Der Rheinische Karneval - Hintergründiges über die 5. Jahreszeit

Der Rheinische Karneval - Hintergründiges über die 5. Jahreszeit. Collage: Hans-Martin Scheibner.
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07.02.2018

von Christel und Hans-Martin Scheibner

Fast in jedem Ort im rheinischen Raum herrscht während der "Tollen Tage" der Ausnahmezustand. Es würde den Rahmen sprengen, alle Karnevalshochburgen am Rhein aufzuzählen, deshalb seien hier nur einige genannt: Köln, Mainz, Düsseldorf, Bonn, Koblenz.

Die närrische Zahl 11

In den rheinischen Städten beginnt in jedem Jahr am Martinstag, dem 11.11. um 11.11 Uhr, die 5. Jahreszeit: die Karnevalssession oder auch Närrische Zeit. In einigen Städten wird an diesem Tag der "Hoppeditz", ein Düsseldorfer Erzschelm, vertreten durch einen Karnevalisten, aus seinem "Sarg" geholt , wo er dem Stadtoberhaupt die Leviten lesen darf. Hier und auch andernorts ist es der "Nubbel" (aus dem Rheinischen = irgendwo, irgendwer, irgendwas), früher auch "Zacheies" (von Zachäus = hebräisch, der Reine, Zöllner Neues Testament) genannt, eine Strohpuppe, welche an Kneipentüren oder Häuser gehängt wird. Während in früheren Zeiten die Amtszeit des Prinzen nur einige Tage beträgt, sind es heutzutage die Wochen zwischen dem 11.11. incl. des Karnevalsdienstags.

Die Zahl Elf ist seit Jahrhunderten die Zahl der Narren. Es ist die Zahl nach 10, womit hier die zehn Gebote gemeint sind, welche für die damaligen Christen die Zeit der Überschreitung der von der Bibel gesetzten Grenzen bedeutet. Sie symbolisiert gleichzeitig auch die Gleichheit, da sich die Zahl 11 aus zwei selben Zahlen zusammensetzt - die Identität ist hinter einer Maske versteck. Elf Personen inklusive des Präsidenten bilden den "Elferrat", welcher bestickte und teils mit Glöckchen oder Fasanenfedern verzierte Narrenkappen trägt. 1827 befiehlt ein preußischer General den Kölner Jecken, diese Kappen, welche der Mütze des Jokers im Kartenspiel ähneln, als Kopfbedeckung, um sich vom normalen Volk zu unterscheiden. Diesen Brauch übernehmen später auch die Mainzer sowie andere Städte. Jeder Karnevalsverein entwirft seine eigene Narrenkappe, welche alle Vereinsmitglieder tragen .

Eine Karnevalssitzung ist keine ernste Angelegenheit

Bis einschließlich Karnevalsdienstag finden nun die Karnevalssitzungen statt. Auf diesen Veranstaltungen werden humoristische Reden, Tanzvorführungen sowie fröhliche Lieder und Musik - wozu kräftig "geschunkelt" wird - geboten. Zum Schunkeln (Schunkele) hakt man sich sitzend gegenseitig mit den Armen unter und bewegt sich gemeinsam im Takt der Musik hin und her. Gute Beiträge belohnt das Publikum mit einer "Rakete" - lautem Getrampel oder einer dreistüfigen Kombination aus Klatschen, Trampeln und lautem Geschrei oder auch Pfeifen. Besondere Verdienste werden mit Karnevalsorden honoriert, ein Brauch, mit dem man schon zu früheren Zeiten staatliche und militärische Orden lächerlich macht.

