Das Erntedankfest - noch zeitgemäß ?

Brauchtum

von Christel und Hans-Martin Scheibner

Vor allem in den größeren Städten kennen Kinder oft Obst und Gemüse nur noch aus dem Supermarkt. Man bekommt es ganzjährig an der Frischtheke, als Obstkonserve, Marmelade oder tiefgefroren. In den Kühlregalen findet man Joghurt- und Quarkdesserts und die immer noch allseits beliebten Fruchtzwerge. Manche Kinder wissen so gerade noch, daß Obst an Büschen und Bäumen wächst, Getreide und Gemüse auf dem Feld. Aber wie sehen diese Bäume, diese Büsche, diese Pflanzen aus ? Auch über einen Mangel an Nährmitteln können wir uns nicht beklagen. Die Globalisierung macht s möglich, oft auf Kosten der Menschen in der Dritten Welt.

Hungersnöte kennen die Älteren noch vom Krieg, die Jüngeren aus den Katastrophengebieten unserer Erde. Auf unseren Äckern wird schon längst nicht mehr Getreide nur für Mensch und Tier angebaut, sondern auch zur Ethanol-Herstellung sowie zum Verheizen in Biogasanlagen. In der Antike war es den Menschen sogar eine Getreidegöttin wert - in Griechenland Demeter, in Rom Ceres, wovon die heutzutage so in Mode gekommene Bezeichnung "Ceralien" abgeleitet wird. Aus Raps gewinnt man nicht nur ein hervorragendes Speiseöl , sondern es dient auch als Grundlage zur Herstellung als Biosprit, dessen Frittürengeruch der Abgase selbst bei Naturfreaks nicht immer Anklang findet. Der Ernteüberschuß wird nicht an Arme und Hungernde verschenkt, sondern untergepflügt, um die Marktpreise zu halten, Überschußproduktionen vernichtet. Im günstigsten Fall werden Brot sowie sonstige Lebensmittel an Tiere verfüttert oder an Einrichtungen wie die "Tafel" weitergegeben. "Unser täglich Brot gib uns heute!" heißt es im Vaterunser - darum bitten die meisten schon lange nicht mehr, denn es ist ja im Überfluß vorhanden.

Es ist jedoch noch gar nicht so lange her, da war das "Tägliche Brot" nicht so selbstverständlich wie heute - es mußte oft hart erarbeitet werden, und nicht immer war die Ernte, die für den ganzen Winter reichen mußte, gut. Man hat noch sehr intensiv den Zyklus von Saat und Ernte, Hunger und Überfluß, verbunden mit dem Leben oder Leid und Tod, wahrgenommen. Mißernten bedeuteten für die Armen der Gesellschaft meist den Hungertod, und die Reichen, die es sich leisten konnten, kauften den Überschuß aus den Gebieten auf, wo die Ernte besser ausgefallen war. Doch man wußte schon immer, wo viel Geld zu holen war und nutzte die Not der Betroffenen durch überhöhte Preise aus.

So ist es durchaus nachvollziehbar, daß schon in vorchristlicher Zeit das Ernte-Dankfest von Angehörigen heidnischer Religionen in unseren Breiten zur Tag- und Nachtgleiche gefeiert wurde. Man dankte den Göttern für eine gute Ernte, indem man ihnen Opfergaben in Form von Ernteerträgen darbrachte. Begleitet war dieses Ritual von einem fröhlichen Fest. Diese Tradition ist auch von den Ägyptern, Griechen, Römern, im Grunde eigentlich weltweit, bekannt. In den wärmeren Ländern mit mehreren Ernten feierte man sogar gleich zwei Feste dieser Art. Obwohl das Erntedankfest also keinen biblischen Hintergrund hatte, wurde es auch von anderen Religionen, so auch von der jüdischen und sehr viel später von der christlichen, adaptiert.

Lange Zeit war es in Europa Brauch, daß die Gutsherren zur Erntezeit ihre Knechte und Mägde mit dem "Erntebier" sowie einem festlichen Essen bewirteten. Erst seit dem 3. Jahrhundert feierten auch die katholischen Christen ein Erntedankfest, allerdings ohne einheitliche Termine. 1770 wurde es dann als Fortsetzung bäuerlicher Erntefeste aufgegriffen und ähnlich wie in heutiger Zeit begangen.

Im Jahre 1972 legte die Bischofskonferenz für die katholischen Christen in Deutschland den ersten Oktobersonntag als geeigneten Tag fest, welcher in diesem Jahr auf den 02.10. fällt. In evangelischen Gemeinden ist es der Michaelstag (29. September) oder einer der benachbarten Sonntage. Allerdings ist dieser Dankgottesdienst nicht verpflichtend. In dieser Zeit findet in Süddeutschland auch der Almabtrieb statt. Verbunden mit einem Erntedankgottesdienst, bedanken sich die Gläubigen bei Gott für eine gute Ernte. Vor dem Altar werden dekorativ Getreideähren, Obst und Gemüse arrangiert. Auch Brot gehört in vielen Regionen mit dazu. Mancherorts wurden "Erntepuppen aus"Stroh angefertigt und auf den Feldern aufgestellt, wo sie als Garant für eine kommende gute Ernte im kommenden Jahr bis zum Frühjahr blieben. Neuerdings hat man sie durch Strohballen ersetzt.

In ländlichen Gemeinden findet anschließend an den Gottesdienst oft noch eine gemeinsame Feier statt, wo Gegrilltes, Erfrischungsgetränke, Kaffee und Kuchen angeboten wird.

Nach Abschluß der Festlichkeiten werden auch in neuerer Zeit noch die gespendeten Erntegaben an entsprechende Organisationen weitergegeben, welche diese an Bedürftige verteilen. Armut in Deutschland? Aber sicher! Es gibt reichlich Rentner, Arbeitnehmer, Alleinerziehende und Menschen ohne Job, welche in unserer Gesellschaft am Rande des Existenzminimums leben, nur wollen wir dies in unserem Wirtschaftswunderland nicht wahrhaben.

Autor:

Hans-Martin Scheibner aus Xanten

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