ein musikalischer Herrgott - Vorpremiere zur „Muziekbiennale Niederrhein 2010“ im Dom von Xanten
Eine knappe Woche vor dem offiziellen Start zur „Muziekbiennale Niederrhein 2010“, die diesmal turnusmäßig auf der niederländischen Seite des Zweiländerfestivals eröffnet wird, setzten die Macher der Festspiele im Xantener Dom am vergangenen Samstag bereits eine aufsehenerregende musikalische Marke auf deutschem Boden.
Zu Gast war die international besetzte Gruppe „chant 1450“ aus der Schweiz. Verglichen mit verwandten Formationen wie etwa dem „Hilliard-Ensemble“, den „Tallis Scholars“ oder auch den „Kings Singers“ ist das siebenköpfige Ensemble aus dem Basler Dreiländereck mit großem Abstand das jüngste. Aber die Gruppe muss den Vergleich nicht scheuen. Im Gegenteil:
Wo der Platten- und Konzertmarkt Freunden mittelalterlicher, geistlicher Vokalmusik bislang ausschließlich gefälligen Schmelzklang zu bieten hatte, setzt „chant 1450“ vollkommen neue Akzente: Strukturelle Klarheit, engagierte Sachlichkeit und eine auffallend bescheidene Rücknahme jeder musikalischen Willkür zeichnen den Klangredestil der Gruppe aus und scheinen auf internationaler Ebene einen Paradigmenwechsel bei der Aufführung der ältesten Musik im christlichen Abendland anzukündigen. Hier wird weder weltentrückt um ein vermeintlich verflossenes Zeitalter musikalischer Hochkultur herumfabuliert, noch irgendein Versuch zur aufgehübschten Aktualisierung mittelalterlicher Klänge unternommen: „Chant 1450“ schlägt glaubwürdige Brücken zu den Spielregeln einer bislang weitgehend unerhörten Musik und ebnet gangbare Wege zu einem unmittelbaren Verständnis ihrer Tonsprache.
Wer sich den Klängen der vier Sänger und drei Instrumentalisten ausliefert, kommt sehr bald in Kontakt mit einem Zeitalter, in der Musik noch fester Bestandteil einer messerscharf gedachten universalistischen Philosophie gewesen ist: Führende Kirchenlehrer sahen von der Spätantike bis zur Renaissance ausgerechnet im musikalischen Wohlklang den entscheidenden Spiegel göttlicher Ordnung, und akustische Ordnungssysteme galten damals als Ur-Formeln eines grundsätzlich musikalisch denkenden Schöpfergottes.
Glasklar rezitierte gregorianische Gesänge zum Marienlob, unvergleichlich rein intonierte Motetten von Gilles Binchois und Dufay überbrückten kulturelle und spirituelle Barrieren von vielen Jahrhunderten ebenso mühelos, wie die analytische Schärfe, mit der „Chant 1450“ am vergangenen Samstag die mysteriöse Struktur einer Motette von John Dunstaple zum Leben der heiligen Katharina und eine weitere zur Vita Johannes des Täufers entschlüsselt hat.
Das künstlerische Format der Gruppe mag überraschen. Immerhin zählt das Ensemble hierzulande noch nicht unbedingt zu den renommierten Spitzengruppierungen. Aber es kommt nicht von Ungefähr. Die sieben Musikerinnen und Musiker sind allesamt Absolventen der weltberühmten Basler „Schola Cantorum“, die in den vergangenen Jahren schon öfter richtungsweisende Akzente für die Aufführung alter Musik gegeben hat.
In jedem Fall berechtigt der Auftritt der Gruppe in Xanten zu den schönsten Hoffnungen, und macht überdies klar: Die „Muziek-Biennale Niederrhein 2010“ hat ihr Programm am vergangenen Samstag mit einer veritablen Entdeckung eröffnet.
Tipp: Am kommenden Freitag, den 3. September 2010, findet die feierliche Eröffnung auf dem Château De Raay in Baarlo bei Venlo statt: mit dem hoch gelobten 17-köpfigen Vokalensemble The Gents, Chart-Stürmer der Klassik-Szene, der vielseitigen Sopranistin Johannette Zomer, dem international renommierten Storioni Trio und dem festivalgestählten Blechblasmeistern des Haags Saxofoonkwartet darf ein Feuerwerk der TOP of the Bill der niederländischen Musikszene erwartet werden.
Die Muziek Biennale Niederrhein ist eine Gemeinschaftsproduktion des Kulturraum Niederrhein e.V., der Stichting Muziek Biennale Niederrhein und der teilnehmenden Konzertveranstalter und Bühnen. Das Festival wird unterstützt von der Regionalen Kulturpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen, den Provincies Limburg und Gelderland, der Sparkassen-Kulturstiftung Rheinland sowie zahlreichen Förderern und Sponsoren. Im Rahmen des INTERREG IV A-Programms Deutschland-Nederland wird sie mit Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) kofinanziert und begleitet durch das Programmmanagement bei der Euregio Rhein-Maas-Nord.
Autor:A Johannsen aus Kempen-Tönisberg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.