In den humorvollen Reden der "Narren" (altdeutsch narro=unvernünftig, auffällig, verrückt, nicht der Norm entsprechend) oder auch "Jecken" nehmen "Büttenredner" - deshalb so genannt, weil ein Waschzuber, die Bütt, als Rednerpult dient, Mißstände aus allen Bereichen aufs Korn. Wie früher in der Bütt wird "schmutzige Wäsche gewaschen". "Kölle Alaaf - Es lebe Köln, Köln über alles!" ist dort der typische Narrenruf - anderswo sagt man nur "Alaaf" (abgeleitet von dem Trinkspruch "Alles hinunter"). In Düsseldorf und Mainz ruft man"Helau". Einige Quellen gehen hier von der Ableitung des kirchlichen "Halleluja" aus, da in bestimmten Regionen auch noch der Narrenruf "ajujua" üblich ist - aber auch vom englischen "Hello".

Der karnevalistische Ausnahmezustand geht auf das Mittelalter zurück

Der Rheinische Karneval (carne-vale = Fleisch lebe wohl, im Hinblick auf die anschließende Fastenzeit) blickt auf eine lange Tradition zurück. Geschichtlich erwähnt wird er erstmalig im Mittelalter. Schon zu dieser Zeit gibt es Straßenumzüge, und es wird ausgiebig gefeiert - natürlich verkleidet und maskiert man sich auch. Es ist ein Fest des einfachen Volkes, und geistige und weltliche Obrigkeiten sehen all dem Treiben mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu, denn sie werden von der feiernden Bevölkerung gehörig verspottet. Doch auch sie feiern schon Karneval, anders als das einfache Volk, aber auch das Maß überschreitend. Leider entartet dieses Volksfest immer mehr, man spricht von zügellosem Verhalten betrunkener unzüchtiger Horden, welche lärmend und randalierend durch die Gassen ziehen.

Im 19. Jahrhundert nimmt dann das Bürgertum die Ausrichtung der Karnevalszüge in die Hand. Es wir das erste Karnevalskomitee, das "Festordnende Comite", gegründet, um dem rohen zügellosen Karnevalsreiben des Pöbels ein Ende zu bereiten. Im Jahre 1823 findet in Köln der erste - prächtig ausgestattete - Rosenmontagszug statt. Karnevalsprinz ist der Kölnischwasser-Fabrikant Emanuel Ciolina Zanoli, welcher dieses Amt bis 1830 behält. Er trägt zu diesem Anlaß einen hermelingefütterten Purpermantel, dazu eine steinbesetzte goldene Krone, Zepter und Reichsschwert.

Während des Nationalsozialismus gelangt der Karneval stark unter nationalsozialistischen Einfluß. 1937 wird der "Dachverband Deutscher Karneval" gegründet, welchem sich alle Karnevalisten anzuschließen hatten. Als Frauen verkleidete Männer sind in dieser Zeit undenkbar, doch weder Büttenredner noch Narren nehmen die Vorgaben so richtig ernst. So wird er 1940 vollständig verboten, und erst 1949, nach Ende des 2. Weltkrieges, findet in Köln wieder ein Rosenmontagszug statt. 1953 wird er erstmals live im Fernsehen übertragen.

Närrische Regentschaft: Dreigestirn, Prinzenpaar und Sellerieprinz

Das Jahr 1823 ist auch das Geburtsjahr von Prinz Karneval (Held Carnival), heute "Seine Tollität". In der einen Hand hält er als Züchtigungsinstrument und Zepterersatz eine Narrenpritsche. Als Kopfbedeckung trägt er seit Erfindung der Narrenkappe im Jahre 1827 diese Mütze, welche mit 4 Fasanenfedern, Symbol für die Einheit des Karnevals und der Heimatstadt. Nur in anderen Rheinischen Städten hält der Prinz zusätzlich ein Regierungszepter in der anderen Hand.

Begleitet wird er von seiner Garde, den "Roten Funken" (Kölner Stadtsoldaten, Bürgerwehr). Das "Funkenmariechen", auch nur "Mariechen", auch "Regimentstochter" oder "Tanzmariechen" ist bis 1936 ein Mann. 1883 gesellen sich in Köln Bauer (er steht für die Wehrhaftigkeit der Stadt Köln) - bezeichnet als "Seine Deftigkeit" - und Jungfrau (verkörpert ebenfalls von einem Mann), die beschützende Mutter Colonia - bezeichnet als "Ihre Lieblichkeit" -hinzu. Die Insignien des Bauern sind der Stadtschlüssel, welchen er am Gürtel trägt, und der Dreschflegel, welcher auf die Wehrhaftigkeit der Stadt Köln hinweist. Sein Hut ist mit 125 Pfauenfedern verziert, welche hier die Unsterblichkeit der Stadt Köln symbolisieren. Die Jungfrau trägt eine Zinnenkrone, die sogenannte "Mauerkrone". In der Hand hält sie einen Spiegel, das Symbol weiblicher Eitelkeit, wobei Krone und Jungfräulichkeit die Uneinnehmbarkeit der Stadt Köln symbolisieren. Zusammen bilden diese Personen das Kölner Dreigestirn (Trifolium) welches bis heute das "Narrenvolk" regiert. Die "Hilligen Knäächte und Mägde" gehörten mit zu den ersten traditionellen Gruppen.

Andere rheinische Städte ziehen nach und übernehmen auch das Brauchtum, allerdings gibt es in vielen Städten wie auch Düsseldorf das Prinzenpaar "Prinz Karneval" und seine "liebliche Venetia". Der Name Venetia geht auf ein venetianisches Fest zurück, was die Frau des Kurfürsten Jan Wellen im 17. Jahrhundert zugunsten der Armen gibt. Vorbild ist der Karneval von Venedig in der italienischen Provinz Venitien, italienisch Veneto.

Neben dem Prinzenpaar, welches seit 1929 gewählt wird, gibt es als zweiten Prinzen noch den sogenannten "Sellerieprinzen". Er wird vom Düsseldorfer Verein der "Närrischen Marktfrauen", 1949 als weibliche Karnevalsgesellschaft gegründet, gestellt. Von der Präsidentin des Vereins bekommt er als Zeichen seiner Wertschätzung eine Sellerieknolle oder auch Selleriestange - Zeichen der Männlichkeit - überreicht. Die Präsidentin selbst trägt als Würdesymbol anstelle einer Narrenpritsche eine Porreestange, als Zeremonienstab dient eine große Puppe in Marktfrauentracht. Seit 1952 sind die Marktfrauen mit einem großen Karnevalswagen im Düsseldorfer Karnevalszug vertreten, welcher alles beeinhaltet, was man auf einem Markt so bekommen kann. Seit 1987 wird auf diesem Wagen auch der Sellerieprinz mitgenommen. Allerdings sind die "Närrischen Marktfrauen" keine echten Marktfrauen, sondern weibliche Personen aus allen Bevölkerungskreisen.

Auch Grippeviren lieben das Bützen

Bützen gehört auch allgemein zur Karnevals-Tradition. Vorrangig in Köln verteilen die "Lecker Määdsche" ihre Bützche gern und überall. Es ist Ausdruck purer Lebensfreude. Während dieser Zeit ist man eben "jeck", was soviel wie närrisch oder verrückt bedeutet. Doch meist grassieren gerade während der jecken Zeit Grippeviren und nutzen ganz unverfroren das Bützen zwecks Verbreitung und Vermehrung.

Wehe wenn sie losgelassen: Weiberfastnacht

Die Weiberfastnacht (kölsch: Wieverfastelovend), welche in den rheinischen Städten ausgelassen gefeiert wird, geht auf die Bonn-Beueler Wäscherinnen zurück, welche 1824 ein Damenkomitee als Gegenpol zum karnevalistischen Männerkomitee bildeten, denn damals waren die Sitzungen und Umzüge reine Männersache. Verheiratete Frauen nennt man zu dieser Zeit Möhnen. Während dieser Tag anderswo eher als Vorfeier stattfindet, ist er in Beuel immer noch vorrangig. An diesem Tag kommt es Rathaussturm und Machtübernahme der maskierten und verkleideten Möhnen. Das Abschneiden der Krawatten ist als Ausdruck der Mißachtung männlicher Dominanz zu verstehen. Natürlich bekommen die Geschädigten anschließend ein "Bützje" (Kuß).

Was Nelken, Tulpen, Rosen, und Veilchen mit Karneval zu tun haben

Drei "tolle Tage" sind es - der Karnevalssonntag, auch Tulpensonntag genannt, der Karnevalsdienstag oder Veilchendienstag (in Köln Fastelovend - Abend vor der Fastenzeit, in Mainz Fassenacht) und der Höhepunkt des Rheinischen Karnevals, der Rosenmontag. Hinzugekommen sind der Karnevalsfreitag sowie der Karnevalssamstag oder auch Nelkensamstag. An allen Tagen finden Karnevalsumzüge statt, bestehend aus Themenwagen, Fußgruppen, Kapellen und dem Prinzenwagen. In Köln ist es der bekannte "Kölner Rosenmontagszug" sowie am Tulpensonntag der "Schull- und Veedelszooch" (Schull = Schule, Veedel = Stadtviertel ) . Dann werden "Kamelle" (Karamellbonbons) und "Gutsel" (Bonbons), aber auch Blumen („Strüssjer"), Schokolade und Sonstiges, geworfen. Beliebt und gehaßt ist Konfetti - kleine Papierschnipsel - welches sich vom italienischen "confetti"= Konfekt ableite, auch Luftschlangen, zu Ringen aufgerollte bunte Papierstreifen sind üblich. Beides wird schon im 19. Jahrhundert erwähnt. Im römischen Karneval haben sich die Narren mit Zuckerkörnern und kleinen Bonbon beworfen. Zum Auffangen der Karnevalsgaben ist der Einsatz umgedrehte Regenschirme sehr beliebt, aber im dichten Zuschauergedränge nicht immer ausführbar.

Am Aschermittwoch ist alles vorbei ...

Nicht nur in Köln ist es der Nubbel, auch Zacheies, verkörpert durch eine bekleidete Strohpuppe, welche in der Nacht vom Faschingsdienstag auf den Aschermittwoch abgenommen wird, um ihm den Prozeß zu machen. Was der Ärmste verbrochen hat? "Dat wör der Nubbel!", "Der Nubbel ist dat schuld!" oder "Er soll brennen!, der Nubbel!" heißt es, und im Prozeßausgang wird aller Sünden schuldig befunden, welche zur Karnevalszeit begangen wurden. Der Nubbel wird zum Tod durch Verbrennen verurteilt, um die schwere Schuld durch die reinigende Kraft von Feuer und Rauch zu tilgen.

Am Aschermittwochmorgen erhalten die Gläubigen in der Kirche, verbunden mit einer Messe, ein Aschekreuz auf die Stirn. Es handelt sich um geweihte Asche der Palmbaumzweige (Buchsbaum) vom Palmsonntag des Vorjahres. Nun beginnt die 46-tägige Fastenzeit, welche am Ostersonntag endet.

"Am Aschermittwoch ist alles vorbei", heißt es im Text eines traditionellen Karnevalsliedes. Der Hoppeditz wird dann zurück in seinen Sarg gelegt bis zur nächsten Session. Andernorts ist es üblich, ihn zu "Grabe zu tragen". Unter lautem Wehklagen bringt man ihn auf einer Bahre zum Einäscherungsort, wo er nach einer ehrenvollen Ansprache verbrannt wird. Seine Reinkarnation im nächsten Jahr ist auch in diesem Fall gewiß! Nach der Zeremonie geht man traditionell zum Auftakt der Fastenzeit zum Fischessen.

Autor:

Hans-Martin Scheibner aus Xanten

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